Fachbericht

Implantologie & Parodontologie

08.06.22

Erfolgsfaktoren für die Therapie

PAR-Behandlungsrichtline

Klassifikation, Komplexitätsfaktor, Parodontitis, Schweregrad, Stadium

Prof. Dr. Bettina Dannewitz

Für die systematische Therapie der Parodontitis und anderer Parodontalerkrankungen im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung gilt seit rund einem Jahr die neue PAR‑Behandlungsrichtlinie. Die Umsetzung der formalen Vorgaben dieser Richtlinie erfordert einige Veränderungen im Praxisablauf. Anhand eines Patientenfalls werden Änderungen der neuen Behandlungsstrecke vorgestellt.

Der Verlauf von Parodontitis ist zumeist langsam und schmerzlos, leichte und moderate Formen von Parodontitis zeigen daher über viele Jahre wenige oder nur milde Symptome. Veränderungen der Gingiva, wie Zahnfleischbluten, Rötung und Schwellung, sind oft die ersten und einzigen Anzeichen, die von den Patienten solange nicht wahrgenommen oder nicht richtig eingeordnet werden, bis es dann zu einer Lockerung der Zähne kommt [1]. Gingivitis und frühe Stadien der Parodontitis sind für Betroffene nicht zu unterscheiden. Bei einer telefonischen Befragung in Deutschland wurde zudem deutlich, dass in der Bevölkerung erhebliche Defizite beim Wissen darüber bestehen, was Parodontitis ist und welche Konsequenzen die Erkrankung haben kann, aber auch, welche Risikofaktoren mit der Erkrankung assoziiert sind und welche präventiven Maßnahmen effektiv sein können [2]. Das fehlende Bewusstsein für die eigene Erkrankung kann dazu führen, dass die zahnärztliche Behandlung oft erst dann in Anspruch genommen wird, wenn es bereits zu massiven Gewebeverlusten gekommen ist und dadurch meist umfangreiche Therapiemaßnahmen notwendig werden. Je frühzeitiger Parodontitis erkannt und behandelt wird, umso weniger aufwendig und invasiv ist die Behandlung. Die Langzeitprognose der betroffenen Zähne ist deutlich besser und die Folgeschäden und -kosten der Parodontitisbehandlung für den Patienten und das Gesundheitssystem können signifikant begrenzt werden.

Parodontaler Screening-Index (PSI)
Der PSI ermöglicht eine schnelle und ökonomische Untersuchung im zahnärztlichen Alltag und damit die Chance, Parodontal­erkrankungen frühzeitig zu erkennen. Er basiert auf dem Community Periodontal Index of Treatment Needs (CPITN), der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ­offiziell als Basisuntersuchung für Studien zur oralen Gesundheit anerkannt wurde. Im Laufe der Zeit haben sich in verschiedenen Ländern auf Basis des CPITN parodontale Screeningverfahren etabliert und sich dabei leichte Variationen der Indizes entwickelt. Der in Deutschland etablierte Parodontale Screening-Index basiert weitgehend auf den Vorgaben des Periodontal Screening  & Recording (PSR), der von der American Dental Association (ADA) und der American Academy of ­Periodontology (AAP) veröffentlicht wurde [3].
Der PSI ist seit 2004 Bestandteil der vertragszahnärztlichen Versorgung und kann im Rahmen der GKV alle zwei Jahre abgerechnet werden (BEMA-Position 04). Seit seiner Einführung kann ein jährlicher Anstieg um circa 3 % beobachtet werden. Um beurteilen zu können, bei wie vielen GKV-Patienten der PSI erhoben wurde, ist es aufgrund der Abrechnungsvorgaben sinnvoll, einen Zeitraum von zwei Jahren zu betrachten. In den Jahren 2018 und 2019 wurde die BEMA-Position 04 in 34,6 Millionen Fällen und damit bei 48 % aller gesetzlich versicherten Patienten erhoben [4,5]. Im gleichen Zeitraum wurden aber nur etwa 2,2 Millionen systematische Parodontalbehandlungen durchgeführt [4, 5]. Auch wenn sich der PSI zunehmend in den zahnärztlichen Praxen etabliert, bleibt daher die Frage, ob aus dem Screeningbefund tatsächlich die richtigen Schlussfolgerungen und therapeutischen Konsequenzen gezogen werden. In Hinblick auf diese Diskrepanz haben Patientenvertreter und der GKV-Spitzenverband im G-BA eine eingehende Aufklärung der Patienten über ihren PSI-Befund, den möglichen Behandlungsbedarf und gegebenenfalls die Notwendigkeit weiterführender diagnostischer Maßnahmen gefordert. Diese Informationen sollen mit dem Inkrafttreten der PAR-Richtlinie zum 01.07.2021 in einer für den Versicherten verständlichen Form auf dem Vordruck 11 der Anlage 14a zum BMV-Z dokumentiert und mitgegeben werden.
Der PSI ist allerdings weder zur umfassenden Beurteilung der abgelaufenen noch der aktuellen Erkrankung geeignet. Bei der nachfolgend vorgestellten Patientin hatten alle Sextanten einen Code 4, daher erfolgte in der gleichen Sitzung eine weiterführende klinische und röntgenologische Untersuchung der parodontalen Situation, auf deren Grundlage die Diagnose gestellt und schließlich die konkrete Therapie geplant werden konnte.

