Anwenderbericht

Falldokumention

20.10.21

Implantattherapie mit indikationsbezogenem Protokoll

Erfahrungen aus der Praxis

Ästhetik, Implantattherapie, teilbezahnter Kiefer, zahnloser Kiefer

Dr. Christian Hammächer

01 – Dr. Christian Hammächer erläuterte sein Konzept zur Implantattherapie bei unterschiedlichen Indikationen während des Camlog-Workshops im Rahmen des DGI-Online-Kongresses.

Mit einem progressiven Implantatdesign lassen sich Indikationen bei strukturschwacher Knochensituation leichter beherrschen und Therapiekonzepte zur Sofortimplantation und -versorgung vorhersagbar umsetzen. Dr. Christian Hammächer ist implantologisch und prothetisch spezialisierter Zahnarzt in eigener Praxis sowie unter anderem Lehrbeauftragter an der Klinik für Zahnärztliche Prothetik und Biomaterialien im Universitäts­klinikum ­Aachen. Als Pilotanwender der Progressive-Line Implantate von Camlog blickt er mittlerweile auf nahezu zwei Jahre Erfahrung mit dem Implantatsystem zurück.
Im Rahmen eines Workshops beim DGI-Online-Event 2020 berichtete er über seine indikations­bezogene Vorgehensweise und Therapieerfolge mit dem Implantatsystem.

Dr. Christian Hammächer schätzt das flexible Bohrprotokoll und die Designeigenschaften, wie das progressive Gewinde bis in den konischen Apex, die das Progressive-Line Implantat auch in kompromittierten oder weichen Knochenstrukturen primärstabil verankern. Diese und weitere Eigenschaften sind es, die bei unterschiedlichen Therapiekonzepten zur implantatgestützten Versorgung äußerst vorteilhaft sein können. In den Ausführungen zu seinen Erfahrungen mit dem Implantatsystem spannte Dr. Hammächer (Abb. 1) den Bogen vom konventionellen Protokoll über die Sofortimplantation bis hin zur Sofortversorgung und fokussierte dabei auf drei Indikationsbereiche im Rahmen einer Implantattherapie: die ästhetische Zone in der Front, der teil- und der unbezahnte Kiefer.

Implantattherapie in der ästhetischen Zone
In seinem Praxisalltag stellt die Implantattherapie in der ästhetischen Zone die größte Herausforderung dar, denn gerade bei diesen Patienten muss sich der Zahnarzt sicher bewegen im Spannungsfeld hoher Patientenerwartung, einer oftmals kompromittierten anatomischen Situation und einem vorhersagbaren Ergebnis. Es geht dabei nicht nur um eine gelungene „weiße“ Ästhetik, sondern auch um gesunde, harmonische und langzeitstabile Gingivaverhältnisse – eine besondere Herausforderung bei Patienten mit hoher Lachlinie.
Bei der Implantattherapie in der ästhetischen Zone sind die Möglichkeiten vielfältig, zum Beispiel im Hinblick auf den Implantationszeitpunkt, eine sub- oder transgingivale Einheilung, die Art und Weise der Hartgewebsaugmentation (ein- oder zweizeitig) oder eine Sofortversorgung beziehungsweise Früh- oder Spätbelastung. Wichtig ist auch zu evaluieren, ob „aufgeklappt“ oder unter Zuhilfenahme digi­tal­basierter Schablonen gearbeitet werden soll. Hinzu kommt die Überlegung, ob Weichgewebe augmentiert werden muss und – wenn ja – vor oder nach der Zahnentfernung, bei der Implantation oder bei der Freilegung, um nur einige Optionen zur Vorgehensweise zu nennen.
Gerade in der ästhetischen Zone gibt es keine dogmatische Vorgehensweise, sondern es gilt, aus den zahlreichen Behandlungsoptionen die individuell sinnvolle Therapie zu evaluieren, dem Patienten zu kommunizieren und mit dem entsprechenden Know-how so aufwendig wie nötig umzusetzen. In jedem Fall sollte zunächst eine prächirurgische Diagnostik mit extra- und intraoralem Befund erfolgen. Es gilt zu analysieren, um welchen Biotyp es sich handelt, ob bereits Rezessionen vorliegen und wie die Lachlinie verläuft. In der Regel ist der dicke Biotyp assoziiert mit einer dicken bukkalen Knochenwand, ein entscheidender Erfolgsfaktor auf dem Therapieweg. Hammächer versucht, bei dünnem Biotyp in der Regel Weichgewebe zu verdicken – das heißt, Patienten mit dünnem Gingivatyp auf dem Therapieweg in einen dicken Gingiva­typ zu überführen –, um somit langzeitstabile periimplantäre Weichgewebeverhältnisse zu schaffen. Im Hinblick auf die Weichgewebsaugmentation betrachtet Hammächer autologes Bindegewebe am Implantat als den Goldstandard, sieht jedoch in ausgewählten Fällen auch Potenzial im Einsatz von Ersatzmaterialien, wie beispielsweise der azellulären dermalen NovoMatrix, mit denen eine traumatische Gewebeentnahme aus dem Gaumen erspart werden kann.
Da ein chirurgischer Misserfolg in der ästhetischen Region meist einen prothetischen Misserfolg nach sich zieht, muss das Implantat – im Vergleich zur Zahnposition – weiter nach palatinal positioniert werden, wobei der resultierende Inkongruenzdefekt in der Alveole vestibulär liegen muss. Hammächer orientiert sich dabei jedoch nicht nur an der bukkalen Wand, sondern auch an den Nachbarzähnen. Neben einem stabilen periimplantären Hart- und Weichgewebe ist eine korrekte dreidimensionale Implantatposition Voraussetzung für den langfristigen Therapieerfolg.
Bei der prothetischen Versorgung setzt Hammächer auf Hybridabutments (Zirkonoxid-Abutment auf einer Titanbasis verklebt) statt auf Vollzirkonoxid-Abutments. Das reduziert die Komplikationsrate. Erlaubt es die klinische Situation, arbeitet er in der ästhetischen Zone mit Sofortimplantation, eventuell auch mit simultaner Weichgewebeverdickung. Ist eine Sofortimplantation nicht indiziert, implantiert er verzögert oder spät, dies unter Umständen in Kombination mit knöchernen Augmentationen sowie vorab mit unterschiedlichen ­Socket-Seal-Techniken; wobei er es hierbei so einfach wie möglich hält: Liegt ein ­dicker Gingivatyp ohne Mangel an bukkalem Volumen vor, gelingt eine Socket-Seal-Technik mittels Kollagenmatrix. Handelt es sich um einen dünnen Gingivatyp ohne Mangel an bukkalem Volumen, arbeitet er mit einem FST-Punch vom Gaumen. Handelt es sich um einen dünnen Gingivatyp mit bukkalem Volumenmangel, kommt ein Kombitransplantat (FST mit BGT) zur Anwendung, zum Beispiel als modifizierte Socket-Seal-Technik (Abb. 2 bis 5).

