Eventbericht

Branche & Insights

17.06.25

Sonde bleibt Basis
der parodontalen Diagnostik

EuroPerio 11 zeigt Perspektiven für molekularbiologische und KI-gestützte Verfahren

EuroPerio 11, KI, Parodontale Diagnostik

Dr. Jan Hermann Koch

© HuFriedy

Diagnostische Methoden sollten eine sichere Evidenzbasis haben, für die getesteten Individuen oder Populationen nützlich und zudem praktikabel und bezahlbar sein. Dies gewährleisten laut Konsens-Report der European Federation of Periodontology (EFP) bisher nur sondenbasierte ­klinische Messungen und Indizes. Die diesjährige EuroPerio zeigte aber, dass die nahe Zukunft viel Neues bringen könnte.

Neben der Erhebung und Einordnung erkrankungsbezogener Befunde umfasst Diagnostik die Kategorien Screening und Risiko-Bewertung, sowie Monitoring und Prognosestellung für den weiteren Verlauf bereits abgeschlossener Behandlungen [1–3]. Die im Jahr 2018 definierte neue Klassifikation für parodontale Erkrankungen enthält die Kategorien Schweregrad (Stufe) und Prognose (Grad) [4]. Diagnostische Verfahren müssen mit dieser Einteilung harmonieren, erhobene Befunde also integriert werden können.

In einem Workshop der EFP wurde im vergangenen Jahr geprüft, ob sich die diagnostische Basis vor allem für eine bessere Prognosestellung erweitern lässt. Wegen weiterhin zu schwacher Datenbasis konnten die beteiligten 70 Parodontologen aus 21 Ländern keine neuen Methoden identifizieren [2]. Aufgrund der Strahlenbelastung und, weil sich die Technik z. B. für Screenings eignet, wird sogar Röntgen und der in Deutschland kassenrechtlich erforderliche Status zur Ermittlung des Knochenverlusts kritisch gesehen [2]. Die Klassifikation einer Parodontitis einschließlich Grading auf der Basis zeitbezogener Verläufe wird aber durch Röntgenbilder erleichtert [5].

Standardmethode bleibt entsprechend die Messung von Taschentiefen und des klinischen Attachment-Niveaus auf der Basis der Sondierungswerte in Bezug auf die Schmelz-Zementgrenze [5]. Die europäische Fachgesellschaft präsentierte auf der diesjährigen EuroPerio in Wien eine eigene, auf die aktuelle Klassifikation abgestimmte Parodontalsonde (Abb. 1 – Beitragsbild: Der Standard in der parodontalen Diagnostik: Die EFP-Sonde wurde für die Diagnostik in Übereinstimmung mit der neuen Parodontitis-Klassifikation entwickelt. Sie verfügt über eine Markierung bei 3 mm, ein schwarzes Band von 4 bis 6 mm mit einer Markierung bei 5 mm und Markierungen auf jedem Millimeter von 7 bis 15 mm.).

Zugleich betonen die Autoren des oben genannten Konsens-Dokuments, dass „Ansätze auf der Basis von Bildgebung, Biomarkern, Wirtsgenetik, Fragebögen und neuen datenwissenschaftlichen Methoden (Künstliche Intelligenz, Anmerkung des Autors), zunehmend in die Parodontaldiagnostik integriert werden” [2].

Bildgebung und KI
Für die bildgebende Diagnostik wird Digitale Volumentomografie als wertvolles Werkzeug bezeichnet, aus Strahlenschutzgründen aber keine routinemäßige Verwendung empfohlen [2]. Für Magnetische Resonanz-Tomografie (MRT) und auch Ultraschall fehlen noch Daten, beide Technologien werden aber als vielversprechend bezeichnet. Während MRT aktuell aus Kosten- und Zeitgründen kaum in Frage kommen dürfte, bestehen bei Ultraschall Einschränkungen unter anderem durch ein kleines Sichtfenster und einen schwierigen Zugang zum Untersuchungsgebiet. Ein noch experimentelles thermografisches Verfahren differenziert zwischen gesunder Gingiva, Gingivitis und Parodontitis (M. AbdalWahab, Kairo). Problematisch ist jedoch die individuell leicht unterschiedliche Körpertemperatur, die Ergebnisse maßgeblich beeinflusst.