Erstvorstellung und paro­dontitisspezifische Anamnese
Die 31-jährige Patientin stellte sich erstmals im Mai 2021 in unserer Praxis zur Kontrolle vor. Sie war allgemeinmedizinisch gesund und gab an, nicht zu rauchen und auch niemals geraucht zu haben. Die Patientin hatte bisher selbst keine Anzeichen einer Parodontalerkrankung oder akute Beschwerden wahrgenommen. Eine systematische Parodontaltherapie war bisher nicht durchgeführt worden.
Sie hatte ein naturgesundes Gebiss mit Versiegelung der Molaren, die 1. beziehungsweise 2. Prämolaren im Ober- und Unterkiefer waren während der kieferorthopädischen Therapie und die 3. Molaren vor etwa zehn Jahren extrahiert worden. Die Gingiva war zumeist blassrosa, zeigte aber lokalisiert massive entzündliche Veränderungen mit deutlicher Schwellung und Rötung der Interdentalpapillen. An Zahn 41 war bukkal eine beginnende Stillmann-Spalte zu erkennen (Abb. 1).

Klinische und röntgenologische Befunde
Der klinische Parodontalstatus zeigte bei 66,7 % der gemessenen Stellen Sondierungstiefen von 4–5 mm und bei 24,3 % von 6 mm und mehr. Es blutete an 38 % der Stellen nach dem Sondieren (Bleeding on Probing, BOP) und an mehreren Stellen trat Pus aus dem Sulkus aus. Die Zähne 17, 16, 26, 27, 37 und 36 hatten eine Lockerung von Grad I. Bei keinem der mehrwurzeligen Zähne konnten horizontale Attachmentverluste im Furkationsbereich sondiert werden (Abb. 2). Nachfolgend wurde eine Panoramaschichtaufnahme angefertigt, auf der horizontaler und vertikaler Knochenabbau bis ins mittlere Wurzeldrittel zu erkennen war (Abb. 3).

