Fachbericht

Prävention & Zahnerhalt

18.10.21

Lückenschluss mit Komposit­anhänger

Neue konservierend-restaurative Methoden im Seitenzahnbereich – ein Fallbericht

Frugale Intervention, Kompositrestauration, Lückenschluss, Seitenzahnbereich

Dr. Caroline Sekundo, Heidelberg, Prof. Dr. Cornelia Frese, Prof. Dr. Dr. Hans Jörg Staehle

Zum Lückenschluss im Seitenzahnbereich stehen neuerdings verschiedene konservierend-restaurative Methoden zur Verfügung. Es handelt sich dabei um sehr substanzschonende Behandlungsoptionen. Eine davon ist der in diesem Artikel beschriebene, direkt hergestellte metall-, keramik- und ­glasfaserfreie Komposit­anhänger.

Einleitung
Neben kieferorthopädischen, chirurgischen und prothetischen Interventionen kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Lückenschluss auch mit konservierenden Eingriffen, zum Beispiel Zahnverbreiterungen oder -anhängern, erfolgen (Abb. 1). Gute Erfahrungen mit Zahnverbreiterungen liegen bereits seit 1999, also seit etwa 20 Jahren, vor [11]. Einer in der Zeitschrift Journal of Dentistry 2015 publizierten Studie von Staehle et al. zufolge handelt es sich um langlebige Versorgungen [12].
Das Prozedere der direkt eingebrachten Kompositanhänger wurde 2019 von ­Staehle in der Zeitschrift Journal of Adhesive Dentistry erstmals im Detail vorgestellt [14]. Für diese neue Behandlungsmethode gibt es bislang lediglich Einzelfallbeobachtungen von bis zu drei Jahren.

Indikationsstellung
Im Rahmen einer konkreten Behandlungsplanung und -empfehlung muss bekanntlich eine kritische Nutzen-­Risiko-Abwägung unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit des Mitteleinsatzes vorgenommen werden. Nach Groß unterscheiden Beauchamp und Childress bei der Abwägung und Wertung einer ins Auge gefassten Behandlungsmaßnahme die vier Medizin-Ethik-Prinzipien der Patientenautonomie, Non-Malefizienz, Benefizienz und Gerechtigkeit [2]:
Bei der Patientenautonomie stehen die Erwartungen, Vorstellungen und Wünsche eines Patienten im Vordergrund.
Beim Non-Malefizienz-Prinzip (auch als Nichtschadensgebot oder Nihil-nocere-Grundsatz bezeichnet) geht es darum, im Zweifelsfall einer Schadensvermeidung, gegebenenfalls auch durch Unterlassung einer bestimmten Behandlung, den Vorzug zu geben.
Das Benefizienz-Prinzip zielt wiederum vor allem auf die Verpflichtung ab, Inter­ventionen aktiv zu ergreifen, um das Wohlergehen des Patienten zu fördern.
Das Gerechtigkeitsprinzip umfasst verschiedene Aspekte, wobei neben der Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen und angemessener Zuteilungen (Verteilungsgerechtigkeit) noch andere Überlegungen wie beispielsweise die Frugalität („Sparsamkeit“) und die Ressourcenschonung ins Spiel kommen können. Einzelheiten zum Thema der frugalen Interventionen finden sich bei Staehle [13]. In diesem Zusammenhang werden neben individuellen Abwägungen zuweilen auch kollektive, popula-tionsbezogene Fragen tangiert.
In der folgenden Kasuistik wird auf diese vier Prinzipien Bezug genommen.

Kasuistik
In Abbildung 2a bis n wird ein Lückenschluss im Prämolarenbereich (regio 25) durch einen mesialen Kompositanhänger am Zahn 26 bei einer gesunden 40-jährigen Patientin mit stabiler Okklusion prä­sentiert. Details zum technischen Vorgehen sind an anderer Stelle aufgeführt [14]. Zur Einjahreskontrolle (Abb. 3a bis d)­ stellte sich die Patientin sehr zufrieden vor. Es bestanden keine pathologischen Befunde seitens der Zahnhartsubstanzen, des Parodonts, des Endodonts, der Funktion oder des Aussehens. Es waren auch keinerlei Einschränkungen der subjektiven Befindlichkeit zu verzeichnen.
Bei der Behandlungsplanung waren unter anderem folgende Interventionsmöglichkeiten in Erwägung gezogen worden:

