Fachbericht
Implantologie & Parodontologie
23.11.22
Ein komplexer Fall im Team gelöst
Implantatprothetik: Planung auf biologischen Grundlagen der plastischen Parodontalchirurgie
Ästhetik, Augmentation, digitaler Workflow, plastische Parodontalchirurgie, Umbrella-Technik
Im vorliegenden Fall geht es um eine komplexe, interdisziplinäre Behandlung, in deren Verlauf die biologischen Grundlagen der plastischen Parodontalchirurgie beziehungsweise der Hartgewebsaugmentation beschrieben werden. Die Umsetzung der Erkenntnisse resultiert in der vorgestellten Behandlungsplanung und Durchführung. Des Weiteren wird der digitale Workflow mittels Intraoralscanner beschrieben.
Nachfolgend finden Sie die Videos, auf die im Artikel verwiesen wird. Über die Links werden Sie auf YouTube geleitet:
– Scans der beiden Kiefer vor der Implantation (Videos 1 und 2)
– Registrierung der Okklusion (Video 3)
– Aufschrauben des Scanabutments ( Video 4)
Eine 49-jährige Frau wurde von der Kieferorthopädin zur Implantation inklusive prothetischer Versorgung überwiesen. Die Patientin hatte eine Nichtanlage des Zahns 24, einen Kreuzbiss von 23/33 und, infolge der Nichtanlage, eine Mesialkippung von 25–27 (Abb. 1 und 2).
Diese unästhetische Situation störte die Patientin so sehr, dass sie sich im Alter von 48 Jahren zu einer kieferorthopädischen Therapie entschlossen hatte. Diese bestand aus einer Lückenöffnung für den Zahn 24 mit Korrektur der Mittellinie, Ausformung der Zahnbögen, Beseitigung der Engstände und Herstellung einer funktionellen Okklusion mittels Aligner, die circa anderthalb Jahre dauerte (Abb. 3a und b).
CME-Fortbildungspunkte generieren:
Hier finden Sie eine Anleitung im PDF-Format
Hier geht es zum CME-Portal cme.mgo-fachverlage.de/education
Nach Abschluss der Alignertherapie wünschte die Patientin eine ästhetische Restauration der Lücke, wozu für sie auch die Deckung der Rezession an Zahn 23 gehörte. Eine implantatgetragene Restauration wurde bereits durch die Kieferorthopädin vorgeschlagen, was bei dem Status der Nachbarzähne die einzig sinnvolle Behandlungsalternative darstellte und zur Überweisung führte. Da die Patientin Nichtraucherin und in einem guten Allgemeinzustand war, sprach auch anamnestisch nichts gegen einen solchen Eingriff beziehungsweise für ein erhöhtes Komplikationsrisiko.
Die klinische Situation nach Abschluss der kieferorthopädischen Behandlung zeigte eine Rezession der Miller-Klasse II an Zahn 23 sowie eine inadäquate Zone von befestigter, keratinisierter Gingiva regio 23/24. Des Weiteren ließ die Kontur des Weichgewebes auf einen ausgeprägten horizontalen Knochendefekt schließen.
Radiologisch war eine zusätzliche vertikale Komponente zu erkennen (Abb. 4). Auf eine weitere bildgebende Diagnostik wurde in diesem Fall verzichtet, da bereits feststand, dass ein einzeitiges Vorgehen mit einem zu hohen Komplikationsrisiko verbunden gewesen wäre.
Augmentation
Das präoperative Protokoll bestand in der Einnahme von 2 g Amoxicillin eine Stunde vor dem Eingriff [1] sowie einer Spülung mit CHX 0,2 % unmittelbar vor der Operation. Intraoperativ bestätigte sich die radiologisch-klinische Diagnostik (Abb. 5).
Die in diesem Fall vorgestellte Augmentationstechnik beruht auf den biologischen Grundlagen der Studien von Polimeni et al. [2, 3, 4]. Hierbei hatte sich als unabdingbarer Faktor die Schaffung und Stabilisierung von Raum für die Knochenregeneration [2] herausgestellt. Eine zellokklusive Barrieremembran [3] ist ebenfalls ein wesentlicher Faktor; die Verwendung von Biomaterialien führt zu einer zusätzlichen raumschaffenden beziehungsweise raum‧erhaltenden Wirkung [4].