Diagnose nach aktueller Klassifikation und Antragstellung
In den vergangenen 30 Jahren wurde die Klassifikation der Parodontalerkrankungen wiederholt verändert, um sie an neue Erkenntnisse anzupassen. Mit ihrer Anwendung zeigten sich die Schwächen der Klassifikation von 1999 vor allem in Hinblick auf die Trennung zwischen der aggressiven und chronischen Form von Parodontitis. Pathobiologisch fehlen aber eindeutige Hinweise dafür, dass es sich um eigenständige Krankheitsentitäten handelt, und im Praxisalltag und der Falldefinition im Rahmen von wissenschaftlichen Fragestellungen kam es immer wieder zu Problem bezüglich einer klaren Trennung zwischen den beiden Gruppen und damit zur Überschneidung von Diagnosen. Zudem wurde bemängelt, dass patientenspezifische Risikofaktoren und auch die Behandlungskomplexität zu wenig in der Diagnose Berücksichtigung fanden. Im Jahr 2017 wurde auf Initiative der European Federation of Periodontology (EFP) und der American Academy of Periodontology die neue, aktuell gültige Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen erarbeitet und verbschiedet [6]. In Übereinstimmung mit dem aktuellen Wissensstand zur Ätiologie und dem klinischen Krankheitsbild werden dort drei Formen von Parodontitis unterschieden: die chronische und aggressive Form wurden in der Kategorie (1) Parodontitis vereint, (2) nekrotisierende Parodontitis und (3) Parodontitis als direkte Manifestation von systemischen Erkrankungen [7]. Die Parodontitis wird über das Stadium und den Grad weiter charakterisiert.
In der aktuellen Klassifikation werden vier Stadien der Parodontitis unterschieden. Zwischen Stadium I/II und Stadium III/IV gibt es deutliche Unterschiede in Hinblick darauf, wie die Betroffenen auf den oralen Biofilm reagieren und ihr Immunsystem die bakterielle Herausforderung bewältigt. Patienten mit einem Stadium I oder II haben eine beginnende oder moderate Erkrankung, keine Zähne durch Parodontitis verloren und werden auf die nichtchirurgische Therapie, die auf die Reduktion des bakteriellen Biofilms fokussiert, zumeist zuverlässig reagieren. Im Gegensatz dazu liegen bei einem Stadium III oder IV sehr wahrscheinlich endogene und/oder exogene Risikofaktoren vor, die die Immunantwort auf die bakterielle Infektion und damit die Fähigkeit, den Gewebeschaden zu begrenzen, negativ beeinflussen. Stadium III und IV Patienten sind komplexere Fälle, die spezifische Kenntnisse der Erkrankung und eine umfassendere klinische Kompetenz erfordern, um sie erfolgreich behandeln zu können [8]. Mit dem Grad wird die Diagnose um eine weitere Dimension ergänzt. Dabei stützt sich das Grading auf die grundlegenden Beobachtungen, dass nicht alle Individuen gleich empfänglich für Parodontitis sind, Schweregrad und Verlauf der Erkrankung durch den Einfluss verschiedener Risikofaktoren individuell sehr unterschiedlich sein können und einige Fälle eine intensivere Betreuung benötigen, um die parodontale Situation stabilisieren zu können. Mit dem Inkrafttreten der neuen PAR-Richtlinie ergibt sich aus dem individuellen Grad ein Anspruch auf eine unterschiedliche Anzahl von UPT-Terminen pro Jahr (Abb. 4).
