Fachbericht

Implantologie & Parodontologie

23.04.25

Sofortversorgung in der ästhetischen Zone – ein vorhersagbares Behandlungskonzept

Lappenlose Therapie im digitalen Workflow

ästhetische Zone, Behandlungskonzept, Sofortversorgung

Dr. Christian Hammächer

Die Sofortimplantation erfordert eine individuelle und präzise Risikoabwägung, besonders bei dünnen Phänotypen. Ein lappenloses Vorgehen mit simultaner Weichgewebsaugmentation und Sofortversorgung kann in ausgewählten Behandlungsfällen funktionelle und ästhetische Vorteile bieten. Der folgende Patientenfall zeigt die Anwendung dieser anspruchsvollen Techniken im digitalen Workflow.

Von allen Indikationsbereichen in der enossalen Implantologie stellt die Implantation im Oberkieferfrontzahngebiet sicherlich die größte Herausforderung dar. Dies insbesondere deshalb, da die anatomische Ausgangssituation nur selten optimal ist und ein natürlich wirkendes und den Patienten ästhetisch zufriedenstellendes Endergebnis entscheidend vom Fehlen bzw. Vorhandensein der periimplantären Hart- und Weichgewebe abhängig ist.

Eine 22 Jahre alte Patientin stellte sich mit einer tiefen Kronenfraktur an Zahn 21 bei dünnem Biotyp, krestalem bukkalen Wanddefekt und sehr hoher Lachlinie in der Praxis vor (Abb. 1 und 2). Nach genauer Analyse des klinischen und radiologischen Befundes sowie der detaillierten Risikobewertung fiel die Therapieentscheidung in diesem Fall – trotz eines ausgeprägten Hartgewebedefekts im Bereich der fazialen Knochenlamelle – auf eine lappenlose Sofortimplantation mit Sofortversorgung im kompletten digitalen Workflow.

Verursacht durch die tiefe Kronenfraktur und das im Rahmen der Erstversorgung im Ausland insuffizient geklebte Fragment, zeigte sich eine gingivale Entzündung im marginalen Bereich regio 21. Radiologisch war ein knöcherner Defekt im Bereich der dünnen fazialen Alveolenwand sichtbar (Abb. 3 und 4).

Mittels der DVT-Aufnahme sowie gescannten Modellen von Ober- und Unterkiefer erfolgte nach entsprechendem „Datenmatching“ die Implantatplanung im Sinne des Backward Plannings auf Basis des natürlichen Zahns. Aus der Implantatplanung (Smop/Swiss Meda) heraus wurden eine Bohrschablone sowie ein individueller Gingivaformer und ein verschraubtes Provisorium mit anguliertem Schraubenzugangskanal (Titanbasis CAD/CAM free) zur Sofortversorgung – sollte diese klinisch vertretbar sein – designt und in den Fertigungsauftrag gegeben. Sowohl das Healingabutment als auch die verschraubte provisorische Krone wiesen eine vestibuläre Aussparung für das geplante simultane Bindegewebe­transplantat auf, die im digitalen Planungsprozess bereits berücksichtigt wurde (Abb. 5 bis 10).

Die korrekte Ausformung des Emergenzprofils durch Gingivaformer, zementierte oder verschraubte provisorische bzw. definitive Restaurationen ist neben der korrekten vertikalen und horizontalen
Platzierung der Implantate ein Schlüsselfaktor für eine langzeitstabile ästhetische
Rekonstruktion. Das Abutment tritt in diesem Fall schlank aus dem Implantat aus und formt erst knapp unterhalb des Gingivalsaums das Kronendurchtrittsprofil aus. Diese Gestaltung schafft den Raum, eine stabile und ausreichend dimensionierte Weichgewebemanschette zu etablieren.

Insertion
Mittels Periotom wurde der nichterhaltungswürdige Zahn schonend aus dem Knochenfach gehoben. Ohne Aufklappung der Weichgewebe, erfolgte nach Kürettage der Alveole, gemäß dem chirurgischen Protokoll für ein Conelog Progressive-Line Implantat (Ø 3,8 mm / L 13 mm), die vollgeführte Aufbereitung des Implantatbetts mithilfe der Bohrschablone (Smop/Swiss Meda). Die eingepresste Bohrhülse führt den Bohrer exakt, verhindert dessen Abrutschen auf der schrägen Alveolenwand und gewährleistet somit die palatinal orientierte Implantatpositionierung. Bei der Implantatinsertion wurde darauf geachtet, dass bei der Endpositionierung die Markierung am Einbringpfosten mit der Markierung auf der Bohrhülse korreliert. Die Markierung korrespondiert mit einer Nut der Innenkonfiguration des Conelog-Progressive-Line-Implantats. Dies ist richtungsweisend zur korrekten Platzierung der präfabrizierten, abgewinkelten Titanabutments oder der Titanklebebasen CAD/CAM free (Abb. 11 bis 19).

