Interview

Falldokumention

23.11.22

Entspannt im Stuhl

Hypnose in Klinik und Wissenschaft: Ein Zahnarzt und ein Hirnforscher erzählen

Angstpatienten, Behandlungserfolg, Hypnose, Zahnarztpraxis

Natascha Brand

Der Punkt auf dem Handschuh dient zur Fokussierung bei der Einleitung in den Zustand der Hypnose.

Etwa 50 Prozent der Patienten spüren nach Angaben der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft SSO vor oder während der Zahnbehandlung Angstgefühle. Bis zehn Prozent leiden unter Zahnarztphobie mit extremen Symptomen wie Herzrasen und Würgereiz. Zahnmedizinische Hypnose kann in solchen Fällen eine gute Lösung sowohl für den Patienten als auch den für Behandler sein.

„Mit Hypnose einen Zahn zulegen“ ist die Devise von Dr. Patrick Meyenberger, Zahnarzt aus Wil SG. Er arbeitet eng mit dem Neurowissenschaftler Dr. Mike Brügger zusammen, der an der Universität Zürich zu Hypnose forscht. Wir haben die beiden in der Praxis in Wil getroffen. Dr. Patrick Meyenberger führt seit sieben Jahren eine Praxis in Wil mit 18 Angestellten. Sein oberstes Ziel ist es, dass die Patienten eine Zahnbehandlung in guter Erinnerung behalten. Das ganze Team nimmt deshalb Rücksicht auf deren individuelle Bedürfnisse. Auf Wunsch wendet Dr. Meyenberger bei den Behandlungen Hypnose an. Im gleichen Gebäude befindet sich sein Hypnosecenter, wo er Hypnosebehandlungen für verschiedene Indikationen anbietet.

Herr Dr. Meyenberger, wie sind Sie auf das Thema Hypnose gekommen?
Dr. Patrick Meyenberger: Bis zur Matura betrieb ich intensiv Triathlon, und die Themen „abschalten“ und „den inneren Schweinehund überwinden“ waren deshalb ein Dauerbrenner. Bereits im Studium begegnete ich dann meinem ersten, sehr schwierigen und zeitaufwendig zu behandelnden Angstpatienten. Damals schon absolvierte ich unterschiedliche Hypnoseausbildungen wie Blitzhypnose oder die traditionelle Hypnose. Die Umsetzung der traditionellen Hypnose in der Praxis ist aber schwierig, da die Vorbehandlung je nach Technik rund eine halbe Stunde oder langer dauert. Uns fehlt dafür die Zeit im stressigen Tagesablauf. Zudem war die Sicherheit für mich ungenügend. Mir fehlte bei vielen Techniken die Gewissheit, ob die Person jetzt wirklich in Hypnose ist. Bei einer Anästhesie wird mir vom Patienten zuverlässig gemeldet, ob etwas noch weh tut oder nicht. Das wollte ich auch für die Hypnose. Vor zwölf Jahren entdeckte ich dann die von Dave Elman entwickelten Ansätze und durfte diese zur HypnoDent-Methode ausbauen. Sie benötigt bei der ersten Anwendung fünf bis sieben Minuten für die Einleitung – eine gut investierte Zeit bei Angstpatienten. Der Patient bleibt ansprechbar und kann immer Rückmeldung geben. Nach zehn Jahren Anwendung weiß ich, dass es funktioniert

Herr Dr. Brügger, was ist Ihr Aufgabengebiet an der Universität Zürich?
Dr. Mike Brügger: Als Hirnforscher interessiert mich grundsätzlich, wie das Gehirn funktioniert. Hypnose ist ein faszinierendes Phänomen, zu dem schon viel geforscht wurde. Interessant ist: Mehrere Übersichtsarbeiten belegen, dass Hypnose gute Effekte auf verschiedene klinische Krankheitsbilder hat. Wir wissen aber nicht genau, welche Mechanismen diesen Effekten zugrundliegen und wie Hypnose die Gehirnfunktionen moduliert. Das Projekt „HypnoScience“ wurde als Kooperationsprojekt der UZH und Hypnose.NET lanciert, um diese Grundlagen Mechanismen besser verstehen zu lernen. Das Projekt beinhaltete drei Teilstudien, deren Messungen abgeschlossen sind. Die Ergebnisse werden demnächst in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert.