Formal wird das Stadium durch den Schweregrad der Parodontitis und Komplexitätsfaktoren – Faktoren, die die Behandlung des Falles anspruchsvoller machen – definiert [8,9]. Der Schweregrad kann über den röntgenologischen Knochenabbau oder alternativ den Attachmentverlust kategorisiert werden. Bei der Patientin ging der marginale Knochenabbau lokalisiert über das koronale Wurzeldrittel hinaus (siehe Abb. 3 und 5), was in der Zuordnung einem Stadium III oder IV entspricht. In dem vorliegenden Fall wurden bei der Messung des Parodontalstatus Sondierungstiefen ≥  6 mm dokumentiert und dadurch bereits ein Komplexitätsfaktor für das Stadium III erreicht (siehe Abb. 2). Für die Differenzierung zwischen Stadium III und IV ist die Anzahl von Zähnen relevant, die aufgrund von Parodontitis extrahiert wurden. Insgesamt fehlten acht Zähne. Der Verlust der Zähne ist aber nicht durch Parodontitis bedingt, sondern aufgrund einer kieferorthopädischen Indikation beziehungsweise präventiv erfolgt. Es ist allerdings nicht immer möglich, die Ursache für Zahnverlust eindeutig einzuschätzen und Grenzfälle sollten mit klinischer Erfahrung und möglichst pragmatisch abgewogen werden. Jeder Parodontitisfall wird durch das höchste Stadium charakterisiert, für den dann auch das Ausmaß bestimmt wird [8]. Dafür ist relevant, wie viele Zähne aufgrund des Knochenabbaus/Attachmentverlusts und aufgrund von Komplexitätsfaktoren diesem Stadium zugeordnet werden. Der Grad wird zumeist indirekt über den Knochenabbauindex (prozentualer Knochenabbau/Alter) bestimmt. Bei der Patientin betrug der Knochenabbau mesial an Zahn 12 40 %, dividiert durch das Lebensalter von 31 Jahren ergibt das einen Wert > 1 und damit einen Grad C (Abb. 5). Nikotinkonsum oder das Vorliegen von Diabetes mellitus, insbesondere in Hinblick auf den Langzeit-Blutzuckerwert (HbA1c) können zu einer Erhöhung des Grades führen [9]. Diese Modifikatoren lagen bei der Patientin nicht vor, sie wurde anhand des Knochenabbauindexes zudem bereits im höchsten Grad eingeordnet. Auf Basis der Anamnese und der klinischen und röntgenologischen Befunde wurde bei der hier vorgestellten Patientin daher die Diagnose Parodontitis generalisiert Stadium III Grad C gestellt. Nach der Befunderhebung und Diagnosestellung wurde Anfang Juli 2021 die systematische Parodontaltherapie der Patientin beantragt und der Antrag zeitnah genehmigt.