Die temporäre Versorgung
Aufgrund des Implantat-Makrodesigns und der ausladenden Gewindegänge wurde bei der Insertion eine ausreichend hohe Primärstabilität erreicht, sodass eine Sofortversorgung mittels temporärer Kunststoffkrone realisiert werden konnte. Diese wurde dann nach dem Einbringen im Mund angepasst. Hierbei wurde darauf geachtet, dass weder in statischer noch in dynamischer Okklusion Kontakte vorhanden waren. Darüber hinaus hatte die Krone keine Approximalkontaktpunkte, um Krafteinleitung über die Nachbarzähne zu vermeiden. Im Sinne der Rezessionsprophylaxe – und auch bedingt durch die in der digitalen Planung berücksichtigte Aussparung für das eingebrachte Bindegewebetransplantat – gab es keinen starken Druck auf die vestibulären gingivalen Strukturen (Abb. 20 und 21).

Die Hart- und 
Weichgewebsaugmentation
Zunächst wurde das Implantat mit einer Verschlussschraube abgedeckt und der Spaltraum zwischen Implantat und vestibulärer Lamelle mittels autologem Knochen (retromolar mithilfe des Safescrapers gewonnen und Bohrspänen) sowie einer geringen Menge xenogenem Knochenersatzmaterial gefüllt. In diesem Zuge wurde auch der knöcherne Defekt im Bereich der fazialen Alveolenwand aufgebaut.

Zur Verdickung des dünnen periimplantären Weichgewebes wurde ein deepithelisiertes freies Schleimhauttransplantat am Gaumen entnommen, mit Matratzennähten in einen vestibulär präparierten Tunnel eingezogen und fixiert. Auf diese Art und Weise wurde der dünne gingivale Phänotyp in einen dicken Phänotyp umgewandelt und die Voraussetzung für eine stabile periimplantäre Weichgewebe­situation geschaffen.

Anschließend wurde die Abdeckschraube entnommen und die temporäre Kunststoffkrone – verklebt mit einer Titanklebebasis CAD/CAM free mit anguliertem Schraubenzugangskanal – eingegliedert. Aufgrund anatomischer Limitationen, speziell in der Oberkieferfrontzahnregion, kann der Schraubenkanal grundsätzlich bei konventionell direkt verschraubten Rekonstruktionen im Bereich der Inzisalkanten oder sogar in der labialen Verblendfläche austreten.

Mit den Titanbasen CAD/CAM free ist es möglich, durch Achskorrekturen bis zu 25° die Schraubenzugänge nach palatinal und somit in nicht sichtbare Bereiche zu verlegen. Wichtig ist hierbei ein Hinweis in der Patientenakte bzw. im Implantationsausweis, da zum Lösen der Rekonstruktion ein spezieller Ballpoint-Schraubendreher benötigt wird.

Nach einem komplikationsfreien Heilungsverlauf erfolgte nach vier Monaten die analoge Abformung mit einem chairside analog hergestellten individuellen Abformpfosten.

Im Labor wurde das Meistermodell erstellt und eine Hybridabutmentkrone aus Zirkondioxid im CAM-Verfahren auf einer Conelog Titanklebebasis CAD/CAM free gefertigt. Um die ästhetischen Anforderungen zu erfüllen, wurde die labiale Fläche mit entsprechenden Zirkonmassen individuell verblendet (Abb. 22 bis 27).

Diskussion
Wird im Behandlungskonzept eine Sofort­implantation sowie -versorgung des Implantats in Erwägung gezogen, ist die klinische Befundung und genaue Risikoabwägung unabdingbar. Bei einem vorliegenden dünnen Phänotyp kann zur Vermeidung weiterer Resorptionen im Bereich der bukkalen Knochenwand ein lappenloses Vorgehen vorteilhaft sein. Eine simultane Weichgewebsaugmentation mittels Bindegewebetransplantat kann das Behandlungsergebnis funktionell und ästhetisch verbessern. Im vorliegenden Behandlungsfall erfolgte – trotz Vorliegen eines V–förmigem Knochendefekts im Bereich der bukkalen Alveolenwand – nach intensiver Nutzen-Risiko-Analyse die Entscheidung zugunsten des beschriebenen Vorgehens alternativ zu einer verzögerten – bzw. Spätimplantation mit kammerhaltenden Maßnahmen und Augmentation. Wegweisend war hier insbesondere der hohe ästhetische Anspruch bedingt durch die hohe Lachlinie sowie den dünnen Biotyp.