Implantattherapie im teilbezahnten Kiefer
In diesem Indikationsbereich muss zunächst das Behandlungsziel – festsitzend oder herausnehmbar – definiert werden. Hammächer fokussiert im teilbezahnten Kiefer neben Ästhetik insbesondere auf Funktion, inseriert Implantate prothetisch orientiert und wählt die diagnostischen Maßnahmen individuell nach Schwierigkeitsgrad aus. Dabei berücksichtigt er die individuelle anamnestische und auch finanzielle Situation des Patienten. Die implantatprothetische Fallplanung reicht hierbei vom Standardverfahren – mit Anamnese, extra- und intraoraler Befundung, OPG beziehungsweise DVT und Modellanalyse – bis zum konsequenten „Backward Planing“ mittels digitaler Planung und Umsetzung im digitalen Workflow.
Ist das Therapieziel im teilbezahnten Kiefer eine festsitzende Versorgung, kann von der Diagnostik bis hin zur Fertigstellung grundsätzlich alles in einem digitalen Arbeitsprozess geplant werden. Implantate können mittels Schablone vollnavigiert inseriert und über ein Datenmatching anschließend provisorische Kronen oder individuelle Healingabutments/Gingivaformer hergestellt und eingesetzt werden. Sein Tipp: Individuell evaluieren, ob man eine digitale Implantatplanung braucht; denn dieses Prozedere erhöht natürlich auch die Kosten. Als unerlässlich bei festsitzenden und herausnehmbaren Versorgungen im teilbezahnten Kiefer betrachtet er jedoch eine sogenannte Orientierungsschablone mit Führungshülsen. Diese Schablone zeigt die prothetische Position der Implantate im Zahnbogen – liefert jedoch keine Information über die Angulation im Knochen. Hammächer gibt bei festsitzenden Versorgungen rein implantatgetragenen Suprakonstruktionen den Vorzug aufgrund der besseren Langzeitprognose. Geht es im Einzelfall darum, eine Augmentation zu vermeiden und die Kosten niedrig zu halten, entscheidet er sich jedoch auch für eine Verbundbrücke. Voraussetzungen dafür sind: kleine Einheiten, der Zahn sollte belastbar sein und parodontal keine Lockerung aufweisen sowie zudem nicht mit einem Stiftaufbau versorgt sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, stellt die Verbundbrücke eine mögliche Versorgungsvariante dar. Um Komplikationen zu vermeiden, rät er bei mehrgliedrigen, weitspannigen Brücken eher zur Verschraubung. In der Therapie einer Freiendsituation beim Ersatz dreier nebeneinanderliegender Seitenzähne entscheidet er sich meist für die Brücke (zwei Implantate/ein Brückenglied), denn diese Versorgungsvariante steht gemäß einer aktuellen Studie – im Vergleich zu drei Implantaten nebeneinander – für weniger biologische Komplikationen (wie eine geringe Periimplantitisinzidenz) sowie gutes Implantatüberleben. Bei drei nebeneinander platzierten Implantaten ist das mittlere Implantat häufiger von Periimplantitis betroffen, insbesondere bei eng stehenden Implantaten.
Bei (älteren) Patienten, die bereits mit herausnehmbarem Zahnersatz versorgt sind und weiteren Therapiebedarf haben, bleibt er gerne bei der herausnehmbaren Variante und nutzt das Therapiekonzept der strategischen Pfeilervermehrung durch Implantate – zur Optimierung der Statik von herausnehmbaren, Zahn-Implantat-gestützten, schleimhautgetragenen Teilprothesen oder Zahn-Implantat gestützten, teleskopierenden Brücken. Dabei strebt er eine polygonale Abstützung oder zumindest eine lineare, rechtwinklig zum Kieferkamm verlaufende, Abstützungslinie an. Gerade bei älteren Patienten präferiert Hammächer teleskopgetragenen Zahnersatz, da diese Versorgungen gut erweiterbar sind. Sein Appell an die Kollegen: Gerade im Bereich herausnehmbarer teleskopierender Versorgungen ist das Spektrum an prothetischen Gestaltungsmöglichkeiten sehr groß und deshalb ist es wichtig, mit einem kompetenten Laborpartner auf Augenhöhe zu kooperieren, denn prothetischer Erfolg kann nur im Team erzielt werden. Ein wichtiger Erfolgsfaktor im Therapiekonzept der strategischen Pfeilervermehrung ist der spannungsfreie Sitz der Sekundärkonstruktionen. Problematischer als die natürlichen Pfeiler sind hierbei in der Regel (auch systemabhängig) die Implantatabutments, deren Sitz auf dem Meistermodell mit dem im Mund übereinstimmen muss. Hierzu verwendet Hammächer Einbringschlüssel beziehungsweise verklebt die dünnen, gegossenen Außenteleskope intraoral im Sinne des „passive fit“ mit dem Modellgussgerüst. Vorteile dieser Versorgungen sind neben einer einfachen Reinigungsfähigkeit auch Möglichkeiten zur Erweiterung beziehungsweise Änderung im Fall von Pfeilerverlusten. Durch die zusätzlichen Implantate können natürliche Zähne darüber hinaus strategisch entlastet und somit in ihrer Langzeitprognose verbessert werden (Abb. 6 bis 8).