Was ist aus der Vorbehandlung geworden?
In den Behandlungsrichtlinien von 2006 waren das Fehlen von Zahnstein sowie die Anleitung des Patienten zur richtigen Mundhygiene als regelmäßige Voraussetzungen für die Durchführung der Parodontaltherapie definiert [10] und damit immer wieder Thema von Prüfungsverfahren oder Beanstandungen seitens der Kassen. Während die Entfernung von Zahnstein (zumindest einmal pro Jahr) eine vertragszahnärztliche Leistung ist, gab es im BEMA bisher keine Position für die Mundhygieneunterweisung bei Erwachsenen – abgesehen von vulnerablen Patientengruppen. Damit wurde die privat vereinbarte Vorbehandlung mit professioneller Zahnreinigung (PZR) vor Antragstellung gelebte Realität in den Praxen und die Durchführung einer GKV-Therapie von der Inanspruchnahme privater Leistungen abhängig gemacht. Die Verwirrung in den Praxen ist groß und wiederholt kommt die kritische Frage, ob eine Parodontaltherapie ohne Vorbehandlung nachhaltig funktionieren kann. Oft wird dabei darauf hingewiesen, dass diese Behandlungsphase in der klinischen Leitlinie der EFP und DG Paro als Stufe 1 elementarer Bestandteil der Therapie aller Stadien der Parodontitis ist (Abb. 6) [11,12]. Diese Stufe umfasst nicht nur die Verbesserung der individuellen Mundhygiene, sondern zielt auch darauf ab, beeinflussbare lokale und systemische Risikofaktoren zu eliminieren beziehungsweise abzumildern (Beseitigung plaqueretentiver Faktoren, Raucherentwöhnung, Verbesserung der metabolischen Kontrolle eines Diabetes).
Verhalten nachhaltig zu ändern ist schwierig und bedarf einer umfassenden Aufklärung der Betroffenen. Maßnahmen und Empfehlungen müssen individuell angepasst und die Patienten kontinuierlich instruiert und motiviert werden. Die neue PAR-Richtlinie hat mit dem parodontologischen Aufklärungs- und Therapiegespräch (ATG) und der patientenindividuellen Mundhygieneunterweisung (MHU) neue Leistungen in die Behandlungsstrecke aufgenommen (siehe Abb. 4), die in den bisherigen Behandlungsrichtlinien zwar beschrieben oder auch regelhaft vorausgesetzt wurden, aber eben nicht im BEMA abgebildet waren. Beim ATG und der MHU wird der Fokus auf die Kommunikation mit dem Patienten als Grundlage für die gemeinsame Entscheidungsfindung und nachhaltige Verhaltensänderung gelegt (sprechende Zahnmedizin). Vielen Kollegen fehlt hier aber noch die PZR, die zumeist Bestandteil der bisherigen Vorbehandlung war. Die supragingivale Reinigung erleichtert es den Patienten, ihre Zähne sauber zu halten; zudem kann sie den subgingivalen Therapiebedarf reduzieren. Die professionelle Reinigung der Zähne ist aber nicht das entscheidende Element, durch das sich das Verhalten unserer Patienten verändern wird, und der Nutzen dieser Maßnahmen ist zeitlich stark begrenzt. Zudem enthält die Leistungsbeschreibung der AIT a/b (so wie früher der P200/201) nicht nur die die Entfernung der klinisch erreichbaren, subgingivalen weichen und harten Beläge, sondern eben auch die Beseitigung aller supragingivalen Beläge. Da die neue Behandlungsstrecke nicht die optimale, sondern nur eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung innerhalb des Solidarsystems abbilden kann, fehlt die supragingivale/gingivale Reinigung der Zähne an dieser Stelle, während sie in der UPT enthalten ist. Falls diese Leistung aber vom Patienten in dieser Therapiephase gewünscht wird, zum Beispiel nach dem Anfärben der Plaque bei der MHU, kann dies weiterhin privat vereinbart werden. Natürlich müssen Therapieziele und -maßnahmen weiterhin an die individuelle Situation und die Adhärenz der Patienten angepasst werden. Es ist aber auch medizinisch und ethisch kritisch, die Durchführung einer notwendigen Behandlung von Voraussetzungen (Mitwirkung) abhängig zu machen. Insbesondere da Parodontitis nicht nur lokale Schäden am Parodont verursacht, sondern auch Auswirkungen auf den gesamten Körper haben kann und in Zusammenhang mit einer Vielzahl von systemischen Erkrankungen steht [1].

