Interview

Einblicke

26.11.21

Ein Erfolgskonzept für die Praxis

Nichtchirurgische PA-Therapie

Antibiotika, Leitlinie, subgingivale Reinigung, supragingivale Reinigung, UTP

Dr. Markus Bechtold

02 – Dr. Markus Bechtold

Die Behandlung parodontaler Erkrankungen wird zukünftig ein noch wichtigeres Standbein jeder Zahnarztpraxis sein und erfordert ein konsistentes, in sich geschlossenes, möglichst minimalinvasives Therapie­konzept. Dr. Markus Bechtold ist Parodontologe in Köln und Experte für nichtchirurgische PA-Therapie. Im Gespräch erläutert er, warum Patient und Praxis von diesem Verfahren dauerhaft profitieren.

Herr Dr. Bechtold, Sie fokussieren in Ihrem Behandlungskonzept die „nicht-chirurgische PA-Therapie“. Warum?
Das ist eine Frage der Patientenakzeptanz. Gerade im Hinblick auf moderne Therapien – wo bereits seit Jahren im chirurgischen Bereich minimalinvasiv mit maximalem Patientenkomfort gearbeitet wird – ist es wichtig, dem Patienten auch in der parodontalen Therapie ein Konzept anbieten zu können, das primär darauf abzielt, Entzündung ohne chirurgischen Eingriff zu eliminieren. Dabei spielt uns die Weiterentwicklung der Luft-Pulver-Wasserstrahlgeräte mit unterschiedlichen Pulvern sowie der Ultraschallgeräte mit unterschiedlichsten An- und Aufsätzen in die Karten. Damit gelingt es, eine Tasche mit einer Tiefe von fünf bis sechs Millimetern nichtchirurgisch erfolgreich zu therapieren. Hinzu kommen die Möglichkeit einer flankierenden adjuvanten Antibiotikagabe und der Einsatz von Probiotika, sodass wir in der Lage sind, moderate bis schwere Fälle nichtchirurgisch zu therapieren und stabil zu halten. Mit diesem Prozedere sind nur noch bei weniger als zehn Prozent der Fälle chirurgische Maßnahmen im Nachgang einer nichtchirurgischen Therapie nötig. Führen diese Maßnahmen nach sechs Monaten nicht zum Erfolg, sollte man zum Beispiel über resektive Maßnahmen nachdenken.

Wo liegen die Limitationen der nichtchirurgischen PA-Therapie?
Nicht bei allen Patienten stellt sich der Erfolg nur mit einer nichtchirurgischen Vorgehensweise ein. Es gibt Einschränkungen und Gegebenheiten, die chirurgische Maßnahmen erfordern, zum Beispiel bei Patienten mit Furkationen oder einer Anatomie, die sich mittels mechanischer oder maschineller Therapiemaßnahmen nicht erreichen lässt. Egal wie gut die individuelle nichtchiurgische Parodontal­therapie auch sein mag, dort werden immer Restbiofilme und -konkremente bestehen bleiben, die wieder entzündungsauslösende Eigenschaften entwickeln werden. Auch eine eingeschränkte Mundöffnung des Patienten kann ein limitierender Faktor sein. In solchen Fällen kommt man häufig mit mechanischen oder maschinellen Maßnahmen allein nicht zum Erfolg. Weitere limitierende Faktoren sind patientenindividuelle Gegebenheiten wie Alter, Beschaffenheit des Immunsystems, Heilungstendenz, aber auch Medikation, Allgemeinzustand, Grund- beziehungsweise Vorerkrankungen sowie genetisch bedingte Erkrankungen. Hinzu kommen die Compliance des Patienten und das Rauchen. Auch Begleiterscheinungen von Vorerkrankungen oder Medikamenten wie Mund­trockenheit oder Zahnfleischwucherungen können den Erfolg der nichtchirurgischen Parodontaltherapie hemmen. Viele der aufgezählten Faktoren kann der Zahnarzt nicht beeinflussen.