Implantattherapie im zahnlosen Kiefer
Auch in diesem Indikationsbereich muss zunächst das Therapieziel – festsitzend oder herausnehmbar – evaluiert und definiert werden. Die Entscheidung ist abhängig vom Ausmaß der Kammatrophie, vom Implantationszeitpunkt, von der intermaxillären Distanz, von der skelettalen Lagebeziehung zwischen Unter- und Oberkiefer, von der Implantatzahl und von der horizontalen Zahn-Alveolakamm-Beziehung sowie der phonetischen Zone. Wichtige Aspekte sind auch die Wiederherstellung des Gesichtsprofils und der Lippenunterstützung. Oftmals genügt die Unterstützung der Labialflächen bei einer festen Brücke nicht, sondern man benötigt ein labiales Schild, das nur über einen herausnehmbaren Ersatz gestaltet werden kann. Es erfordert ein „Backward Planing“ beziehungsweise eine Ästhetikanprobe, um vor der Gerüstherstellung erkennen zu können, ob die gewünschte ästhetische Wirkung mit einer festsitzenden Versorgung erzielt werden kann.
Prinzipiell ist im unbezahnten Kiefer nach einer individuellen Risiko-Profil-Analyse und in Abhängigkeit von mehreren Faktoren auch eine festsitzende Sofortversorgung multipler verblockter Implantate möglich. Hammächer plädiert jedoch dafür, eine solche Sofortversorgung nicht „zu versprechen“, sondern nur „in Aussicht zu stellen“, da der Erfolg auch von der Primärstabilität der Implantate abhängig ist. Gerade hier kommt es auf eine gründliche Patientenselektion an. Erfolgsfaktoren sind neben einer ausreichenden Primärstabilität der Implantate sowie patientenbezogener Faktoren auch funktionelle Aspekte und die Bereitschaft zur entsprechenden Mundhygiene (Abb. 9 bis 12).
Mit seinen klinischen Ergebnissen gab Dr. Christian Hammächer Einblicke in das Anwendungsspektrum der Progressive-Line Implantate im prothetischen Praxis­alltag. Sein Fazit: Aufgrund der hohen Primärstabilität lassen sich damit, insbesondere bei der Sofortimplantation und -versorgung sowie bei weichem Knochen und kompromittierten Situationen, überzeugende Resultate erzielen. Für den Praxisalltag stellt Progressive-Line eine gute Ergänzung im Implantat-Portfolio dar, denn damit erweitert sich das Spektrum der Behandlungsoptionen.

Unser Buchtipp zum Thema: Orientierungshilfe für Praktiker – teamwork (teamwork-zahnmedizin.de)

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