Von ATG bis AIT
Es wird oft kritisch hinterfragt, warum das ATG erst nach Antragsgenehmigung durchgeführt werden kann, obwohl die Patienten doch eigentlich bereits vor der Antragsstellung über die Befunde, die Diagnose, die Therapie und mögliche Alternativen aufgeklärt werden müssen. Eine Therapieplanung ohne umfassende Information ist nicht sinnvoll, sodass wir in der praktischen Umsetzung der Richtlinie in unserer Praxis das ATG in zwei Schwerpunkte aufgeteilt haben. Die erste, orientierende Aufklärung über Befund, Diagnose und Therapie erfolgt vor der Antragsstellung. Die Information über die Bedeutung von gesundheitsbewusstem Verhalten zur Reduktion exogener und endogener Risikofaktoren sowie über Wechselwirkungen mit anderen Erkrankungen dann nach Antragsgenehmigung. Fragen zu der Erkrankung und der Therapiestrecke werden zu diesem Zeitpunkt noch einmal vertiefend geklärt. Bei der hier vorgestellten Patientin erfolgten ATG und MHU in einer gemeinsamen Sitzung. Bei der Mundhy­gieneunterweisung wurde die Patientin zu ihren bisherigen Zahnpflegegewohnheiten befragt. Sie nutze zur mechanischen Biofilmkontrolle zweimal täglich eine Handzahnbürste mit fluoridierter Zahnpasta und täglich Zahnseide. Die bakteriellen Beläge wurden angefärbt, der erhobene Plaqueindex (Plaque Control Record) lag bei 20 %, die Defizite in der Reinigung waren auf die Interdentalräume begrenzt (siehe Abb. 2). Daher wurden Interdentalraumbürsten in verschiedenen Größen angepasst, deren Anwendung demonstriert und mit der Patientin eingeübt. Da die Patientin jung war und bereits an einer schweren Parodontitis litt, obwohl keine exogenen Risikofaktoren erkennbar waren, hat sie vermutlich eine ausgeprägte, genetische Empfänglichkeit für überschießende Entzündungsreaktionen und damit auch ein hohes Risiko für andere chronische Erkrankungen im Körper. Die Patientin wurde eingehend über die Zusammenhänge aufgeklärt, in Hinblick auf ihr Alter insbesondere über die Wechselwirkungen von Parodontitis und Schwangerschaftskomplikationen. Nach der PAR-Richtlinie soll die MHU in zeitlichem Zusammenhang mit der AIT (antiinfektiösen Therapie) erfolgen, kann also auch nach der subgingivalen Instrumentierung durchgeführt werden. Dieser Freiraum ermöglicht die Umsetzung unterschiedlicher Therapiekonzepte oder auch, den Behandlungsablauf an den individuellen Fall anzupassen, zum Beispiel bei Patienten mit medikamentös induzierten Gingivawucherungen.
Die AIT in der PAR-Richtlinie entspricht der subgingivalen Instrumentierung der Stufe 2 der Behandlungsleitlinie der EFP und DG  Paro (Abb. 6). Der Leitlinie folgend wurde die Instrumentierung mit hand- und maschinell betriebenen Instrumenten (Schallscaler) durchgeführt [11]. In dem individuellen Fall erfolgte die Instrumentierung an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Bei diesem Full-Mouth-Vorgehen gibt es Hinweise darauf, dass die subgingivale Instrumentierung auch systemische Auswirkungen haben kann, zum Beispiel akute systemische Entzündungsreaktionen. Daher sollte bei der Entscheidung zwischen einem quadrantenweisen oder Full-Mouth-Vorgehen immer der allgemeine Gesundheitszustand und das Risikoprofil des Patienten berücksichtigt werden [11]. Tatsächlich berichtete die Patientin über Schüttelfrost und Abgeschlagenheit nach der subgingivalen Instrumentierung.
Aufgrund der Schwere der Erkrankung und des Alters der Patientin wurde die subgingivale Instrumentierung mit der systemischen Gabe von 500 mg Amoxicilin und 400  mg Metronidazol (jeweils dreimal täglich für sieben Tage) kombiniert. Systemische Antibiotika sollen nicht routinemäßig zusätzlich zur subgingivalen Instrumentierung eingesetzt werden, die adjuvante Anwendung kann aber für bestimmte Patientengruppen (schwere Krankheitsverläufe bei jungen Patienten, oft in Abwesenheit modifizierbarer Risikofaktoren) erwogen werden [11]. Der therapeutische Einsatz von Antibiotika in der PAR-Therapie richtet sich daher aktuell nach klinischen Kriterien. Die Auswahl der Antibiotika erfolgt nicht erregerspezifisch, sondern auf Basis der klinischen Evidenz. Die Kombination von Amoxicillin und Metronidazol zeigt dabei die beste Wirksamkeit, ist aber auch am häufigsten mit Nebenwirkungen verbunden [11].
Das Gewebe war lokalisiert so stark entzündlich verändert, dass es bei der Instrumentierung zu Verletzungen von Interdentalpapillen im Bereich der Zähne 31–33 kam und diese zur besseren Heilung mit Einzelknopfnähten adaptiert wurden. Der Patientin wurde die Anwendung einer Chlorhexidin-Mundspüllösung (0,2 %) bis zur Entfernung der Nähte empfohlen, da sie in diesem Bereich nur eingeschränkt mechanisch reinigen konnte. Nach einer Woche wurden die Nähte bei reizloser Wundheilung entfernt (Abb. 7). Zu diesem Zeitpunkt hatte die Patientin noch eine geringfügige Aufbissempfindlichkeit, die häufig nach subgingivaler Instrumentierung beobachtet werden kann. Zwei Wochen nach AIT erfolgte eine weitere Nachkontrolle, bei der die Passung der Interdentalraumbürsten überprüft und die Größen angepasst wurden.


