Interview

Unternehmen

16.12.21

10-MDP Monomer – Booster für die adhäsive Befestigung

Polymertechnologie

Adhäsiv, Monomer, Praxis

Natascha Brand

Und wer hat‘s erfunden? Diesmal nicht die Schweizer, sondern der japanische Chemiekonzern Kuraray. Dort wurde in den 1990er Jahren das 10-MDP Monomer entwickelt, das die moderne Adhäsivtechnik ermöglicht hat. Dr. Heinz Schuh ist Senior Technical Advisor bei Kuraray. Mit seiner Ausbildung in Chemie und Wirtschaft begleitete er die Markteinführung in Europa, und schrieb an der Erfolgsstory des Monomers mit, das Zahnmedizinern hilft, Patienten mit langlebigen, ästhetischen Restaurationen zu versorgen.

Herr Dr. Schuh, Sie sind seit nahezu 20 Jahren bei Kuraray Noritake, waren also bei der Markteinführung des 10-MDP Monomers um die Jahrtausendwende dabei. Welche Philosophie verfolgte man damals bei Kuraray in der Verbundtechnologie?
Schaut man auf unsere Konzern-Web­site, findet man dort unter anderem den Claim: „Unser Ziel ist die Entwicklung neuer Geschäftsfelder unter Nutzung bahnbrechender Technologien, die unsere Lebensqualität verbessern.“ Das ist zugegebenermaßen ein sehr hochgesteckter Anspruch. Ich möchte es für den dentalen Kontext etwas umformulieren: Es ging vor allem darum, dauerhafte ästhetische Lösungen zu finden. Bedeutet: einfach in der Anwendung für den Zahnarzt, sicher und langlebig für den Patienten. Das erspart den unangenehmen Gang in die Praxis zum Austausch verschlissener Füllungen oder gar ganzer Versorgungen. Und der Solidargemeinschaft, den Krankenkassen, spart es zudem Kosten. Es geht also nicht nur um schnelle, sondern auch um nachhaltige Lösungen.

Welches war die Motivation und die treibende Kraft zur Entwicklung des 10-MDP Monomers?
Wir waren damals noch in der auslaufenden Zeit des Amalgams; den größten Malus bildeten die Ästhetik und die biologische Kompatibilität. Ästhetik und Langlebigkeit waren schon immer wichtige Kriterien im Bereich der Füllungskonzepte, deren Entwicklung war daher mit der Frage verbunden: Wie gelingt es, ein hochwertiges ästhetisches Komposit an Schmelz, aber auch an Dentin anhaften zu lassen? Es gab bereits damals Total-Etch-Systeme, diese hatten jedoch typische Systemschwächen, denn sie bestanden aus vielen Einzelschritten und waren damit sehr fehleranfällig und stark vom Können des Anwenders abhängig. Gut geschulte Anwender konnten damit sicherlich sehr gute Ergebnisse erzielen – Behandler, die sich mit dem System weniger intensiv beschäftigt hatten, mussten gegebenenfalls nach einiger Zeit klinische Rückschläge hinnehmen. Deshalb galt es, einen neuen Ansatz abseits der Glasionomerchemie zu finden. In dieser Materialklasse gab ja schon taugliche Haftsysteme, die aber noch nicht die Ästhetik eines Komposits besaßen. Diese Herausforderung war die Triebkraft, sich mit dem neuen Haftmolekül auseinanderzusetzen.

Welcher war der wichtigste Entwicklungsschritt bei den Adhäsiven und welche Vorteile bieten sie gegenüber anderen Verbundmethoden?
Haftung muss sowohl am Schmelz als auch am Dentin stattfinden. Die Haftung am geätzten Schmelz war – aus Sicht der Zuverlässigkeit – zu keinem Zeitpunkt ein großes Problem; sie war von Anfang an gegeben. Die Haftung am Dentin gestaltete sich jedoch sehr schwierig, da dort zum Beispiel Dentin-Liquor und Kollagen präsent sind und dies die Anhaftung von Polymeren reduziert. Die Herausforderung lag also darin, mit diesem neuen „Ein-Schritt-Monomer“ eine Balance zu finden zwischen dem pH-Wert, der zum Ätzen von Schmelz benötigt wurde und dem pH-Wert, der dem Dentin nicht schadet. Das Kuraray-Forschungsteam fand heraus, dass sich ein 10-MDP Mono­mer mit einem pH-Wert von circa 2 besonders gut eignet, Dentin genügend aufzurauen, aber dennoch mild genug ist, den Smear-Layer nicht komplett anzugreifen. Dadurch ergab sich eine hohe Schutzfunktion für das Dentin unter anderem im Hinblick auf postoperative Sensibilitäten. Ergebnis war eine hohe Randdichtigkeit bei gemischten Klasse-V-Kavitäten – die je zur Hälfte dentin- und schmelzbegrenzt sind. Insbesondere bei dieser klinisch sehr herausfordernden Indikation haben unsere 10-MDP-haltigen Produkte von Beginn an überzeugende Langzeitergebnisse geliefert.

