Fachbericht

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01.03.23

Individuelle Speicheldiagnostik

Präventivkonzept für die Praxis – Teil 2

Diagnosebasierte Prophylaxe (DIP), Laktobazillen, Plaquehypothese, Präventionskonzept, Streptococcus mutans

Dr. Lutz Laurisch, Korschenbroich

01​ ​​Abstrichtechnik Glattfläche: Der Pinsel sollte nicht zu weich sein, damit nicht nur die oberflächliche Plaqueschicht entnommen wird.

Die präventiven Leistungen in der zahnärztlichen Praxis richten sich viel zu oft nach den problemlosen Abrechnungsmöglichkeiten. Die vorliegende Artikelserie hat das Ziel, dem Leser ein Präventionskonzept zu vermitteln, welches in erster Linie auf einer medizinischen Indikation aufbaut – es ist daher eine „diagnosebasierte Individualprophylaxe“. Diese berücksichtigt die individuellen Patientenparameter (Konsensuspapier zur patientenzentrierten Prävention Haas, Ziebold, Wicht, Cachoven).

Im ersten Teil der dreiteiligen Serie (teamwork Ausgabe 6/22) wurden die fachlichen Voraussetzungen erläutert, basierend auf der erweiterten ökologischen Plaquehypothese. Der vorliegende zweite Teil erläutert die Bestimmung bakterieller und funktioneller Speichelparameter in den unterschiedlichen Patientengruppen (subklinische Risikofaktoren)

Speicheldiagnostik unterscheidet zwischen bakteriellen und funktionellen Speichelparametern. Bei den bakteriellen Speichelparametern werden die Anzahl an Streptococcus mutans (SM) Bakterien und Laktobazillen (LB) bestimmt. Diese können sowohl im planktonischen Stadium – also in der Speichelflüssigkeit – nachgewiesen werden, als auch in der Plaque.
Bei den funktionellen Speichelparametern werden der Speichel-pH-Wert, die Pufferkapazität sowie die Speichelsekretionsrate bestimmt. Der KariesScreenTest (Aurosan) beinhaltet ein komplettes Untersuchungstool sowohl für bakterielle als auch für funktionelle Speichelparameter.

Möglichkeiten zur Gewinnung einer Speichelprobe

Plaqueabstrich
Diese Methode ermittelt die Kariesaktivität auf einer bestimmten Zahnfläche. Ein Nachweis von SM und/oder LB in der Plaque ist mit einer hohen Kariesaktivität an dieser Stelle verbunden, wobei kariesaktive und kariesinaktive Stellen durchaus nahe beieinander liegen können [21]. Mithilfe des Plaqueabstrichs werden die in der Plaque organisierten SM und LB erfasst (Abb. 1 bis 4).

Die Spatelmethode
Sie dient zur Übertragung von Mundhöhlenkeimen auf einen Agar. Aufgrund der Verwendung eines Holzspatels wird sie auch als „Abklatschtechnik“ bezeichnet, da die Keime durch Abklatschen auf den Nährboden aufgebracht werden.
Diese Methode kommt in erster Linie bei Klein- und Kleinstkindern zum Nachweis einer Besiedelung der Mundhöhle mit Streptococcus mutans zur Anwendung (Abb. 5 bis 7) [22].

Untersuchung des Gesamtspeichels
Ein Nachweis der Keime im Speichel in hoher Anzahl korreliert nicht unbedingt mit der Kariesaktivität an bestimmten Zahnflächen, gibt aber deutliche Hinweise darauf, dass das Mundhöhlenbiotop sich nicht in einem homöostatischen Zustand befindet.
Andererseits sind einzelne Risikostellen, in denen sich Mikrobiotope bilden können, wie Kauflächen, Dreh- und Kippstände, Kronenränder bei sonst unauffälligem klinischem Befund in einer Untersuchung des Gesamtspeichels nur unzureichend repräsentiert. Dort ist zur Absicherung unter Umständen ein Plaqueabstrich als dia­gnostische Ergänzung notwendig (siehe oben). Neben den bakteriologischen Parametern sind es auch die funktionellen Parameter, die für die Risikodiagnostik herangezogen werden können (Abb. 8a und 8b) [27].

