Eventbericht

Chairside & Praxis

20.10.21

Neue Ära in der zahnmedizinischen Befunderhebung und Diagnostik

Das „Dynamische Digitale Modell – DDM“

Redaktion teamwork

Das „Digitale Dynamische Modell“ wird generiert: intraorale Abformung im Expertenkreis

Führende Experten aus sämtlichen zahnmedizinischen Fachdisziplinen, engagierte Praktiker und Industrie­vertreter haben sich unter der Leitung von Dr. Bernd Reiss zum Start-up Curriculum „Dynamisches Digitales Modell – DDM“ zusammengefunden. Ziel der mehrtägigen Veranstaltung war es, aus verschiedenen fachlichen Perspektiven zu beleuchten, wie ein 3-D-Modell des Patienten dazu beitragen kann, die Befundung und die Diagnostik zu maßgeblich zu verbessern. Einer der größten Vorteile: 3-D-Modelle können zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfasst und miteinander überlagert werden, um bereits kleinste Veränderungen sichtbar zu machen.

Im Bereich der Zahnerhaltung können mit einer Überlagerung der zu unterschiedlichen Zeiten erfassten Daten unter anderem geringste Abrasionen/Erosionen detektiert und deren Verlauf beurteilt werden. Damit kann ein Patient, der zwar Schäden aufweist, aber über Jahre keine Veränderungen zeigt, weiterhin im Monitoring-Status bleiben. Anders sieht es bei einem Patienten aus, der innerhalb eines kurzen Zeitraums beträcht­liche Veränderungen zeigt. Bei ihm ist es nun zum ersten Mal mithilfe dieser Technik möglich, Veränderungen im Sinne eines Monitorings frühzeitig aufzudecken und rechtzeitig einzugreifen. So wird die individuelle Therapieentscheidung gefördert und eine Über- beziehungsweise Unterbehandlung vermieden. Zudem kann die Aufklärung des Patienten auf einem deutlich anschaulicheren und für den Patienten verständlicheren Niveau erfolgen.
Auch im Bereich der Parodontologie kann das Dynamische Digitale Modell (DDM) genutzt werden, um Veränderungen am Zahnfleischniveau frühzeitig und objektivierbar festzustellen. Ebenfalls im KFO-Bereich sind kleinste Zahnbewegungen detektier- und dokumentierbar.
Die Veranstaltung hat aber auch gezeigt, dass neben den mannigfaltigen Vorteilen auch noch einige Herausforderungen und Probleme existieren. Diese müssen zunächst gelöst werden, um die Vorteile für den Praktiker nutzbar machen zu können. Im Rahmen des Curriculums wurde deshalb die AG „DDM  e.V.“ gegründet, um sich dieser Fragestellungen anzunehmen und den Einsatz des DDM in der zahnmedizinischen Praxis zu fördern.

Die Vision
Perspektivisch könnte es so weit gehen, dass das DDM den klassischen 01-Befund ersetzt. Der Patient wird von der geschulten ZFA intraoral gescannt inklusive PSI-Erhebung und gegebenenfalls MH-Indizes. Der Zahnarzt macht dann ein kurzes Check-up, beurteilt die Befunde, die mit dem Scan nicht erfasst werden können, wie den Schleimhautbefund oder den CMD-Check, und entscheidet, ob weitere diagnostische Hilfsmittel, zum Beispiel Röntgen, nötig sind. Der Scan könnte in der Zwischenzeit mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) vorbefundet und dann dem Zahnarzt zur Bestätigung und Ergänzung der Befunde vorgelegt werden. Eine automatische Integration in die Praxisverwaltungssoftware wäre der nächste Schritt. Das DDM könnte dabei alle relevanten Befunde visuell auf sich vereinigen; dazu zählen zum Beispliel 2-D- und 3-D-Röntgenbilder, Facescan, optische Kariesbefunde (NIRI, Fluoreszenzanalyse), Taschentiefen, Vitalität, Mobilität, Furkation, Perkussion, Funktionsbefunde et cetera. Damit hätte der Zahnmediziner einen schnellen und effizienten Gesamtüberblick über den Patienten, ohne dabei zwischen PVS, Röntgensoftware, Intraoralscan oder Fotos hin und her wechseln zu müssen. Im Hinblick auf eine korrekte Therapieentscheidung beziehungsweise auf eine Entscheidung zum Monitoring ist es im stressigen und belastenden Praxisalltag für den Zahnarzt wichtig, sich innerhalb kürzester Zeit einen Überblick über die Gesamtsituation des Patienten zu verschaffen. Das DDM ermöglicht selbst dann eine sehr gute Reproduzierbarkeit, wenn der Patient die Praxis schon verlassen hat. So können zum Beispiel auch Konsile ohne Beisein des Patienten durchgeführt werden. Der Zahnarzt kann sich in aller Ruhe Gedanken zur Therapieplanung machen und diese in einer gesonderten Sitzung sehr schnell, anschaulich – und im Sinne der Aufklärungspflicht auch rechtssicher – anhand des DDM mit dem Patienten besprechen. Gemeinsam können Arzt und Patient dann die bestmögliche Therapieoption wählen. Darauf aufbauend wäre sogar eine Simulation der Therapie am DDM umsetzbar. Kommt der Patient nach einiger Zeit zur nächsten Kontrolle, wiederholt die ZFA den Scan. Dieser Scan wird dann automatisch mit den vorherigen 3-D-Modellen überlagert. Auch dann könnte eine KI-gestützte Analyse der Veränderungen im zeitlichen Verlauf erfolgen und es könnten Therapieempfehlungen an den Zahnarzt ausgesprochen werden. Weiterhin dient das DDM auch als eine Art Zahnbank: Hat ein Patient einen Unfall mit Substanz- oder gar Zahnverlust, so können die Daten aus dem DDM zur naturgetreuen Rekonstruktion genutzt werden.
Das DDM birgt demnach ungeahnte diagnostische und therapeutische Potenziale und ist damit in der Lage, eine neue Ära der Befunderhebung und Diagnostik in der Zahnmedizin einzuläuten. Ist dieses Ziel erreicht, könnte man im weiteren Verlauf den entstandenen Datenpool dazu nutzen, um selbstlernende Systeme damit zu „füttern“ und damit die automatisierte Diagnostik und Therapieempfehlung immer weiter zu verbessern.

