Fachbericht

Implantologie & Parodontologie

16.11.21

Implantate und Parodontitis

Therapie einer fortgeschrittenen Parodontitis mit Stützzonenverlust

Diagnostik, Implantate, Komplikationsmanagement, Parodontisis, Therapieplanung, unterstützende Parodontaltherapie

PD Dr. Hari Petsos MSc

Eine 34-jährige Patientin mit einer Parodontitis (Stadium IV, Grad C) wies bei Erstvorstellung bereits eine Freiendsituation im ersten Quadranten und eine Schaltlücke in regio 26 auf. Sie wünschte sich einen festsitzenden Ersatz der verloren gegangenen Zähne. Eine beidseitige Implantation mit Augmentation nach Herstellung entzündungsfreier parodontaler Verhältnisse führte nach einer zwischenzeitlichen Explantation und Neuimplantation eines Implantats zu einem langfristig zufriedenstellenden und stabilen Behandlungsergebnis.

Fragen zur Therapie
Warum wurde nicht zunächst versucht, die Zähne 24 und 25 zu erhalten, um zur Reevaluation darüber zu entscheiden?

Die Patientin wollte schnellstmöglich ans Ziel eines festsitzenden Zahnersatzes kommen und lehnte von Beginn an den Erhaltungsversuch dieser beiden Zähne ab.

Warum wurden im I. und II. Quadranten nicht jeweils drei Implantate vorgesehen?
Die Versorgung mit drei Implantaten auf beiden Seiten hätte keinerlei Vorteil für die Patientin ergeben und womöglich aufgrund zu geringer interimplantärer Abstände periimplantäre Infektionen provoziert.

Was verdeutlicht dieser Fall?
Oberste Priorität in der Parodontologie hat der Zahnerhalt, im Optimalfall bei möglichst geschlossener Zahnreihe [1]. Dennoch sind Patienten, die bereits eine Lücken- beziehungsweise Freiendsituation aufweisen oder Zähne haben, deren Befund einen Erhalt ausschließt, keine Ausnahme. Auch dieser Ausgangssituation gilt es sich zu stellen und den am besten geeigneten Behandlungsansatz zu finden. Unter der Voraussetzung entzündungsfreier paro­dontaler Verhältnisse sind in diesen Fällen neben zahngetragenen Restaurationen auch implantat­getragene Restaurationen eine Option [2, 3], insbesondere dann, wenn die benachbarten Zähne zwar erhaltungswürdig sind, aber den prothe­tischen Ansprüchen als Pfeilerzahn nicht genügen. Eine voraus­gegangene Parodontitis wurde bereits in zahlreichen Studien als Risikofaktor für einen implantologischen Langzeiterfolg identifiziert [2–7]. Die Entscheidung für eine implantatgetragene Versorgung ­sollte immer, vor allem vor dem Hintergrund möglicher Extraktionen, unter Abwägung aller Risikofaktoren getroffen und im Vorfeld mit den Patienten diskutiert werden.
Der folgende Fall soll einen Überblick über die systematische Behandlung einer fortgeschrittenen Parodontitis mit anschließender implantologischer Weiterversorgung und dem Management von Komplikationen, wie sie auftreten können, geben. Er verdeutlicht, welche weitreichenden Konsequenzen eine Unterbrechung der Zahnreihe haben kann.

Diagnostik und Therapieplanung
Anamnese und Erwartungen
Die 34-jährige Patientin stellte sich erstmals 2014 auf Überweisung eines Kollegen vor. Sie war allgemein gesund, Nichtraucherin und berichtete über die Entfernung von insgesamt sechs Zähnen im vergangenen Jahr sowie von unregelmäßig durchgeführten Zahnreinigungen. Zuletzt fiel ihr eine zunehmende Lockerung mehrerer Zähne auf.
Die Patientin hatte hohe ästhetische Ansprüche und war an einer umfassenden Therapie interessiert. Sie fühlte sich im beruflichen Alltag aufgrund der vielen fehlenden ­Zähne nicht wohl und gab an, sich beim Lächeln zu schämen. Mittelfristig wünschte sie sich einen festsitzenden Ersatz der verlorenen gegangenen Zähne.

