Praxisbericht

Chairside & Praxis

12.04.22

Es kommt Bewegung ins System

3D-Tracking schließt Lücke im digitalen Workflow

3D-Tracking, Bewegungsaufzeichnung, Bewegungsmuster, Diagnostik, Therapieplanung

Jörn Pfafferott

03 – Die .stl-Daten der Zahnreihen aus dem Intraoralscan wurden in der DMD-Software mit den Daten der Aufzeichnung gematcht. Jede Position auf der Gelenkbahn ist der entsprechenden Position des Unterkiefers zum Oberkiefer zugeordnet

Für Zahnmediziner hat sich in den letzten Jahren mit der Digitalisierung der Behandlungs­abläufe viel verändert. Neue Vorgehensweisen erfordern ein Umdenken und so entstehen Behandlungs­methoden, die völlig neue Erkenntnisse bezüglich der Patienten mit sich bringen. Zahnarzt Jörn Pfafferott erläutert, wie ein 3D-Trackingverfahren in Verbindung mit einem Intraoralscanner den digitalen Behandlungsablauf positiv beeinflussen kann.

Führen Sie sich einmal folgendes Szenario vor Augen: Ein analoges Hilfsmittel zur Diagnostik und Therapieplanung ist die Analyse von Modellen. Diese beginnt mit der Alginatabformung und führt zur Erstellung von Gipsmodellen, welche dann händisch geführt einer bestimmten Bewegungsbahn des Unterkiefers zugedacht werden, einzig und allein den Schlifffacetten beziehungsweise dem Relief der Zähne folgend. Die Interpretation der Information war und ist beeinflusst durch die Kompetenz und Vorstellungskraft des Behandlers und des Zahntechnikers und folgt damit stets einem subjektiven Urteil. In tiefergehenden Analysen wurde die Lage des Oberkiefers schädelbezüglich in einen Artikulator übertragen und der Unterkiefer abhängig vom Registrat zugeordnet. Nach diesem Aufwand und der nun vorhandenen artikulatorsimulierten Kiefergelenke nebst Gelenkbahnneigung und Benettwinkel geht man davon aus, ablaufende dynamische Bewegungsprozesse nachvollziehen und in eine vom Patienten akzeptierte Prothetik umsetzen zu können. Und nicht nur das, auch beschriebene Schmerzzustände mussten ursächlich über diese Analysen verständlich erfassbar gemacht werden. Diese Methodik hat lange Zeit die Zahnmedizin dominiert und ist trotz vieler Erfolge, die mit viel Arbeit verbunden waren, zu überdenken, denn letztendlich können die tatsächlichen Bewegungen nur sehr begrenzt dargestellt werden.

Abgrenzung: gesund versus pathologisch
Bei dem hier verwendeten DMD-System (Dental-Motion-Decoder-System) handelt es sich um eine Aufzeichnungsmöglichkeit der real stattfindenden Bewegungen zu einer Bezugsebene, zum Beispiel Achs-Orbitalebene oder Tischebene. In der Software ist es gelungen, jeder Position der Kondylen (Doppelgelenk) die entsprechende Lage des Unterkiefers zum Oberkiefer zuzuordnen. Das bedeutet, dass patientenindividuelle Funktionen räumlich und dynamisch anhand der Zahnreihen in Verbindung mit den Bewegungsbahnen der Kiefergelenke zu sehen und kongruent zu analysieren sind. Gesunde Bewegungsbahnen können sofort von pathologisch unphysiologischen unterschieden und das Krankheitsbild dokumentiert werden, jeweils mit Screenshots als Nachweis. Im Vorfeld erfolgt zusätzlich immer eine manuelle Strukturanalyse und der Patient füllt einen Schmerzbogen aus.
Als primärer Vorgang wird ein Situationsmodell per Intraoralscan (True Definition Scanner, 3Shape) erstellt. Im Anschluss werden Markertools (6 DOF-Sensoren) im Ober- und Unterkiefer lichthärtend aufgeklebt, zumeist in der Region der Prämolaren. Es folgt ein weiterer Scan unter Einbezug der Sensoren. Anschließend wird der Patient unter dem Magnetfeldgenerator positioniert. Eine Erklärung zu den folgenden Bewegungsaufzeichnungen sollte dem Patienten gegenüber erfolgen, damit dieser den entsprechenden Anweisungen folgen kann. Die Bezugsebene wird mit dem sogenannten Pointing Tool festgelegt (Abb. 1). Diese richtet sich nach dem Artikulatorsystem, welches nachfolgend in der Zahntechnik verwendet wird. Der äußere tastbare Pol des Kiefergelenkköpfchens wird von außen angetastet und in der Software festgehalten. Bei diesem Vorgehen spricht man heute auch vom digitalen Gesichtsbogen. Anschließend werden nacheinander freie und forcierte Bewegungen ausgeführt und jeweils mit dem DMD-System zeitbezogen aufgezeichnet (Abb. 2). Die benötigten Schritte sind als Protokoll in der DMD-Software vorgegeben. Nach der Prüfung der Daten werden die Sensoren wieder entfernt und die Zähne entsprechend poliert und fluoridiert. Der Patient kann zu diesem Zeitpunkt entlassen werden.