Was ist überhaupt Hypnose?
Meyenberger: Jeder kennt den Zustand der Hypnose, zum Beispiel kurz vor dem Einschlafen, wo man sich in dieser tief entspannten Zwischenphase befindet. Es ist ein neutraler Zustand mit tiefer körperlicher und mentaler Entspanntheit. Man verliert das Zeitgefühl und fokussiert auf Dinge auf mentaler Ebene. Es findet eine fundamentale Umstellung im Gehirn statt. Während der Hypnose ist man keineswegs bewusstlos oder nicht im Besitz der eigenen Kräfte, sondern ansprechbar.
Brügger: Grundsätzlich sollte man zwischen der neutralen Hypnose und der ‧klinischen Hypnose unterscheiden. Die neutrale Hypnose ist im Prinzip nichts anderes, als ein tiefer körperlicher und mentaler Entspannungszustand, der aber nicht auf ein bestimmtes Problem fokussiert, sondern der Person nur dabei hilft, sich komplett zu entspannen. Auch die klinische Hypnose beginnt mit solch einem tief entspannten Zustand, arbeitet dann aber zielgerichtet auf ein bestimmtes Problem hin. Das kann dann zum Beispiel, wie bei Patrick, eine angstfreie Zahnbehandlung ohne Schmerzen sein.

Was bewirkt Hypnose in der Zahnmedizin?
Meyenberger: Hypnose hilft durch positive Programmierung. Einem Angstpatienten wird suggeriert, dass er sich entspannt und die Behandlung voller Zuversicht betrachtet. Setze ich zusätzlich etwas Anästhesie ein, kann ich ganz gelassen behandeln. Der Patient erlebt die Therapie positiv. Diese neue Erfahrung speichert er und kann die bisherige negative Programmierung überschreiben.

Funktioniert Hypnose bei allen Personen?
Brügger: In der Fachliteratur gibt es keinen Konsens dazu. Meine Erfahrung ist, dass Hypnose bei jedem Menschen funktioniert, der in der Lage ist, die Worte zu verstehen –, wenn er es zulässt. Einzig die Tiefe der Hypnose kann unterschiedlich sein, vor allem dann, wenn ein Mensch zum ersten Mal hypnotisiert wird. Jedoch ändert sich das mit der Zahl der Hypnosen. Je öfter jemand hypnotisiert wird, desto besser funktioniert es. Oder anders ausgedrückt: Trotz Anleitung ist jede Hypnose genau genommen eine Selbsthypnose. Nicht der Hypnotiseur beziehungsweise Hypnosetherapeut hypnotisiert das Gegenüber. Er gibt nur die Anleitung dazu. Will jemand nicht hypnotisiert werden oder lässt es aus irgendeinem andern Grund nicht zu, dann geschieht auch nichts.

Wann setzen Sie Hypnose in der Zahnarztpraxis ein?
Meyenberger: Hypnose wende ich bei Angst- und Würgepatienten sowie bei allen Kindern an. Es ist faszinierend, wie Hypnose mir das tägliche Arbeiten erleichtert. „Mit Hypnose einen Zahn zulegen“ ist meine Devise. Mittlerweile bekomme ich anspruchsvolle Patienten von anderen Praxen überwiesen. Viele Patienten melden sich auch selbst. Nicht einmal zwingend, weil sie ein Problem mit zahnärztlichen Eingriffen haben, sondern einfach, weil sie während der Behandlung das angenehme Gefühl der tiefen Entspannung haben wollen.