Im Sommer 2020 verabschiedete die Euro­pean Federation of Periodontology (EFP) die S3-Leitlinie zur parodontalen Therapie. Was ist neu beziehungsweise welchen Einfluss hat die Leitlinie auf Ihr Behandlungskonzept?
Es sind vor allem die einzelnen Empfehlungen und die strikte Behandlungsabfolge, die diese Leitlinie für den Praktiker so wertvoll machen. In der neuen Leitlinie wird die Reihenfolge der Maßnahmen zur nichtchirurgischen Parodonaltherapie und zur weiteren chirurgischen Therapie ganz klar beschrieben. Am Anfang stehen die Vorbehandlung mit der mechanischen Biofilmreduzierung und eine Reizfaktorkontrolle, zum Beispiel die Beseitigung überstehender Füllungen. Anschließend folgen die nichtchirur­gischen Therapieschritte mit subgingivaler Reinigung, Spüllösung und bei schweren Fällen gegebenenfalls Antibiotikagabe. Nach einer Wartezeit von drei bis sechs Monaten erfolgt eine Reevaluation, also eine erneute Bewertung von Befunden beziehungsweise der Situation im Verlauf der parodontalen Erkrankung. Erst wenn klar ist, dass die nichtchirurgischen Schritte nicht greifen, kommen chirurgische ­resektive Maßnahmen in Betracht. Der letzte Schritt ist die Erhaltungsphase in Form einer fortlaufenden unterstützenden Parodontaltherapie (UTP).
Neu und hilfreich ist für mich als Praktiker die Einteilung, wann eine parodontale Situation stabil beziehungsweise refraktär ist. Gerade dies war in der alten Klassifikation schwierig, denn es galt bisher der Grundsatz zum parodontalen Screening­index (PSI): Ist eine Tasche größer als 3,5  mm, ist sie behandlungswürdig und auch bei der Krankenkasse abrechenbar. Da gibt nun die Leitlinie vor: Ein Behandlungsergebnis, das auf einem reduzierten Parodont und einer gesunden Gingiva ruht, gilt auch dann als stabil, wenn Rezessionen und Taschen infolge einer parodontalen Behandlung vorhanden sind. Das bedeutet konkret im Praxisalltag: Liegt ein positiver Bleeding-on-Probing-(BOP)-Befund bei unter zehn Prozent der Messstellen und einer Taschentiefe von unter vier Millimetern vor, dann ist die Situation als stabil anzusehen. Nach der neuen Leitlinie ergibt sich ein PA-Rezidiv, wenn bei einer Taschentiefe von vier oder mehr Millimetern und mehr als zehn Prozent der Messtellen ein positiver BOP-Befund vorliegt; dann ist eine Therapieergänzung oder Folgebehandlung nötig. An diesen Werten kann sich der Praktiker orientieren und sein Konzept ausrichten.
Neu ist auch die Aussage, dass die Maßnahmen zur Stressreduktion wie autogenes Training oder Ähnliches in der Datenlage keine signifikante Verbesserung zeigen. Auch Sport, eine ausgeglichene Lebensführung oder eine zuckerarme, salatbasierte Ernährung haben offensichtlich keinen signifikanten Einfluss auf den positiven Verlauf der PA-Therapie; dazu besagt die Leitlinie, dass die Evidenz noch zu gering ist, um etwas ableiten zu können.