Die Schaffung von Raum wurde bei dem gezeigten Fall in erster Linie durch den Einsatz von Stahlschrauben erreicht. Die vertikal eingebrachte Schraube (Schirmschraube, Geistlich Biomaterials) hat einen breiten Schraubenkopf (Ø 6 mm), der hervorragend dazu geeignet ist, wie eine Zeltstange den Druck des Weichgewebes großflächig abzuhalten und so Raum und Ruhe für das Augmentat zu liefern. Es bietet sich an, die Schraube so zu platzieren, dass die Schraubenkopfkante vestibulär ausreichend über den horizontalen Defekt hinausragt, um den raumschaffenden Effekt über die gesamte vestibuläre Fläche sicherzustellen. Im gezeigten Fall war dies nicht möglich, da aufgrund der Defektanatomie der Raum auch nach palatinal aufgespannt werden musste. Aus diesem Grund wurde eine zweite Schraube weiter apikal gesetzt (Mikro Schraube, Geistlich Biomaterials), um die Raumschaffung zu gewährleisten (Abb. 6).
Als nächstes wurde apikal der mukogingivalen Grenze ein Spaltlappen präpariert, um einen spannungsfreien Weichgewebeverschluss zu erreichen, und ein freies Bindegewebetransplantat (BGT) aus regio 14–17 entnommen. Des Weiteren erfolgte die Entnahme von autologen Knochenspänen mittels Bonescraper (Micross, Geistlich Biomaterials) aus dem Retromolarbereich mittels Tunnelpräparation [5], danach die Applikation der resorbierbaren Barrieremembran (Bio-Gide, Geistlich Biomate‧rials) nach palatinal (Abb. 7) sowie die Auffüllung des Augmentatlagers durch autologem Knochen im Zentrum des Defekts und Partikeln bovinen Ursprungs für die äußere Schicht (Bio-Oss, Geistlich Biomaterials) im Verhältnis 50 : 50 (Abb. 8a und b).
Zur vollständigen Abdeckung des Augmentats wurde die restliche Barrieremembran vestibulär appliziert (Abb. 9), das freie Bindegewebstransplanat (BGT) auf Höhe der Rezession aufgelagert (Abb. 10) und ein spannungsfreier Verschluss herbeigeführt (Premilene, monofil 6.0, B.Braun) (Abb. 11).
Abbildung 12 zeigt die Röntgenaufnahme unmittelbar post OP. Die postoperative Medikation bestand aus 1500 mg Amoxicillin täglich über sieben Tage, Ibuprofen 600 mg nach Bedarf sowie 0,2%iger CHX-Spülung zweimal täglich. Die Mundhygiene im OP-Bereich wurde bis zur Nahtentfernung nach 14 Tagen eingeschränkt.
Implantation
Sechs Monate post OP zeigten sich klinisch eine 100%ige Deckung der gingivalen Rezession an Zahn 23 sowie eine Verbreiterung der befestigten, keratinisierten Gingivia regio 23–24 (Abb. 13a und b). Dies ist auf die Verwendung des autologen Bindegewebetransplantats zurückzuführen, da die Differenzierung des Epithels immer von dem darunterliegenden Bindegewebe abhängt [5]. Aufgrund der Tatsache, dass das freie BGT aus dem mit befestigter, keratinisierter Gingiva ausgekleideten Gaumen entnommen wurde, gibt es diese genetische Information auch an das darüberliegende Epithel weiter. Auch radiologisch zeigte sich eine homogene Struktur des Augmentats (Abb. 14).
Zum Zeitpunkt der Implantation sechs Monate nach der Augmentation zeigte sich ein vitaler Knochen mit minimaler Resorption von < 1 mm, gemessen an den Schraubenköpfen (Abb. 15a bis c). Implantiert wurde ein Conelog Implantat (3,8 x 9 mm, Camlog) mit einem Insertionstorque von 18 Ncm mit gleichzeitiger digitaler ‧Abformung (Abb. 16).
Digitale Abformung
Der hier beschriebene digitale Workflow ist auf den Trios-Scanner von 3Shape abgestimmt; bei anderen Scannern kann sich demzufolge eine Änderung des Ablaufs ergeben. Vor der Implantation wurden zunächst beide Kiefer gescannt ‧ sowie die Okklusion registriert. Das Scannen des Implantats musste an dieser Stelle ausgelassen werden, da es sich bei der im System hinterlegten Scanfolge um das Vorgehen nach der Freilegung handelt.