Klinische Ausgangsbefunde
Der Ausgangsbefund ist den Abbildungen 1 und 2 zu entnehmen. Ein leichtes Diastema mediale im Oberkiefer lag auf Nachfrage bei der Patientin nicht immer vor. Es fanden sich weitestgehend approximal weiche, supragingivale Beläge (Plaque control record, PCR [8]: 42 %), eine generalisierte Blutung im Bereich der marginalen Gingiva (Gingival bleeding index, GBI [9]: 35 %) und eine genera­lisierte Blutung beim Sondieren (Bleeding on probing, BOP: 66 %) (Tab. 1). Auf eine ­erste Nachfrage, ob sie möglicherweise eine Schienung in der Oberkieferfront akzeptieren könne, reagierte sie ablehnend – sie wollte „keine weiteren Therapieversuche an den wackligen Zähnen“.

DatumMHT/UPTGBI (%)PCR (%)BOP (%)
04/2014MHT I354266
04/2014MHT II2730
08/2014UPT I/Reevaluation253917
11/2014UPT II16269
05/2015UPT III7246
09/2015UPT IV6276
10/2020UPT V5566
Tab. 1 – Auflistung der Werte für GBI, PCR und BOP zu den jeweiligen Terminen. MHT: Mundhygienetraining, UPT: Unterstützende Paradontitistherapie,
GBI: Gingival bleeding index, PCR: Plaque control record, BOP: Bleeding on probing

Röntgenbilder
Die Patientin brachte zum ersten Termin eine im Jahr 2010 angefertigte Panorama­schichtaufnahme (PSA) mit (Abb. 3). Zu diesem Zeitpunkt fiel auf, dass die Zahn­reihe im Oberkiefer noch geschlossen war. Es zeigte sich bereits ein generalisierter horizontaler Knochenabbau bis ins mittlere, lokalisiert bis ins apikale Wurzeldrittel, insbesondere im Oberkiefer.
Im Vergleich zu einer aktuellen PSA aus 2014 fielen zum damaligen Zeitpunkt insbesondere die zwischenzeitlich verlorenen Zähne 17 bis 14, 26 und 47 auf. Der Knochenabbau lag zwischen 2 und 12 mm, gemessen als Distanz zwischen der Schmelz-Zement-­Grenze und dem Limbus alveolaris abzüglich 2 mm: Parodontaler Knochenabbau liegt vor, wenn der Abstand von der Schmelz-Zement-Grenze um Limbus alveo­laris ≥ 2 mm ist (Abb. 4) [10].

Diagnosen

  1. Parodontitis Stadium IV, Grad C [11](ehemals generalisierte aggressive Parodontitis [12])
  2. nicht erhaltungsfähige Zähne 11, 24 und 25 (insbesondere vor dem Hintergrund der abgelehnten Schienung und der prothetischen Wertigkeit für die weitere festsitzende Versorgung)
  3. Freiendsituation im ersten Quadranten und eine Schaltlücke in regio 26 (vor Extraktion 24 und 25)

Prognose
Der langfristige Erhalt der Zähne 11, 24 und 25 wurde als hoffnungslos eingestuft, da sie einen bereits stark fortgeschrittenen Knochenabbau (> 50 % der ­Wurzellänge) bei gleichzeitiger Lockerung dritten Grades aufwiesen. Zahn 24 wies darüber ­hinaus eine Grad-III-Furkation auf. Die Prognose des Zahns 11 wurde, insbeson­dere auch, weil die Patien­tin eine Schienung ablehnte, herabgestuft. Die Zähne 12, 21 und 22 wurden zu Beginn der Therapie als fraglich beurteilt, da ­sie einen Knochenabbau von > 50 Prozent der Wurzellänge aufwiesen, was mit einem erhöhten Risiko für Zahnverlust korreliert [13].