Die weiteren Therapiesschritte
Die Evaluation des parodontalen Befundes (BEVa) soll entsprechend der Behandlungsrichtlinien drei bis sechs Monate nach der AIT erfolgen. Auf Basis dieses klinischen Befundes kann dann beurteilt werden, wie sich die parodontale Situation verändert hat und ob weiterführende parodontalchirurgische Maßnahmen notwendig sind, um die Therapieziele zu erreichen. Die chirurgische Parodontaltherapie (CPT, Stufe 3) zielt auf die Behandlung der Bereiche der Dentition ab, welche nicht adäquat auf die subgingivale Instrumentierung reagiert haben (persistierende parodontale Taschen ≥ 6 mm). Das Ziel ist es dabei, den Zugang für die subgingivale Instrumentierung zu verbessern oder die Läsionen, die zur Komplexität der Parodontitis und Parodontalbehandlung beigetragen haben, regenerativ oder resektiv zu therapieren [11]. Die Behandlungsleitlinie empfiehlt dabei klar, bei Patienten ohne adäquate Mundhygiene keine chirurgischen Interventionen durchzuführen. Falls die Indikation für eine chirurgische Weiterbehandlung bei der BEV  a vorliegt, sollte daher auch ein Termin zur Kontrolle der Mundhygiene und, falls notwendig, zur professionellen Reinigung der Zähne außervertraglich vereinbart werden (die UPT hat dann noch nicht begonnen). Die individuelle Reaktion auf die dritte Therapiestufe/CPT muss dann nochmals beurteilt werden (BEVb).
In dem individuellen Fall erfolgte die BEV a im November 2021, drei Monate nach der AIT. Trotz der lokalisiert sehr tiefen Taschen und eines vertikalen Knochendefekts an Zahn 12 hatte sich die parodontale Situation so verbessert, dass an keiner Stelle persistierende Sondierungstiefen von ≥ 6  mm und damit keine Indikation für eine weiterführende chirurgische Therapie vorlag (Abb. 8 und 9).
Die aktive Parodontaltherapie wurde in diesem Fall nach der AIT abgeschlossen und die Patientin in die unterstützende Parodontaltherapie (UPT) eingegliedert. Die UPT zielt darauf ab, parodontale Stabilität langfristig aufrechtzuerhalten. Abhängig vom gingivalen und parodontalen Status werden dabei präventive und therapeutische Interventionen aus den Therapiestufen 1 und 2 kombiniert. Diese Betreuung sollte in regelmäßigen und den Bedürfnissen des Patienten angepassten Intervallen erfolgen. Bei jeder dieser UPT-Sitzungen kann erneut eine, in der Regel lokalisierte, subgingivale Instrumentierung nötig sein, wenn ein Wiederauftreten der Erkrankung erkannt wird [11]. Daher ist die regelmäßige Kontrolle der Befunde erforderlich.
Die Bereitschaft zur Umsetzung des empfohlenen Mundhygieneregimes und die Förderung eines gesunden Lebensstils sind ebenfalls Ziele der UPT. Eine wesentliche Neuerung der PAR-Richtlinie ist, dass die UPT als relevanter Baustein zur Sicherung des Behandlungserfolgs in die GKV-Behandlungsstrecke aufgenommen wurde. Versicherte können, ausgerichtet am individuellen Bedarf, zwei Jahre nach Abschluss der aktiven Behandlungsphase UPT-Leistungen (UPTa-g) in Anspruch nehmen. Die Frequenz der UPT-Sitzungen wird dabei vom Grad der Parodontitis abhängig gemacht. Bei der hier vorgestellten Patientin lag ein Grad C vor, damit wurden sechs UPT-Sitzungen über den Zeitraum von sechs Jahren beantragt.
Anhand des Parodontalstatus der BEVa kann bei der ersten UPT-Sitzung entschieden werden, welche Zähen erneut subgingival reinstrumentiert werden sollten; Stellen mit Sondierungstiefen von 4 mm und BOP und Sondierungstiefen ≥ 5 mm. Im vorgestellten Fall hatten folgende Zähne entsprechende Sondierungstiefen: 17, 16, 15, 12, 27, 25, 36, 37, 46 und 47. Die Mundhygienekontrolle (UPTa) zeigte eine weitgehend effektive Mundhygiene (PCR von 21 %), sodass keine wiederholte umfassende Unterweisung durchgeführt wurde (UPTb), die Patientin aber erneut motiviert und die Passung der Hilfsmittel zur Reinigung der Zahnzwischenräume kontrolliert wurden.
Die BEVa umfasst auch die Beurteilung der Röntgenbilder. Damit ist aber nicht gemeint, dass zu diesem Zeitpunkt neue Röntgenaufnahmen angefertigt werden müssen. Die Patientin störte die Lücke zwischen den Zähnen 12 und 11. Vor weiteren Behandlungsmaßnahmen wurde zur Beurteilung der Situation im Bereich des vertikalen Knochendefekts ein Einzelzahnröntgenbild aufgenommen. Das Bild zeigte eine deutliche Auffüllung des Knochendefekts im Vergleich zu der Panoramaschichtaufnahme zu Beginn der Parodontaltherapie (Abb. 10). Neben der klinischen Verbesserung zeigte damit auch die röntgenologische Situation keine Notwendigkeit für weiterführende chirurgische Maßnahmen und die Zähne wurden mittels Komposit verbreitert, um die Lücke zu schließen (Abb. 11a und b).
Die Patientin nimmt seitdem regelmäßig an den weiteren UPT-Terminen teil und die klinische Situation hat sich noch weiter stabilisiert und verbessert.