Patientenfall
Anamnese: Die Patientin ist Anfang 20, nach den Angaben im Schmerzprotokoll wird keinerlei Symptomatik des Kiefergelenks beklagt und keinerlei Schmerzen – nur, dass erst beim Verschieben der Zähne richtig Kontakt entsteht. Während der Aufzeichnung äußert die Patientin, dass sie sich wünschen würde, einen gleichmäßigen Kontakt zu fühlen. Diese Patienteninformationen fließen in die Auswertung mit ein.
Zuordnung OK/UK: Im nächsten Schritt werden die Scans von Ober- und Unterkiefer mit aufgeklebten Sensoren in die Software des DMD-Systems eingepflegt und über ein Matching mit den Aufzeichnungen der Bewegungsbahnen synchronisiert (Abb. 3). Jetzt hat man die Möglichkeit, jede Position auf der Gelenkbahn einer Position des Unterkiefers zum Oberkiefer zuzuordnen.
Analyse: Es folgt eine genaue Analyse in der DMD-Software in Bezug auf zahnbezogene Kontakte und eventuelle Hindernisse. Auch die Natur ist kein Garant für eine fehlerfreie Zahnzuordnung und so kann eine Fehlstellung Aufschluss über einen entsprechenden Niederschlag in der Bewegungsaufzeichnung geben. Die Daten bilden die Grundlage einer bisher nicht durchführbaren Analyse und schaffen die Möglichkeit, entsprechende Informationen an den Zahntechniker weiterzugeben beziehungsweise Maßnahmen zur Gesundung des Kausystems einzuleiten.
Sensorische Betrachtung: Hierbei ist es wichtig, einen Blick auf die körpereigene Sensorik zu werfen. Das System ermöglicht eine Aufzeichnung, bei der jeder Zahn seine Taktilität behält. Eingebrachte Materialien zum Registrieren können die Berührungsempfindlichkeit und das darauffolgende Bewegungsmuster einschränken. Insbesondere Wachsplatten, welche mit Materialien beschickt werden, setzen im Gehirn programmierte Bewegungsmuster außer Betrieb. Genau dort könnten Schwachpunkte sein, denn nach der Berührung der Zähne im Nahbereich erfolgt durch Ablaufen eines Programms, welches als neuro-sensorisches Muster hinterlegt ist. So kann es eben sein, dass ein Kontakt der Frontzähne während der Bewegung die Änderung der Richtung beziehungsweise den Ablauf eines dieser Muster bewirkt. Genauso wirken sich Gewohnheiten, welche der Patient aus ungenannten Gründen entwickelt, auf die Bewegungen des Unterkiefers aus.
Die zunehmende Lebenszeit beansprucht das Kauorgan in erheblichem Ausmaß. Die Reduktion der Zahn- und Knochensubstanz bewirkt Zahnbeweglichkeiten, Veränderung der Sensitivität, Substanzverlust und damit Veränderungen der Beweglichkeit des gesamten Systems. Die altersgerechte Zunahme der Implantatprothetik schafft eine besondere Problematik, denn hier kann die fehlende sensorische Integration bei Nichtbeachtung der Funktion zum Prothetik-Killer werden.
Bewegungsmuster einordnen: Die Verschlüsselung der unteren und oberen Zahnreihen erfolgt im Einklang mit der Lage und Morphologie der Zähne, deren Kauflächen- und Reliefgestaltung (Abb. 4). Die maximale habituelle Interkuspidation bedingt gleichzeitig die Endposition, Lage und Positionierung, der Kondylen im Kiefergelenk. Der letzte Bewegungsabschnitt in diese Position erfolgt zahngeführt. Alle nicht zahngeführten Bewegungsabschnitte erfolgen somit unter Beteiligung anderer Strukturen, wie Muskeln und Bänder, und sind durch Freiräume im Kiefergelenk limitiert.
Befindet sich der Unterkiefer in der Habituellen, sind Abstände des Condylus zu knöchernen Strukturen der Schädelbasis definiert. Wir kennen durchschnittliche Werte dieser Abstände im gesunden Kiefergelenk. Genauso wissen wir, wie eine funktionelle Bewegungsbahn aussieht. Wir müssen also unterscheiden zwischen einem zahn- und berührungsbezogenen Bewegungsmuster (Abb. 5) und einer muskulär-kondylär bezogenen Bewegung. Sobald also die Zähne aus dem Spiel sind, kommt dem Kiefergelenk in Verbindung mit seiner Begrenzung eine tragende Bedeutung zu. Sind Freiräume nicht oder nicht mehr ausreichend vorhanden, kommt es zur Überlastung der Weichgewebsarchitektur, Synoviaverlust und zu Stoffwechselstörungen innerhalb der knorpeligen Anteile.

Jörn Pfafferott betreibt seit mehr als 25 Jahren eine eigene Praxis in Ottobrunn. Vor zwei Jahren hat er das DMD-System in sein Therapiekonzept und den digitalen Workflow der Praxis integriert. Als Referent teilt er seine Erfahrungen zum Thema „Physiologische Positionierung der Kiefergelenke und Okklusion – ein neuer diagnostischer Ansatz“ mit seinen zahnärztlichen Kollegen.

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