Therapieplanung

  1.  Extraktion der Zähne 11, 24 und 25 und Anfertigung einer Interimsprothese
    Mundhygienetraining mit Motivation und Instruktion zu einer effektiven individuellen Plaquekontrolle und professionelle Zahnreinigung
  2. Systematische antiinfektiöse Therapie mit adjuvanter Antibiose
  3. Reevaluation
  4. Unterstützende Parodontitistherapie (UPT)
  5. Implantation in den Regionen 16, 14, 11, 24 und 26 mit zeitgleicher beidsei­tiger externer Sinusbodenelevation
  6. Definitive prothetische Rehabilitation des Oberkiefers

Aufklärung, Beratung, weiterführendes ärztliches Gespräch
Die Patientin wurde über die möglichen Konsequenzen bei unterlassener Behandlung aufgeklärt: mittelfristiger Verlust der Zähne mit fraglicher Prognose. Als Therapiealternativen wurden die geschlossene Therapie aller Zähne mit anschließender prognostischer Neubeurteilung und die daraus resultierende Extraktion der Zähne 12 bis 22 sowie 24 und 25 mit anschließender Coverdenture-Prothese im Oberkiefer beziehungsweise ein Verzicht auf die Implantation in regio 11 bei permanenter Kompositschienung der Oberkieferfront diskutiert.
Die Patientin wurde im Vorfeld der Behandlung über die erhöhten Komplikationsraten bei einer Implantation im parodontal kompromittierten Gebiss aufgeklärt. Abschließend wurde die Notwendigkeit einer regelmäßigen UPT zur Sicherung des Therapieergebnisses besprochen [14–17].

Therapie
Zahnextraktionen
Im Mai 2014 erfolgte die Entfernung der Zähne 11, 24 und 25 mit anschließender Versorgung mit einer ­Interimsprothese. In regio 11 wurde aufgrund der bereits im koronalen Drittel der Alveole resorbierten bukkalen Knochenlamelle Bio-Oss Collagen (Geistlich Biomaterials) im Sinne einer „socket preservation“ eingebracht [18].

Mundhygienetraining und antiinfektiöse Therapie
Die antiinfektiöse Therapie erfolgte im April 2014. Zur Reinigung der Approximalräume wurde der Patientin die Anwendung von Interdentalraumbürsten empfohlen. In den ersten Sitzungen wurden Mundhygieneindizes (GBI [9], PCR [8]) zur Motivation und Erfolgskontrolle erhoben. Im Zuge der professionellen Zahnreinigung wurden harte und weiche supra- sowie erreichbare subgingivale Zahnbeläge entfernt.
Die subgingivale Instrumentierung aller pathologisch vertieften Taschen unter Lokalanästhesie erfolgte an zwei aufein­anderfolgenden Tagen nach dem Prinzip der Full-Mouth-Disinfection [19–21] mit begleitender adjuvanter ­Antibiose (Amoxi­cillin 500 mg und Metronidazol 400 mg 3 x täglich für eine Woche) [22].
Die Patientin wurde angewiesen, für die folgenden zwei Wochen morgens und abends etwa zwei Minuten lang mit einer 0,12-prozentigen Chlorhexidin­digluconat-Lösung zu spülen und zu gurgeln. Zusätzlich putzte sie über diesen Zeitraum Zähne und Zunge mit einem einprozentigen Chlorhexidindi­gluconat-Gel.

Reevaluation
Vier Monate nach der antiinfektiösen Therapie, im August 2014, erfolgte die Reevaluation (Abb. 5). Die Interdentalbürsten wurden angepasst, und anschließend erfolgte die Reinigung sämtlicher Zahnflächen mittels Hand- und Schall­instrumenten mit nachfolgender Politur. Persistierende Taschen mit 4 mm Sondierungstiefe und BOP sowie Taschen von ≥ 5 mm wurden subgingival mit Hand- und Schallinstrumenten gereinigt und einprozentiges Chlorhexidindigluconat-Gel subgingival instilliert. Weiterführende paro­dontalchirurgische Maßnahmen waren aufgrund des deutlichen Therapieerfolgs zunächst nicht indiziert [23].
Abschließend wurde die Patientin in die UPT überführt. Zur Parodontitisrisiko­bestimmung wurde das „Periodontal Risk Assessment“ (PRA) verwendet [24–26], nach dem ihr Risiko als hoch eingestuft wurde und ihr folglich ein vierteljährliches UPT-Intervall zugewiesen wurde.