Inwiefern profitieren der Zahnarzt als ‧Unternehmer und die Praxis von der Hypnose?
Profitiert wird zuallererst durch die Stressreduktion. Angstpatienten lassen sich nicht schnell beraten und behandeln. Denn sie haben zwei Probleme: die Zahnschmerzen und die Emotionen. Wird aber eine Lösung für beides angeboten, dann lassen sie sich viel schneller auf eine Behandlung ein, weil sie vollumfänglich respektiert werden. Werden beide Probleme therapiert, dann gewinnt man das Vertrauen dieser Menschen. Und diese haben meist mehr dentale Probleme zu sanieren als nur für eine Sitzung. So können große Arbeiten umgesetzt werden, weil diese Patienten sich nun trauen, die Probleme begleitet mit Hypnose anzugehen. Das füllt die Agenda und die so gewonnenen „Fans“ sprechen auch viele Jahre später noch von ihrem positiven Erlebnis. Das generiert dann auch wieder viele neue Patienten..

Wo können Zahnärzte sich in Hypnose ausbilden lassen?
Meyenberger: In Wil biete ich regelmäßig HypnoDent-Ausbildungen an. Sie dauern fünf Tage. Nach der Einführung in die Grundlagen der Hypnose können die Teilnehmer bereits am ersten Tag Hypnose erfahren. Das Gelernte können sie dann hier in meiner Praxis am Stuhl üben. Zusätzlich lade ich an einem Kurstag auch Kinder ein, mit denen die angehenden HypnoDent-Anwender in einem kontrollierten Umfeld üben können. Sie lernen auch, wie sie mithilfe der Hypnose zahnmedizinische Probleme in der Praxis angehen können. Die Ausbildung richtet sich vor allem an Zahnärzte, Dentalhygienikerinnen oder Prophylaxeassistentinnen. Ab einer Gruppe von zehn Personen kann so eine Ausbildung aber gut auch anderswo in der Schweiz, in Deutschland oder in Österreich durchgeführt werden.

Gibt es weitere Untersuchungen zur Anwendung von Hypnose in der Zahnarztpraxis?
Meyenberger: Wir haben gerade eine Studie publiziert, eine Doktorarbeit, in deren Rahmen 36 Patienten Weisheitszähne mit und ohne Hypnose extrahiert wurden. Die Studie belegt, dass sich die Patienten bei der Behandlung mit Hypnose wohler fühlen und sie bevorzugen (Hypnose-‧Studien online lesen).
Für neue Ideen für Studien sind wir sehr offen. Das Thema eignet sich auch gut für Doktorarbeiten. Spannend wäre es, den Stress von Angstpatienten anhand der Kortisolwerte im Speichel zu messen bei Behandlungen mit und ohne Hypnose.

Patientenerfahrungen
Angst vor dem Zahnarzt
„Ich hatte seit jeher schreckliche Angst vor dem Zahnarzt und ging immer zu meinem Hauszahnarzt, der mit meiner Angst umgehen konnte. Notfallmäßig musste ich einen unbekannten Zahnarzt aufsuchen, der auf meine Angst mit Unverständnis reagierte. Eine Bekannte empfahl mir die Hypnosebehandlung bei Dr. Meyenberger. Seit drei Jahren bin ich regelmäßige Patientin bei ihm und fühle mich gut aufgehoben. Mit der Hypnose vor der Behandlung werde ich ruhig und entspannt, sodass das Panikgefühl nicht mehr aufkommen kann.“
Anna Maria Luchinger, Wil

Starker Würgereiz bei jeder ‧Behandlung
„Bei einem Zahnunfall in der Kindheit brach mir ein Frontzahn heraus, und es folgten schlimme OPs und unangenehme Zahnbehandlungen. Seither ließ ich nur die notwendigsten Zahnbehandlungen zu und hatte jedes Mal Angst und einen verstärkten Würgereiz. Ich beschloss, einen neuen Weg zu gehen, und fand Dr. Meyenberger. Ich bin bei ihm regelmäßig in Behandlung, und es folgten viele Behandlungen und chirurgische OPs ohne Angst und Würgereiz.“
Daniela De Filippo, St. Gallen

Kontakt
Zahnarztpraxis Dr. Meyenberger
Poststrasse 13
9500 Wil
Fon +41 71 911 05 15
info@praxismeyenberger.ch
www.praxismeyenberger.ch
Hypnosecenter Wil
Fon +41 71 911 01 58
sekretariat@hypnosecenterwil.ch
www.hypnosecenterwil.ch

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