Die funktionellen ­Speichelparameter

pH-Wert

Der Ruhe-pH-Wert des Speichels kann mit Indikator-Testpapier ermittelt werden (zum Beispiel in Saliva-Check Buffer, KariesScreenTest + P). Der Ruhe-pH-Wert sollte höher oder gleich pH 7 liegen, vor allem bei freiliegenden Wurzeloberflächen, bei denen die Demineralisation bereits bei einem pH-Wert von 6,7 einsetzt.

Sekretionsrate
Durch die Bestimmung der Speichelfließrate wird erkennbar, ob ausreichend Speichel vorhanden ist. Die natürliche Schutzfunktion des Speichels, die Spülfunktion, die Clearance, die Pufferkapazität sowie die Verfügbarkeit von Mineralstoffen für die Remineralisation hängen von der verfügbaren Speichelmenge ab. Die Sekretionsrate sollte bei etwa 1 ml/Minute liegen. Werte darunter vermindern die Clearance-­Rate sowie das Remineralisationspotenzial und sind somit kariesbegünstigend [28, 29, 30, 31].

Pufferkapazität
Im Speichel existieren drei Puffersysteme: der Natriumbikarbonatpuffer sowie der Phosphat- und der Proteinpuffer. Der für die Speicheldiagnostik wichtigste Puffer ist der Bikarbonat-Puffer [32, 33].
Die Pufferkapazität stellt einen entscheidenden Schutzmechanismus der Mundhöhle gegenüber Nahrungs- und Plaquesäuren dar und steht in Beziehung zur Speichelflussrate. Hohe Speichelflussraten bewirken aufgrund des erhöhten Natriumbikarbonatgehalts gute Pufferkapazitäten. Es besteht daher oft eine Korrelation zwischen der Sekretionsrate und der vorgefundenen Pufferkapazität [34].
Eine gute Pufferkapazität kann anfallende Nahrungs- und Plaquesäuren in der Mundhöhle neutralisieren. Für die Stabilität des pH-Milieus in der Mundhöhle hat die Pufferkapazität daher eine wichtige Funktion. Findet jedoch eine häufigere Zufuhr saurer Nahrungsmittel oder Getränke statt, so führt dies zu einem stärkeren pH-Wert-Abfall in der Mundhöhle. Reicht die Pufferkapazität des Speichels für die Neutralisation dieser größeren Säuremenge nicht mehr aus, so können sich Demineralisationen oder Erosionen entwickeln [35]. Damit besteht eine zwingende Indikation für erweiterte diagnostische Maßnahmen sowie für die Umsetzung individuell konzipierter Präventions- und Krankheitsmanagementmaßnahmen [36].
Sehr gute Pufferkapazitäten haben einen pH-Wert von > 6, gute liegen zwischen 5 und 6 und von schlechten Pufferkapazitäten spricht man bei einem pH-Wert von < 5.
Wie bereits eingangs erwähnt, ist der Natriumbikarbonatgehalt des Speichels auch abhängig von der Sekretionsrate. Hohe Sekretionsraten gehen immer auch mit guten Pufferkapazitäten einher [37, 38].

Therapeutische Konsequenzen der Speicheldiagnostik
In Kenntnis der ermittelten Risikoparameter lassen sich die therapeutischen Maßnahmen anders definieren. Geht man alleine von klinisch und anamnestisch zu ermittelnden Patientenparametern aus, so sind fast immer zentrale Bestandteile eines Therapievorschlags eine verbesserte Hygiene, Ernährungssorgfalt, ein Fluoridierungskonzept sowie regelmäßige Prophylaxesitzungen mit einer professionellen Zahnreinigung. Weitere Therapievorschläge orientieren sich meist am klinischen Befund und ermöglichen daher oft nur eine Schadensbegrenzung [39, 28].