Unterstützende Parodontitistherapie
In regelmäßigen Abständen wurden ­orale Befunde sowie Zahn- und Parodontalstatus erhoben. Persistierende Taschen mit 4 mm Sondierungstiefen und BOP sowie Taschen ≥ 5 mm wurden subgingival mit Hand- beziehungsweise Schallinstrumenten gereinigt und einprozentiges Chlorhexi­dindigluconat-Gel subgingival appliziert. Die Praktikabilität und Effektivität der Interdentalraumbürsten wurde für jeden Zahnzwischenraum überprüft und gegebenenfalls angepasst. Tabelle 1 zeigt eine Auflistung der GBI-, PCR und BOP-Werte zu den jeweiligen MHT/UPT-Terminen.
Aufgrund der kontinuierlichen Befundverbesserung und der regelmäßigen Teilnahme der Patientin an der UPT bis November 2014 wurde mit der Planung der Implantattherapie im Oberkiefer begonnen.

Implantologie
Im November 2014 wurde eine PSA mit einer zuvor angefertigten Orientierungsschablone erstellt und anschließend vermessen (orange Linien; SidexisneXt ­Generation, Sirona Dental Systems) (Abb. 6). Es wurden mit Absicht in jeweils allen drei Regionen im Seitenzahnbereich Bohrhülsen platziert, damit intraoperativ die Flexibilität bestand, von einer geplanten Implantatposition abweichen zu können.
Im selben Monat erfolgte die Implantation in regio 16, 14, 11, 24 und 26. Der Eingriff erfolgte ambulant in nasaler Intuba­tionsnarkose. Es wurde beidseitig ein nach palatinal versetzter Kieferkammschnitt mit vertikalen Entlastungen angelegt und ein Mukoperiostlappen von 14/24 bis in regio 17/27 präpariert. Anschließend wurde beidseits ein ovales knöchernes Fenster im Bereich des Sinus präpariert, ohne dabei die Schneider’sche Membran auf der ­Innenseite zu perforieren. Diese wurde danach vorsichtig bis nach palatinal vom Sinusboden gelöst und abpräpariert, bis ein ausreichend dimensionierter Hohlraum zur Aufnahme der geplanten Implantate, insbesondere in den Positio­nen 16 und 26, entstand. Dann wurde in den entsprechenden Regionen für die Implantate in nach Möglichkeit prothetisch optimaler Position das jeweilige Implantatbett präpariert. Vor Insertion wurde zunächst der palatinale Anteil des ehemaligen ­Sinus mit allogenem Knochenersatz­material (Puros Allograft, Zimmer Dental) gefüllt (Abb. 7). Anschließend wurden die Implantate (Astra-Tech Osseo­speed TX S, Durchmesser 5.0 × Länge 11 mm) primärstabil eingebracht, mit Abdeckschrauben verschlossen und der restliche Bereich des Sinus augmentiert. Ein spannungsfreier Wundverschluss in diesem Bereich wurde nach Reposition des Mukoperiostlappens über Einzelknopfnähte mit monofilen Nahtmateria­lien verschiedener Stärke (SABA­pol 5-0 und SABAfil 4-0, ­Sabana Medizinbedarf) erreicht. In regio 11 wurde nach bukkal und palatinal jeweils ein vollschichtiger Lappen abpräpariert. Es folgte die Implantatbettaufbereitung, abschließend wurde das Implantat (Astra-­Tech Osseospeed TX S, Durchmesser 5.0 × Länge 11 mm) primärstabil eingebracht und mit einer Abdeckschraube verschlossen. Augmentative Maßnahmen waren nur im oberen bukkalen Drittel notwendig. Dieser Bereich wurde ebenfalls mit allogenem Knochenersatzmaterial augmentiert, mit einer Kollagenmembran (Jason Membran, Straumann) bedeckt und spannungsfrei verschlossen (Abb. 8).
Nach Abschluss der ­implantologischen Maßnahmen erfolgte eine Röntgen­kontroll­aufnahme (Abb. 9). Die Patientin spülte bis zwei Wochen nach der Implantation morgens und abends etwa zwei Minuten mit einer 0,12-prozentigen CHX-Lösung und applizierte mehrmals täglich nach der Mundhygiene ein einprozentiges CHX-Gel auf die Wunden [27]. Zusätzlich wurden ihr für fünf Tage ein Antibiotikum (Amoxicillin 1 000 mg) zur dreimal täglichen Einnahme und ein Analgetikum (Ibuprofen 600 mg) als Bedarfsmedikation verschrieben.