  1. Belassen und Beobachten
    Diese Option wäre, obwohl eher selten gewählt [6], bei der vorliegenden stabilen Okklusion aus kaufunktionellen Gründen prinzipiell möglich gewesen. Allerdings gelang es der Patientin nicht, eine hinreichende Plaquekontrolle am Zahn 26 mesial zu realisieren. Mit der Zahnbürste konnte sie nicht alle Zahnareale erfassen und bei Anwendung einer Zahnzwi-schenraumbürste fehlte das Widerlager, um diese in die Taschentiefe zu führen. Aus diesem Grund bestand keine hinreichende Hygienefähigkeit, was mit einer lokalisierten parodontalen Entzündung einschließlich Bluten auf Sondieren einherging. Außerdem wünschte die Patientin aus ästhetischen Gründen einen Lückenschluss.
    Ein alleiniges Monitoring hätte somit mit der Patientenautonomie und der Bene­fizienz konfligiert.
  2. Einzelzahnimplantat
    Eine Implantation in regio 25 wäre grundsätzlich eine Option gewesen. Es bestanden keine lokalen oder allgemeinmedizinischen Gegebenheiten, die dies infrage gestellt hätten. Allerdings wünschte die Patientin dezidiert eine implantatfreie Versorgung. Die Kostenfrage war zwar kein Hauptkriterium, stand jedoch ebenfalls im Raum.
    Eine Implantatversorgung hätte somit unter anderem mit der Patientenautonomie, gegebenenfalls auch mit dem Ressourceneinsatz (Gerechtigkeitsprinzip) konfligiert.
  3. Brücke
    Eine konventionelle, invasive Brückenversorgung wäre möglich, schien jedoch aufgrund der naturgesunden Pfeilerzähne äußerst problematisch. Allenfalls hätte sich die Eingliederung einer Adhäsivbrücke angeboten, bei der vor allem im Frontzahngebiet sehr gute Erfahrungen vorliegen [5].
    Eine Präparation der Pfeilerzähne hätte mit dem Non-Malefizienz-Prinzip konfligiert.
  4. Zahnverbreiterung
    Eine noninvasive Distalverbreiterung des Zahns 24 und eine noninvasive Mesialverbreiterung des Zahns 26 mit Komposit wurden ebenfalls in Erwägung gezogen. Es hätte damit eine stabile und lang­lebige Versorgung [12, 21] angeboten werden können. Das zu erwartende Ergebnis wurde der Patientin mittels Mock-up demons­triert. Diese Lösung wurde allerdings aus Gründen des Aussehens verworfen, denn die Patientin empfand den Zahn 24 als zu massiv konturiert. Insofern bestand hier wiederum ein Konflikt mit der Patientenautonomie.
  5. Einflügeliger Zahnanhänger
    Ein mesialer Kompositanhänger am Zahn 26 schien aus folgenden Gründen vorteilhaft: Erstens musste keine Zahnhartsub­stanz entfernt werden, zweitens stand eine große Haftfläche zur Verfügung und drittens konnte in allen Richtungen ein großes Kompositvolumen realisiert werden. Außerdem erfüllte diese Behandlungsoption die Ansprüche der Patientin an das Aussehen und ließ eine Verbesserung der Hygienefähigkeit (Widerlager für Interdentalraumbürste) erwarten. Aufgrund des überschaubaren Prozederes war eine Ressourcenschonung gegeben. Für die Patientin wurde nach Herstellung des Zahnanhängers eine geeignete Inter­dentalraumbürste unter Berücksichtigung des vorhandenen Produktspek­trums ausgewählt. Die Anwendung wurde eingehend demonstriert. Die Auswahl von derartigen Bürsten ist nicht immer einfach. Die zur Verfügung stehende, etwas unübersichtliche Angebotspalette von Interdentalraumbürsten unter Berücksichtigung von PHD-Werten (passage hole diameter) wurde 2020 von Sekundo und Staehle beschrieben [10].
    Wie bereits erwähnt, stehen für derartige Versorgungen – abgesehen von Einzelfallbeobachtungen – bislang noch keine Studien über die Langzeitstabilität zur Verfügung. Insofern waren hier zumindest potenziell die Non-Malefizienz- und Benefizienz-Prinzipien tangiert. Darüber wurde die Patientin ausführlich aufgeklärt. Nach Abwägen der Vor- und Nachteile entschied sie sich für einen Zahnanhänger mit regelmäßiger Nachsorge, um im Fall eines Misserfolgs rasch intervenieren zu können.