Was genau macht das 10-MDP Monomer so einzigartig im Praxisalltag?
Es ist zum einen die einfache Handhabung des Adhäsivs. Ein weiterer Aspekt ist die Anwendungssicherheit: Kein Zahnarzt soll künftig einen Gedanken daran verschwenden müssen, ob er das Produkt auch wirklich richtig angewandt hat. Die Besonderheit ist, dass es einen „milden“ pH-Wert besitzt und dabei noch eine gute selbstätzende Grundeigenschaft an der Zahnhartsubstanz zeigt. Zusätzlich bildet 10-MDP in kürzester Zeit außerordentlich schwerlösliche Kalzium-Salze. Es zeigte sich, dass dies zu zwei wertvollen, klinisch hochrelevanten Eigenschaften führt: eine kurze und unkomplizierte Anwendung für den Behandler – und eine unglaublich hohe klinische Langzeitstabilität beim Patienten.

Die Patente sind vor einigen Jahren ausgelaufen. Damit war die Vorreiterrolle von Kuraray erst einmal vorbei und 10-MDP Monomer ist seither Bestandteil zahlreicher Befestigungsprodukte unterschiedlicher Hersteller…
Ja, das ist so. Interessanterweise kommt in unserem Fall noch etwas Weiteres hinzu: Um das 10-MDP Monomer herzustellen, muss man nicht nur theoretisch wissen, wie man ein Molekül synthetisieren kann, sondern auch, wie sensibel die Prozessführung einer chemischen Synthese sein kann. Gerade Details in der Prozesskette, wie beispielsweise die Temperaturführung, die Aufbereitung der Zwischenstufen oder die Reinigung von Monomeren, können deutlichen Einfluss auf zum Beispiel die Produktqualität oder die Haltbarkeit haben. Es erfordert zum Teil tiefgründiges Know-how des jeweiligen Produktionsprozesses und nicht jeder Hersteller ist sofort in der Lage, diese Prozessschritte präzise und umfassend nachzustellen. Daten von Yoshihara et al. zeigen in unserem Fall, dass die Haftkraft oder die Dauerhaftigkeit des Verbunds noch lange nicht identisch zum Originalprodukt sein müssen, obwohl dasselbe Molekül verwendet wird.

Um in der Rolle des Vorreiters zu bleiben, muss man Entwicklungen vorantreiben. Welche Entwicklungen verfolgt Kuraray Noritake in der adhäsiven Zahnheilkunde?
In puncto Haftkraft funktionieren die meisten Adhäsivsysteme heute wirklich ausgezeichnet, deshalb erwarte ich in diesem Bereich keine grundsätzlich neuen Ansätze. Anwenderfreundlichkeit ist ein wichtiges Thema, das wird sich sicher auch immer wieder in den Entwicklungen widerspiegeln und die Applikationen bestehender Produkte beziehungsweise Systeme vereinfachen. Etwas anderes, das unsere Aufmerksamkeit erfordern sollte, ist die Behandlung alter oder hochbetagter Patienten. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird es nicht nur in Deutschland immer mehr Menschen im Pflegestatus geben, auch wird die Zahl der an Demenz erkrankten Patienten zunehmen. Es ist bereits für das Pflegepersonal eine Herausforderung, bei multimorbiden Patienten eine gute Mundhygiene zu betreiben – viel schwieriger ist es für den Zahnmediziner, eine Therapie durchzuführen. Gerade hier sind einfache und sichere Applikationen gefragt, die der aufsuchende Zahnarzt bei schwierigen Bedingungen und unter schlechten Lichtverhältnissen in den Pflegeheimen – gegebenenfalls sogar im Pflegebett – unkompliziert anwenden kann. Auch in diesem Zusammenhang diskutieren gerade viele Experten die Entwicklung von bioaktiven Füllungskonzepten, die gegebenenfalls antibakterielle oder remineralisierende Komponenten enthalten. Und zu guter Letzt: Auch im dentalen Markt wird viel Abfall produziert, deshalb sollten alle Marktteilnehmer diesem Aspekt künftig mehr Aufmerksamkeit schenken.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.

Das Interview führte Natascha Brand.

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