Komplikationsmanagement
Im Februar 2015 stellte sich die Patientin noch innerhalb der vorgesehenen sechsmonatigen Einheilphase der Implantate mit einer Schleimhautdehiszenz über dem Implantat in regio 26 vor, die zunächst über das Einbringen eines Gingivaformers versorgt wurde. Eine PSA ließ einen schüsselförmigen Defekt im Bereich des Mikrogewindes des Implantats 26 erkennen (Abb. 10). Gemeinsam mit der Patien­tin wurde sich für eine Explantation mit zeitgleicher Neuimplantation entschieden. Eine verzögerte Implantation lehnte die Patientin ab, obwohl sie über das ­Risiko einer erneuten spontanen Freilegung und die fehlende Evidenz dieses Therapieverfahrens aufgeklärt wurde, da sie möglichst schnell versorgt werden wollte.
Im März 2015 wurde unter lokaler Anästhesie zunächst das Implantat 26 unter maximaler Schonung des umliegenden Knochens ausgedreht (Implant Removal Kit, Biomet3i). Anschließend wurde das kreisrunde vorherige Austrittsprofil des Gingivaformers mit einem Diamanten entepithelisiert und das schüsselförmig darunter ­liegende Granulationsgewebe scharf entfernt, ohne einen Lappen zu bilden. Daraufhin wurde ein neues, kürzeres Implantat (Astra-­Tech Osseospeed TX, Durchmesser 5.0 x Länge 9 mm) so inseriert, dass die Implantatschulter auf dem Boden des schüsselförmigen Defekts zu liegen kam. Es wurde mit einer ­Abdeckschraube verschlossen und anschließend mit einem freien Schleimhauttransplantat mit binde­gewebigen „Flügelchen“ aus der Tuberregion 28 über dem Implantat bedeckt. Das Transplantat wurde in dem Empfängerbett mit Einzelknopfnähten (SABApol 6-0) fixiert (Abb. 11). Nach Abschluss der erneuten Implantation erfolgte eine ­Röntgenkontrollaufnahme (Abb. 12). Die Patientin befolgte das ­gleiche postoperative Protokoll wie nach der Implantation, jedoch ohne Antibiose.

Implantatfreilegung
Im Mai 2015 erfolgte die Freilegung aller Implantate [28]. Die entsprechenden Gingivaformer wurden handfest eingedreht. Die Interimsprothese wurde anschließend umgearbeitet, um weiterhin getragen werden zu können. Der weitere Verlauf gestaltete sich komplikationslos.

Implantatprothetische Versorgung
Die abschließende prothetische Versorgung der Implantate im Oberkiefer ­erfolgte durch den Überweiser mit zwei vollkeramischen Brücken in den Regio­nen 14 bis 16 und 24 bis 26. Zusätzlich wurde das Implantat in regio 11 mit einer vollkeramischen Einzelkrone versorgt. Grundlage dafür waren individualisierte Titan­abutments (Atlantis, Dentsply IH), die gewählt wurden, um den späteren Zementspalt weg vom Knochenniveau circa 1 mm unter die marginale Gingiva­manschette zu legen. Im Zuge dessen wurde das Diastema mediale geschlossen (Abb. 13).