Diskussion
In der konservierenden Zahnheilkunde beschränkten sich restaurative Maßnahmen bislang vornehmlich darauf, verloren­ gegangene Zahnhartsubstanzen zu ersetzen und die ursprünglichen Zahnumrisse wiederherzustellen. Seit einigen Jahren werden auch Zahnformkorrekturen im Frontzahnbereich zur Verbesserung des Aussehens vorgenommen. Die Ergebnisse sind vielversprechend [18, 19].
Ein Lückenschluss im Seitenzahnbereich mit konservierenden Methoden wurde bereits vor längerer Zeit unter Verwendung von Kompositen mit Glasfaser­einlagen erprobt. Allerdings führten Evaluationen zu dem Ergebnis, dass dies eher eine semipermanente Option darstellt [20]. Mit den hier vorgestellten metall-, keramik- und glasfaserfreien Interventio­nen wurde eine neue Versorgungsform eingeführt. Die Vor- und Nachteile wurden 2018 von Frese und Staehle beschrieben [3]. Eine minimalinvasive Behandlung zum Lückenschluss ist aus konservierender Sicht eine Vorgehensweise, die so wenig wie möglich zusätzliche Schäden setzt (Prinzip des nihil nocere, siehe oben). Die hier vorgestellte Therapieoption würde selbst im Fall der Notwendigkeit einer Entfernung zu einem späteren Zeitpunkt einen unveränderten oder zumindest weitgehend erhaltenen Befund, einen sogenannten Status idem, ermöglichen. Die bestehenden Hart- und Weichgewebe werden weitgehend geschont. Bereits vorhandene erhaltungswürdige restaurative Versorgungen der Pfeilerzähne können, falls gewünscht, in ihrer Form und Funktion erhalten und miteinbezogen werden [3]. Was die Hy­gieneanforderungen angeht, so ermöglicht die Restauration durch ihre Funktion als Widerlager eine Reinigung des Interdentalraums. Dies ist von besonderer Rele­vanz, da dieser durch herkömmliches Zähneputzen oft nur unzureichend gesäubert wird [4, 7, 8]. Vor dem Hintergrund bekannter Einflüsse von dentaler Plaque auf Karies und Parodontalerkrankungen [1, 9, 15, 16, 17] kann mit dieser Versorgung auch die Prävention von Schäden gefördert werden. Indessen kann (und sollte) Zahnseide in diesem Fall nur bedingt zum Einsatz kommen. Vielmehr ist hier das Anpassen geeigneter Interdentalraumbürsten wesentlich. Wegen des unübersichtlichen Produktangebots und der daraus resultierenden Schwierigkeiten bei der Größenauswahl und adäquaten Handhabung [10] ist aller­dings die eingehende Mundhygiene­instruktion mit regelmäßiger Kontrolle und gegebenenfalls Korrektur der verwendeten Interdentalraumbürsten geboten.
Weitere Studien werden zeigen müssen, ob und in welchen Situationen sich durch diese therapeutische Option das Spek­trum im zahnärztlichen Lücken­management erweitern lässt.

Fazit
Ein Lückenschluss mittels direkt eingebrachten metall-, keramik- und glas­faserfreien Kompositanhängern kann in Einzelfällen als Alternative von kieferorthopädischen, implantologischen oder prothetischen Interven­tionen in Erwägung gezogen werden. Allerdings stehen Langzeitbeo­bach­tungen noch aus.

Fragen zum Therapiekonzept
Wie kann man die im Beitrag beschriebene Versorgungsform am besten erlernen?

Prof. Dr. Dr. Hans Jörg Staehle: Das Vorgehen ist in der Literatur ausführlich beschrieben. Am besten ist es, sich durch die Absolvierung eines praktischen Arbeitskurses, der von verschiedenen Institutionen angeboten wird, mit der neuen Methode vertraut zu machen. Bevor man sie am Patienten einsetzt, ist eine Erprobung am Phantom dringend zu empfehlen.

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