Therapeutische Konzepte können jetzt anders definiert werden
Grundsätzlich indizierte professionelle Maßnahmen sind:

  • Röntgenkontrolle zur Detektion klinisch nicht sichtbarer Kavitationen
  • Intensivierung der professionellen Betreuung
  • Intensivierung häuslicher Mundhygienemaßnahmen
  • Adäquates häusliches und professionelles Fluoridierungskonzept

Maßnahmen zur Verbesserung bakterieller Speichelparameter sind:

  • Keimzahlreduktion mit antibakteriellen Spülungen oder Gelen; diese Maßnahmen sind jedoch nur dann erfolgreich, wenn sie in einem Gesamtkonzept der präventiven Betreuung erbracht werden (siehe weitere Punkte nachfolgend). Diese weiteren Maßnahmen verhindern eine vorzeitige Rekolonisierung der Mundhöhle mit kariogenen Keimen. Zur antibakteriellen Therapie bieten sich nach wie vor Chlorhexidine an. Diese beeinflussen das Wachstum von S. mutans unter planktonischen und Biofilmbedingungen [40].
  • Reduktion der Zuckerimpulse
  • Reduktion der Zuckermenge
  • Empfehlung von Zuckeraustauschstoffen beziehungsweise zuckerfreie Süßigkeiten, zum Beispiel Xylit
  • Empfehlung von Süßstoffen, zum Beispiel Stevia
  • Professionelle Zahnreinigungen mit antibakteriell wirksamen Reinigungspasten
  • Applikation von antibakteriellen Lacken auf Problemzonen mit Mikrobiotopen
  • Beseitigung von Retentionsnischen
  • Applikation von fluoridhaltigen Lacken auf Problemzonen und Demineralisationen
  • Verwendung von Applikationshilfen beziehungsweise Medikamententrägerschienen (professionell und häuslich)

Maßnahmen zur Verbesserung funktioneller Speichelparameter

  • Allgemeinmedizinische Anamnese/Ermittlung der Medikation
  • Sicherstellung einer adäquaten Kauaktivität (Zahnersatz)
  • Intensivierung der Kauaktivität (Ernährung/zuckerfreier Kaugummi)
  • Gustatorische Stimulation
  • Ausreichende Flüssigkeitsaufnahme
  • Empfehlung von Produkten zur Behandlung von Mundtrockenheit
  • Kontrolle auf Halitosis mit entsprechenden Empfehlungen (zum Beispiel Meridol-Halitosis)
  • Verwendung von Applikationshilfen für CHX-/fluoridhaltige Gele
  • Verwendung natriumbikarbonathaltiger Reinigungspasten

Alle diese Maßnahmen bewirken nicht, dass die Plaque gänzlich verschwindet – sie bewirken eine Veränderung der Pathogenität der Plaque auf dem Weg zurück in einen homöostatischen Zustand.
Eine wiederholte Diagnostik subklinischer Speichelparameter gestattet hierbei sowohl eine Kontrolle der Patientencompliance als auch der Wirksamkeit der häuslich sowie der professionell durchgeführten Maßnahmen und gibt Hinweise darauf, ob das Behandlungsziel erreicht wurde [41]. Dies ist ein entscheidender Unterschied zu dem oft in der Prävention ­praktizierten Konzept, Art und Umfang der durchzuführenden präventiven Leistungen nach den zur Verfügung stehenden ­Abrechnungspositionen zu definieren.
Hinweis: Im dritten Teil (teamwork Ausgabe 2/23) werden die Umsetzung in der Zahnarztpraxis sowie die sich hieraus ergebenden therapeutischen Konsequenzen erläutert.

Vita
Dr. Lutz Laurisch
 hat seit 1988 Prävention als grundlegenden Bestandteil in der Praxis integriert und darüber über 400 Vorträge gehalten sowie über 100 Artikel und mehrere Bücher geschrieben. Er erhielt die goldene Ehrennadel der DGZMK für die Verdienste um die Weiterentwicklung von Konzepten in der Prophylaxe, ist im wissenschaftlichen Beirat diverser Fachzeitschriften sowie seit 2013 Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Präventive Zahnmedizin (DGPZM).

Wissenswert
So funktioniert der Speicheltest:

  • Speichel sammeln
  • Speichel-pH-Wert bestimmen
  • Sekretionsrate bestimmen
  • Pufferkapazität bestimmen
  • Nährboden SM und LB beimpfen

Kontakt
Dr. Lutz Laurisch
Raderbroich 28a
41352 Korschenbroich
www.lutz-laurisch.de

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