Befund ein Jahr und fünf Jahre nach Implantation
Ein Jahr nach der Implantation zeigten sich parodontal entzündungsfreie Verhältnisse (Abb. 13). Lediglich am Implantat 16 lag aufgrund eines BOPs eine ­periimplantäre Mukositis [29] vor (Abb. 14), die im Rahmen der regelmäßig stattfindenden UPT mittels Mundhygiene­instruktionen und professioneller mechanischer Plaque­entfernung therapiert wurde. Zahn 27 wurde zwischenzeitlich vom Überweiser entfernt. Die Extraktion, sofern man ihn nicht für den frühzeitigen Implantatverlust in regio 26 verantwortlich macht, hätte aus rein parodontolo­gischer Sicht mit einem zuletzt allseitigen Furkationsgrad I und zirkumferenten Sondierungs­tiefen von 3 bis 4 mm nicht erfolgen müssen. Eine Einzelzahnaufnahme nach der Extraktion aus dem November 2015 zeigte einen verbliebenen Wurzelrest, der anschließend noch entfernt wurde, und stabile knöcherne Verhältnisse um das Implantat 26 (Abb. 15).

Die aktuellen Diagnosen, fünf Jahre nach Implantation und prothetischer Implantatversorgung, in Bezug auf die paro­dontale und periimplantäre Situation (Befund aus Oktober 2020) der Patientin, lauten (Abb. 16):
– stabile Parodontitispatientin (Stadium IV, Grad C) [30]
– periimplantäre Mukositis an Zahn 11 (BOP + Rötung der Papille zwischen
– Zahn 11 und 12, Abb. 17) [29]

Die Patientin befand sich zwischenzeitlich in regelmäßigen Abständen in der UPT des Überweisers, wo auch Zahn 37 nach mehrfachem, großflächigem Füllungsverlust und misslungener endodontischer Therapie extrahiert ­wurde (Abb. 18). Gegenüber dem Ausgangsbefund konnte die parodontale Situation in Form einer Reduktion der Sondierungstiefen auf überwiegend unauffällige Werte dennoch objektiv verbessert werden (Abb. 16). Auf dem Weg dahin wurden allerdings ­initial als hoffnungslose (11, 24, 25) wie auch als sicher (27, 37) eingestufte Zähne extrahiert. Zuletzt lag ein entzündungsfreier Zustand mit Sondierungstiefen bis 3 mm und Attachmentverlusten bis 4 mm vor (Abb. 16).