Nun begann die oben beschriebene Implantation. Nach der Insertion des Implantats erfolgte das Aufschrauben des Scanabutments, und der Implantatscan wurde nachgeholt. Wie in dem Film zu sehen, ist dies eine Sache von wenigen Minuten. Anschließend wurde das Scanabutment gegen den Gingivaformer ausgetauscht (Abb. 17). Bei einer relativ geringen Primärstabilität von 18 Ncm ist beim Festschrauben des Gingivaformers sehr genau darauf zu achten, dass das Implantat nicht aus Versehen weitergedreht wird. Aus diesem Grund wurde der Gingivaformer zur besseren Übersicht noch vor dem weichgewebigen Verschluss eingeschraubt. Würde es an dieser Stelle zu einem Weiterdrehen kommen, müsste lediglich der Implantatscan wiederholt werden.
Prothetische Restauration
Während das Implantat osseointegriert, beginnt bereits die Arbeit des Zahntechnikers. Da die Patientin auf eine ästhetische Restauration sehr bedacht war, fiel die Entscheidung gegen eine rein digitale und damit monolithische Versorgung.
Um ästhetisch mit einer Schichtkeramik arbeiten zu können, brauchte es Modelle. Diese konnten mit entsprechendem Modellanalog anhand der Scandaten gedruckt werden (Dedicam, Camlog). Das Emergenzprofil wurde entsprechend analoger Modelle digital geplant und fand sich dann bereits im gedruckten Modell wieder. Die gedruckten Modelle wurden schädelbezüglich einartikuliert, sodass die Restauration in statischer und dynamischer Okklusion überprüft werden konnte (Abb. 18).
Direkt nach der Eingliederung des individuellen Abutments zeigte sich infolge der apikalen Verdrängung des Weichgewebes eine Rezession, die bei individuellen Abutments mit konkavem Emergenzprofil häufig vorkommt und keinerlei weiterer Maßnahmen bedarf (Abb. 19a bis c). Vielmehr zeigte sich eine Woche nach der Restauration bereits eine Adaptation des ‧Weichgewebes, die noch bis zu anderthalb Jahre nach der Eingliederung anhalten kann [6, 7, 8].
Vita
Dr. Florian Rathe ist seit 2011 in der Praxis 32schönezähne von PD Dr. Dr. Schlee in Forchheim/Deutschland tätig und seit 2018 Partner. Zudem ist er seit 2014 Dozent in Teilzeit an der Danube Private University in Krems.
- Er hat an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert .
- danach folgten zwei Jahre in der Abteilung für Parodontologie der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg im Breisgau,
- und das dreijährige Vollzeit-Masterstudienprogramm für Parodontologie an der St. Radboud University in Nijmegen/Niederlande unter der Leitung von Prof. Dr. Anton Sculean.
- Danach ging er in die Privatpraxis Centre médico dentaire in Genf/Schweiz, wo er als Spezialist für Parodontologie und Implantologie arbeitete.
Kontakt
Dr. Florian Rathe MSc
Zentrum für Zahnärztliche Prothetik und Biomaterialien der Danube Private University (DPU)Steiner Landstraße 1243500 Krems an der Donau Fon +49 171 9551908 florian.rathe@dp-uni.ac.at
Dr. Christina Rathe
c.rathe@formbar-forchheim.de
Stefan Picha
info@oral-design-picha.de
Prof. Dr. Dr. Rüdiger Junker MSc
rüdiger.junker@dp-uni.ac.at
Autorenhinweise
1 Zentrum für zahnärztliche Prothetik und Biomaterialien der Danube Pri‧vate University (DPU), Steiner Landstraße 124, 3500 Krems an der Donau
2 Praxis Schlee & Rathe – Zahnarztpraxis für Parodontologie und Implantologie – Bayreuther Str. 39, 91301 Forchheim/Deutschland
3 Formbar Kieferorthopädie, Bayreuther Str. 9, 91301 Forchheim/Deutschland
4 Dentallabor Oral Design Stefan Picha, Alte Reutstraße 170, 90765 Fürth/Deutschland
Fachbericht
Implantologie & Parodontologie
23.11.22
Ein komplexer Fall im Team gelöst
Implantatprothetik: Planung auf biologischen Grundlagen der plastischen Parodontalchirurgie
Ästhetik, Augmentation, digitaler Workflow, plastische Parodontalchirurgie, Umbrella-Technik
Weitere Beiträge zum Thema