Tipp:
Unterstützung bei der Umsetzung der neuen PAR-Richtlinie finden Sie unter www.par-richtlinie.de. Dort werden die neue Behandlungsstrecke und Tipps für jeden Schritt der Therapie zur Verfügung gestellt.

Tipp:
Die DG PARO-Jahrestagung 2022 findet vom 15.–17.09.2022 in der Stuttgarter Liederhalle statt; das Tagungsthema lautet Paro – Restaurativ. Ein starkes Referenten-Line-up beschäftigt sich mit der wichtigen und kritischen Frage, wie, wann und womit man Patienten mit schwerer Parodontitis am besten funktionell und auch ästhetisch rehabilitiert.

Vita
Prof. Dr. Bettina Dannewitz ist Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG Paro) und in eigener Praxis in Weilburg niedergelassen. Seit 2018 hat sie eine außerplanmäßige Professur an der Goethe-Universität, Frankfurt am Main, inne. Ihr Tätigkeitsschwerpunkt umfasst neben der Parodontologie, die Zahnerhaltung und die Endodontologie.
Ihr Studium der Zahnheilkunde hat sie in Heidelberg absolviert. Dort hat sie im Jahr 2001 promoviert, 2004 ihre dreijährige Spezialisierung im Fach Parodontologie abgeschlossen und 2009 habilitiert. Zudem ist sie Autorin zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und Fortbildungsbeiträge, Gutachterin in mehreren Fachzeitschriften und Referentin internationaler und nationaler Tagungen.

Kontakt
Prof. Dr. Bettina Dannewitz
Zahnärztliche Gemeinschaftspraxis
Dres. Dannewitz & Glass
Langgasse 36–38, 35781 Weilburg
bettina.dannewitz@t-online.de

Hier finden Sie den Literaturnachweis: tw_2022_03_dannewitz_lit.pdf (teamwork-media.de)

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