Welche Therapieempfehlungen werden insbesondere im Hinblick auf die nichtchirurgische PA-Therapie und die Nachsorge gegeben?
Eine kausale nichtchirurgische Therapie besteht aus einer supragingivalen und einer subgingivalen Reinigung sowie einer dauerhaften Nachsorge. Die Leitlinie empfiehlt die subgingivale Reinigung nicht nur mit Spüllösungen, sondern mechanisch mit Handinstrumenten, Schall- oder Ultraschallgeräten durchzuführen. Die Leitlinie bestätigt all diesen Maßnahmen zur subgingivalen Reinigung beziehungsweise deren Kombination eine vergleichbar gute Wirkung. Eine klare Aussage erhält der Praktiker im Hinblick auf das Therapiefenster: Aus bakteriolo­gischer Sicht sollte das Full-Mouth-­Scaling idealerweise in einem Schritt beziehungsweise innerhalb von 24 Stunden geschehen. Zum Einsatz von Laser im Rahmen der nichtchirurgischen Therapie spricht die Leitlinie keine Empfehlung aus, dasselbe gilt für die photodynamische PA-Therapie, da die Datenlage einfach zu dünn ist. Lokale Antibiotika können einen positiven Effekt haben, systemische Antibiotika sollten nicht routinemäßig eingesetzt werden, sondern nur bei einer generalisierten Parodontitis ab Stage III. Für den Einsatz von Probiotika spricht die Leit­linie keine Empfehlung aus; auch dazu ist die Datenlage noch zu gering. Ebenfalls keine Empfehlung im Rahmen der Scaling- und Root-Planingphase gibt es für den Einsatz von Doxycyclin sowie für lokale oder systemische Bisphosphonate zur Unterstützung des Knochenstoffwechsels und für die Gabe nonsterioidaler Medikamente. Lediglich CHX-Spülungen oder -Gelen wird kurzzeitig ein gewisser positiver Effekt zugesprochen. Hinsichtlich der UTP wird ein Intervall von drei bis zwölf Monaten empfohlen, angepasst an den Schweregrad, die individuellen Risikofaktoren und die Compliance des Patienten. Die UTP wird als sehr wichtig erachtet; es wäre demnach ein Behandlungsfehler, würde man dem Patienten nur eine Therapie ohne strukturierte Nachsorge anbieten. Die Nachsorge besteht wiederum aus einer supra- und subgingivalen Reinigung. Was die häusliche Mundhygiene bei PA-Patienten betrifft, so präferieren die Autoren der Leitlinie die elektrische Zahnbürste und sprechen sich für die Interdentalbürste statt Zahnseide aus. Unter den Spüllösungen werden für PA-Patienten solche auf CHX-Basis – für die dauerhafte Nachsorge Spüllösungen auf der Basis von ätherischen Ölen – empfohlen.

Warum ist gerade die nichtchirurgische PA-Therapie ein Erfolgskonzept für die Praxis?
Laut der aktuellen Mundgesundheitsstudie (DMS V) ist Parodontitis eine Art Volkskrankheit, während die Kariesinzidenz dank veränderter Mundhygiene und einer gesünderen Ernährung immer weiter abnimmt. In den Praxen behandeln wir aufgrund dieser Tatsache immer mehr ältere Patienten mit eigenen Zähnen. Als „Spätfolge“ resultiert daraus, in Verbindung mit einem schwächeren Immunsystem beim Alterspatienten, ein erhöhtes Risiko für bakterielle Entzündungen und parodontale Erkrankungen. Deshalb ist es wichtig, insbesondere für diese ältere Patienten­klientel aus Gründen der Zahn­erhaltung ein nichtchirurgisches Therapiekonzept anzubieten. Für die Praxis ergibt sich mit einem stringenten nichtchirurgischen PA-Konzept, bestehend aus Vorsorge und nichtchiurgischen Therapie­maßnahmen, verbunden mit einer konsequenten dauerhaften UTP im Nachgang ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Ein Teil der Leistungen ist an eine entsprechend ausgebildete Fachkraft delegierbar und bildet ein wichtiges finanzielles Standbein für die auf Zahnerhalt ausgerichtete Praxis. Mein Tipp: In der Behandlung parodontaler Erkrankungen gibt es unterschiedliche Ansätze und Ausrichtungen in der Therapie; ein „One-fits-all“-Konzept gibt es nicht. Ich erachte es als wichtig, sich nach gründlicher Evaluation für ein Therapiekonzept zu entscheiden, im individuellen Praxiskonzept darauf zu fokussieren und alle Therapiemaßnahmen im Sinne einer dauerhaft erfolgreichen Parodonaltherapie stringend darauf auszurichten. Dazu sind Fortbildungen wie das Tagesseminar „dent up date Parodontologie“ (teamwork media) hilfreich. Dort erhalten Sie Antworten und profitieren von den wirtschaftlichen Tipps zur konsequenten Umsetzung praxisnaher Therapiekonzepte für die nichtchirurgische und die chirurgische PA-Therapie sowie die Versorgung mit Implantaten in parodontal vorgeschädigten Situationen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Natascha Brand.

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