An- und Herausforderungen
Software: Um die genannten Ziele zu erreichen, gilt es aber noch einige Probleme zu lösen. Es gibt bereits ein paar gute Insellösungen einiger Hersteller für bestimmte Fragestellungen, zum Beispiel OraCheck, DentsplySirona oder Time­lapse, Align Technologies. Es ist aber bislang keinem der Hersteller gelungen, eine Software zu entwickeln, die sämtliche Befunde visuell anschaulich an einer Stelle vereint. Ziel sollte es sein, eine Umgebung zu schaffen, die es dem Praktiker innerhalb von Sekunden ermöglicht, sich intuitiv ein Bild von der Gesamt­situation des Patienten zu machen. Das ist die Grundlage, um Befunderhebung, Diagnostik und Therapieplanung auf das nächste Level zu bringen. .

Datenformat und Schnittstellen: Die Hersteller intraoraler Scanner müssten sich auf ein gemeinsames Datenformat einigen. Ähnliche Bestrebungen gibt es bereits im Bereich der Radiologie mit dem DICOM-Format. So wäre sichergestellt, dass die Daten des Patienten auch beim Wechsel des Zahnarztes und damit mög­licherweise des Scannersystems weiterhin nutzbar sind.
Im Gegensatz zum STL-Format, das für 3-D-Modelle bereits üblicher, herstellerübergreifender Standard ist, müsste das zukünftige DDM-Format einen weitaus höheren Informationsgehalt unterstützen. Zu nennen wären dabei eine fotorealistische Darstellung aller gescannten Oberflächen, aber auch Daten zu weiteren Befunden wie Röntgen (2-D und 3-D), Taschentiefen, Furka­tionsbeteiligungen, Mobilität, Vitalität, Perkussionsempfinden, BOP, MH-Indizes, Funktionsbefunde, Befundnotizen, allgemeine und spezielle Anamnese, Angaben zu Wurzelfüllungen und Implantaten, FaceScan et cetera müssten implementierbar sein. Dabei ist es extrem wichtig, dieses DDM-Format herstellerübergreifend zu standardisieren, um eine maximale Kompatibilität zu gewährleisten. Auch die Herstellung von Schnittstellen für weitere Spezialanwendungen wäre sicherlich wesentlich leichter, wenn es ein einheitliches Datenformat gäbe.

Datensicherheit im Sinne der DSGVO:
Ist das DDM-Format erst einmal definiert und etabliert, muss man sich auch über den Umgang mit den Daten Gedanken machen. Das beginnt bereits bei der sicheren Speicherung dieser sensiblen Daten. Die Daten müssen gegen Verlust, Manipulation und gegen Zugriff von Unbefugten gesichert werden. Auch die Art der Weitergabe der Daten für Konsile, für Gutachten, an weiterbehandelnde Ärzte, oder an den Patienten selbst muss an die rechtlichen Erfordernisse angepasst werden.
Neben den genannten Aspekten gibt es noch zahlreiche weitere Punkte, die in diesem Zusammenhang geklärt werden müssen. Im Lauf der Entwicklung des DDM werden zudem sicherlich noch weitere Herausforderungen und Fragestellungen auftauchen, die es zu lösen gilt. Aus diesem Grund versucht die AG DDM die Kompetenzen von Wissenschaftlern, engagierten Praktikern und der Industrie zu bündeln, um geeignete Antworten für die aktuellen und zukünftigen Schwierigkeiten in Zusammenhang mit dem DDM zu erarbeiten.

Fazit
Die rasante Weiterentwicklung im Bereich intraoraler Scannersysteme und damit auch die Geburt des DDM sind der Grundstein für eine neue Ära im Bereich der zahnmedizinischen Befunderhebung und Diagnostik. Das DDM ermöglicht es, feinste Veränderungen im zeitlichen Verlauf reproduzierbar zu visualisieren, und liefert dem Praktiker damit ein mächtiges Werkzeug, um einerseits Krankheitsverläufe rechtzeitig zu erkennen und einzuschreiten sowie andererseits Übertherapien von vermeintlich bedrohlichen Befunden zu vermeiden. Somit kann das DDM einen enormen Beitrag zum Wohlergehen des Patienten leisten.
Trotz der ungeahnten Möglichkeiten und Vorteile gibt es noch diverse Hürden zu überwinden, um das DDM dem Praktiker vollumfänglich zugänglich zu machen. Die „AG DDM e.V.“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lösungen für diese Probleme zu erarbeiten und dem DDM zur Alltagstauglichkeit zu verhelfen.
Dr. Ingo Baresel

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