Um eine vorhersagbare ausreichend hohe Primärstabilität zu erreichen, muss die Wahl auf den richtigen Implantattyp fallen. Hierbei spielt das Makrodesign des Implantats eine zentrale Rolle. Im vorliegenden Fall wurde ein Implantatdesign gewählt, das einen parallelen Implantatkörper und einen konischen apikalen Bereich aufweist, der sich in der Alveolenspitze verankert. Bei der Sofortimplantation in der ästhetischen Zone ist eine palatinale Implantatposition essenziell, um ein ästhetisch voraussagbares Ergebnis zu erzielen. Um dies sicher gewährleisten zu können, ist die Guided Surgery mit der Bohrerführung durch die systeminhärente Hülse ein hilfreiches Tool. Damit wird ein mögliches Abrutschen der Bohrer vermieden sowie eine – die Alveole nach palatinal verlassende – Implantatbettaufbereitung unterstützt. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass sowohl bei der analogen sowie digitalen Abformung, dem Auffinden und „Matchen“ von Referenzpunkten als auch beim Überlagern der 3D-Datensätze Abweichungen eintreten könnten. Auch eine Ungenauigkeit beim Aufsetzen der Bohrschablone kann zu Toleranzen führen. Das Wissen darüber muss den Anwender in jedem chirurgischen Schritt zur Überprüfung sensibili­sieren.

Bei der Wahl des Implantats ist auch die Platform-Switching-Option von Vorteil und kann Raum und Stabilität für das periimplantäre Weichgewebe schaffen. Das Verlegen der Implantat-Abutment-Schnittstelle vom Implantathals ins Zentrum des Implantats hat tendenziell einen positiven Einfluss auf das periimplantäre Knochenniveau. Außerdem kann das Implantat epikrestal oder sogar leicht subkrestal platziert werden. Dieses Konzept ist durchaus vorteilhaft bei dünnen Morphotypen. Es ermöglicht ein adäquates Weichgewebemanagement durch die perfekte Gestaltung der Transitionszone und des anatomischen Emergenzprofils.

Fazit
Die Sofortimplantation ist ein chirurgisch und technisch anspruchsvolles Behandlungskonzept und erfordert speziell im ästhetischen Bereich viel Erfahrung und Voraussicht des Chirurgen. Zur korrekten dreidimensionalen Implantatpositionierung kann die Guided Surgery ein hilfreiches Instrument sein. Das Erzielen der notwendigen Primärstabilität ist abhängig vom Knochenangebot palatinal bzw. apikal der Alveole und vom Design des Implantats. Im Sinne einer atraumatischen Vorgehensweise kann in ausgewählten Fällen, insbesondere bei einem dünnen gingivalen Phänotyp, ein lappenloses Vorgehen von Vorteil sein. Dies bestätigt auch das Behandlungsergebnis im vorliegenden Patientenfall. In der Regel erfordern ausgeprägte Hart- bzw. Weichgewebe­defekte in der ästhetischen Zone jedoch eine verzögerte Vorgehensweise mit kamm­erhaltenden Maßnahmen bzw. ein- oder zweizeitigen Augmentationen mit Lappenbildung.

Mein Dank gilt Ingrid Strobel, Medical Writer, für die fachkompetente Unterstützung.

Literatur:
www.teamwork-media.de/literatur

Kontakt
Dr. Christian Hammächer

Implantologie, Parodontologie und 
Prothetik in Aachen
Schumacherstraße 14
52062 Aachen

info@praxiszentrum-aachen.de

www.praxiszentrum-aachen.de

Dr. Christian Hammächer ist seit 2007, gemeinsam mit Prof. Jamal M. Stein, niedergelassen im „Zahnärztlichen Praxiszentrum für Implantologie, Parodontologie und Prothetik“ in Aachen. Seine klinischen Schwerpunkte sind die Implantologie, insbesondere in der ästhetischen Zone, das Hart- und Weichgewebemanagement am Implantat, Perioprothetik, Implantatprothetik sowie die Periimplantitistherapie. Neben einem Lehrauftrag an der Klinik für Zahnärztliche Prothetik und Biomaterialien der RWTH Aachen betreibt er eine rege Lehr- und Vortragstätigkeit, so z. B. in postgradualen Studiengängen in den Bereichen Parodontologie und Implantologie, im Curriculum Implantologie der DGI sowie bei nationalen und internationalen Kongressen und Fortbildungsveranstaltungen.

  • seit November 2024 ist Dr. Hammächer Präsident der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI e. V.)
  • seit 2024 ist er „DGI–Spezialist für Implantologie“
  • von 2018 bis 2021 war er als Fortbildungsreferent und anschließend als Vizepräsident im Vorstand der DGI tätig
  • 2008 erwarb er den „Tätigkeitsschwerpunkt Implantatprothetik und Zahntechnik“ (DGI)
  • 2002 erwarb er die Qualifikation „Spezialist für Prothetik der DGPro“ sowie den „Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie“ (BDIZ/DGI)
  • ab 1999 wissenschaftlicher Assistent und danach Oberarzt an der Klinik für Zahnärztliche Prothetik der RWTH Aachen bei Prof. H. Spiekermann
  • zweijährige Assistenzzeit in zahnärztlicher Praxis
  • Zahnmedizinstudium von 1991 bis 1997 in Aachen

Service
Weitere Fälle und hilfreiche Tipps finden Sie im 
Arbeitsskript „Implantate und Zahnersatz“.
Über den QR-Code gelangen Sie zum Arbeitsskript im shop.mgo-fachverlage.de/dental.

Zum CME-Portal: cme.mgo-fachverlage.de/education

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