Diskussion
Für die initial gestellte Diagnose „Paro­dontitis, Stadium IV, Grad C“ spricht, dass die Patientin an 83 Prozent ihrer Zähne ­einen interdentalen Attachmentverlust von ≥ 5 mm aufwies und mehr als fünf Zähne aus mutmaßlich parodontalen Gründen verloren hat, wenn man die PSA aus dem Jahr 2010 zugrunde legt (Abb. 3). Darüber hinaus wies sie zu Therapiebeginn weniger als zehn okkludierende Zahnpaare auf, was ein zusätzlicher Komplexitätsfaktor im Stadium IV ist. Der Grad C (schnelle Progression) wurde aufgrund der indirekten Evidenz anhand des Knochenabbau-Alter-Index (1,5) ermittelt und entspricht klinisch der bereits ausgeprägten parodontalen Destruktion und den stattgefundenen Zahnverlusten im Alter von 34 Jahren [11].
Bei der Reevaluation der klinischen Situation bestanden an den Zähnen 35 und 42 weiterhin erhöhte Sondierungstiefen von 5 mm. Sondierungstiefen ≥ 5 mm sind mit einem erhöhten Risiko für eine Progression der Parodontitis, das heißt weiteren Attachmentverlusten, assoziiert [23]. Daher wurden Sondierungstiefen ≥ 4 mm + BOP oder ≥ 5 mm im Rahmen der UPT subgingival instrumentiert. Die eingangs besprochene Implantation ­wurde zunächst zurückgestellt, um den Effekt der antiinfektiösen Therapie auf die parodontale Situation weiter abzuwarten, diese zu verbessern und weiter zu stabilisieren [2–7].
Die Extraktion der Zähne 11, 24 und 25 ist aus parodontologischer Sicht mit Sicherheit kritisch zu bewerten und ­hätte bis zur Reevaluation zurückgestellt werden können, um deren Prognose anschließend neu zu beurteilen. Dieser Fall verdeutlicht, wie wichtig der Erhalt einer geschlossenen Zahnreihe, insbesondere bei parodontal erkrankten Patienten, ist. Wäre die Patientin bereits 2010 überwiesen worden (Abb. 3), wäre wahrscheinlich ein vollkommen anderer Therapieansatz gewählt worden. Es wäre versucht worden, alle Zähne zu erhalten, um prothetisch nicht zwangsläufig aktiv werden zu müssen. Aufgrund des zur Erst­untersuchung vorliegenden Befundes mit bereits existierender Schaltlücke und dem folglich bereits bestehenden prothetischen Handlungsbedarf, wurden die oben genannten Zähne extrahiert, da deren Wertigkeit als Pfeiler nicht mehr gegeben war. An Zahn 24 hätte auch nach anti­infektiöser Therapie eine durchgän­gige Furkation vorgelegen und selbst bei ­einem Attachmentgewinn an den Zähnen 24 und 25 wäre deren prothetische Wertigkeit weiterhin infrage zu stellen gewesen. Hätte die Patientin einer Schienung zugestimmt, wäre Zahn  11 nicht extrahiert worden [31]. Prinzipiell ist es im parodontal kompromittierten Gebiss vorteilhaft, eine Implantation möglichst ­hinauszuzögern, wenn der natürliche Zahn noch vorhanden ist [32]. Dafür muss man als Patient aber möglicherweise kompromissbereit hinsichtlich der Ästhetik sein, die beispielsweise durch die Ausbildung von Rezessionen und/oder sogenannten „black triangles“ (Papillenverlust) begleitet werden kann. Beim Erhalt des Zahns hätte sich aufgrund der initial ­höheren Attachmentverluste und der Lockerung im Vergleich zu den Nachbarzähnen (Abb. 2) vermutlich eine größere posttherapeutische Rezession ausgebildet. Zum Papillenverlust beziehungsweise zur nicht ausreichenden Papillenrekons­truktion ist es in diesem Fall zwischen Zahn 11 und 21 dennoch gekommen (Abb. 13), die auch nach fünf Jahren noch bestand (Abb. 17), woran sich die Patientin nicht störte. Dies verdeutlicht, dass die ästhe­tische Wahrnehmung durch Fachpersonal und durch Laien differieren kann [33]. Keinesfalls wurde hier vor dem Hintergrund eines ästhetisch vorhersagbaren Endresultats implantiert, sondern aus der Überlegung heraus, dass die Patien­tin sich einen festsitzenden Zahnersatz gewünscht hat. Letztlich hängt die Wahl des therapeutischen Vorgehens auch vom Behandler und seinem Spezialisierungsgrad ab [34]. Das Risiko eines implantologischen Misserfolgs, insbesondere im Oberkieferfrontzahnbereich (ästhetische Zone), würde neben den bei Parodontitis­patienten oftmals bereits bestehenden Hart- und Weichgewebedefekten noch umfangreichere Rehabilitationsmaßnahmen nach sich ziehen.
Als Risikofaktoren für eine Implantation finden sich in der Literatur syste­mische Faktoren wie beispielsweise Diabetes mellitus, Bisphosphonattherapie, erfolgte Radiotherapie, eine Parodontitis-Vorgeschichte und Rauchen [46, 35–39]. Des Weiteren werden lokale Risikofaktoren wie beispielsweise die Weichgewebedicke und die Breite der keratinisierten Gingiva diskutiert [40–43]. Im vorliegenden Patientenfall lagen keine systemischen Risikofaktoren vor. Allerdings lag eine Parodontitis-Vorgeschichte vor. Diesbezüglich wurde die Patientin im Vorfeld darüber informiert, dass Implantate bei parodontal kompromittierten Patienten geringere Erfolgsquoten und mehr biologische Komplikationen aufweisen als bei nicht an einer Parodontitis erkrankten Patienten [37, 39, 44]. Metaanalysen aus 2014 und 2015 konnten für parodontal erkrankte Patienten eine um den Faktor 1,69 erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen Implantatverlust, eine um den Faktor 2,17 erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Periimplantitis und eine vierfach höhere Misserfolgsrate für generalisiert aggressive Parodontitiden nachweisen, denen die Patientin nach ehemals gültiger Klassifikation für Parodontalerkrankungen zugeteilt worden wäre [5, 7]. Langzeit­ergebnisse über zehn Jahre aus 2007 und 2013 stützen diesen Nachweis mit einem durchschnittlich 2,4 mm größeren Attach­mentverlust, einem durchschnittlich 2,07 mm höheren periimplantären Knochenverlust im Falle einer generalisiert aggressiven Parodontitis und der Empfehlung eines regelmäßigen UPTs bei parodontaler Vorgeschichte [3, 38].
Insbesondere der Fall der fortgeschrittenen Parodontitis (Stadium IV, Grad C) [45], als womöglich „schwerwiegendste“ Form der Parodontitis und vermeintliches Pendant zur ehemals generalisierten aggressiven Parodontitis [12], stellt nach derzeitiger Datenlage eine riskante Ausgangssituation für ­einen implantologischen Eingriff dar [7, 38]. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass bei konsequenter und regelmäßiger UPT auch ­Patienten mit dieser Form der paro­dontalen Erkrankung erfolgreich mit Implantaten versorgt werden können [2–4, 7, 35, 38, 46].
Dass es zu einem implantologischen Misserfolg in regio 26 gekommen ist, könnte an der parodontalen Situation des Nachbarzahns 27 gelegen haben, wenngleich es keinerlei Evidenz dafür gibt, dass das Knochenniveau an ­Implantaten durch den Attachmentverlust an Nachbarzähnen in Mitleidenschaft gezogen werden kann [47]. Ein weiteres Erklärungsmodell für den frühzeitigen Implantatverlust ­könnte die fehlende Weichgewebestärke über dem anfänglich inserierten Implantat in regio 26 sein, weshalb die Neuimplantation in einer zum Weichgewebe relativ gesehen apikaleren Position erfolgte und mit Bindegewebe bedeckt wurde [40, 41]. Die geringe Weichgewebestärke kann in der PSA aus 2020 (Abb. 18) auf der kon­tra­lateralen Seite in regio 16 aufgrund der geringen Abutmenthöhe und des daraus resultierenden, fast rechtwinkligen Emergenzprofils der Implantatkrone ebenfalls erahnt werden, wo sie möglicherweise die stattgefundenen Remodellierungspro­zesse des Knochens auf Höhe der Implantatschulter begünstigt hat [41, 48].
Die Befunde der Zähne und der Implantate hängen langfristig weiterhin entscheidend von der Mitarbeit der Patientin und insbesondere ihrer regelmäßigen Teilnahme an der UPT ab [2, 3, 5, 7, 17, 35, 38, 49–51]. Ein weiterer Attachment- und Zahnverlust bei Recall-Patienten ist ein eher seltenes Ereignis [16, 52, 53], sodass es vertretbar erscheint zu versuchen, den erreichten Zustand möglichst lange zu konservieren. Die zuletzt aufgetretene peri­implantäre Mukositis an Zahn 11 und der erhöhte PCR (Tab. 1) stehen möglicherweise auch in Verbindung mit der kürzlich zurückliegenden Geburt von Zwillingen, die eine große Umstellung im Leben der Patientin nach sich gezogen hat. Die Situa­tion lässt sich jedoch gut im Rahmen der UPT kontrollieren [29].

Fazit
Implantologie im parodontal kompromittierten Gebiss stellt keine Kontraindikation dar, sofern zuvor entzündungsfreie Verhältnisse hergestellt und nach Möglichkeit auch danach langfristig durch eine UPT etabliert werden können. Dennoch ist das Risiko für ­periimplantäre Erkrankungen zweifelsohne bei einer vorliegenden Parodontitishistorie erhöht. Dies stellt den Behandler im Vorfeld vor die Aufgabe, Risikofaktoren zu identifizieren, Risiken genau abzuwägen und gemeinsam mit dem Patienten zu entscheiden, ob man diese Risiken eingehen ­möchte. Sollte es zu Komplikationen kommen, sind auch diese beim parodontal kompromittierten Pa­tienten zu managen, sofern nach wie vor entzündungsfreie Verhältnisse vorliegen. Die frühzeitige ­Sicherung einer geschlossenen Zahnreihe sollte dennoch höchste Priorität haben. Dies erspart komplexe Planungen im Wissen, dass dieses Vorhaben nicht bei jedem Patienten zu realisieren ist.

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