Neue Möglichkeiten könnten in naher Zukunft Methoden der Künstlichen Intelligenz eröffnen, z. B. durch datengestützte Auswertung von Panoramaschicht-Aufnahmen. Um eine vorliegende Parodontitis besser klassifizieren zu können, werden dabei Befunde auf Zahn- und Patientenebene berücksichtigt und beide Parameter in statistische Beziehung gesetzt [6]. Hoch interessant ist auch eine – ebenfalls experimentelle – KI-Software auf der Basis oraler Fotos. Diese identifiziert mithilfe „digitaler Zwillinge“ zuverlässig dieselben parodontalen Problembereiche, also morphologisch veränderte oder fehlende Papillen und Verschiebungen der Zahnstellung, wie erfahrene Kliniker (Y. Xie, Shanghai).

Screening mit Speichel
Molekularbiologische Methoden, insbesondere die Identifizierung von Mikroorganismen und genetische Tests, konnten bisher diagnostische Erwartungen nicht erfüllen [7]. Auch in Wien wurde kein Test vorgestellt, mit dem ein Erkrankungsrisiko zuverlässig voraussagbar wäre und der die Aussagekraft klinischer Messwerte bei guter Anwendbarkeit und Kosteneffizienz übertrifft. Das gilt auch für die wünschenswerte Möglichkeit, zum Beispiel individuell geeignete Wirkstoffe und Dosierungen für Antibiotika oder auch andere, „personifizierte“ Therapiemethoden zu ermitteln.

Die seit vielen Jahren verfügbaren Tests zur Bestimmung des Entzündungs-Markers MMP8 erhielt in einer aktuellen systematischen Übersicht eine zurückhaltende Bewertung, wobei die hohe falsch negative Rate ein Problem darstellt [8]. Zu neu entwickelten kombinierten Tests, bei ­denen komplexere mikrobiologische Methoden und zusätzlich immunologische Biomarker ermittelt werden, fehlen noch aussagekräftige Studien. Offenbar gibt es unter anderem Probleme mit der Probenentnahme, wobei wegen der weniger techniksensitiven Gewinnung Speichel Vorteile gegenüber Sulkusflüssigkeit haben könnte [9]. Ein Nachteil von Speichel ist seine hohe Variabilität in Bezug auf Nahrungsaufnahme, Mundhygienequalität und Tageszeit.

In einer bei der EuroPerio diskutierten Untersuchung wurden im Speichel von Patienten mit der größten Erkrankungsintensität entsprechend erhöhte Mengen entzündungsbezogener Biomarker gefunden [10]. Diese nahmen nach Behandlung wieder ab. Ob der Test bereits vor dem Auftreten der bekannten Symptome anspricht, müsste noch ermittelt werden. Als speichelbasierte Screening-Methode zur Differenzierung von gesunden Patienten und solchen mit schwerer Parodontitis könnte sich ein Test eignen, der in einer weiteren, in Wien präsentierten Studie untersucht wurde (M. Kosho, Amsterdam/Leiden). Dieser könnte auch von nicht parodontologisch oder oralmedizinisch spezialisierten Heilberuflern und damit interdisziplinär genutzt werden.

KI für bessere Versorgung?
Um eine genauere Diagnose und eine darauf basierende personalisierte Behandlung mit höheren Erfolgsraten zu erreichen, werden neben den oben diskutierten Tests auch komplexe datenbasierte Lösungen erforscht. Eine Arbeitsgruppe der Harvard University (USA) trainiert dafür eine Software mit klinischen Messwerten, mikrobiologischen Befunden und demografischen Daten von Patienten aus abgeschlossenen klinischen Studien [11]. Eine niederländische Gruppe nutzte für ein ähnliches Projekt Daten aus elektronischen Patientenakten [12]. Der ermittelte gute Vorhersagewert muss bei beiden Methoden durch prospektive Studien bestätigt werden.

Bereits im Jahr 2013 diskutierte William Giannobile (Harvard) die Frage, welche Vorsorge-Untersuchungen und Screenings für welche Patienten klinisch und gesundheitsökonomisch nützlich sind [13]. Nach einer neuen Untersuchung aus den USA ist das Parodontitis-Risiko im mittleren Alter besonders stark mit demografischen Daten wie ökonomische Situation im Kindesalter, Bildung und Wohnort verknüpft [14]. Diese eher anamnestischen Daten können also auch für Screenings, Risikodiagnostik und die prognostische Einstufung einer Erkrankung bedeutsam sein, mit Konsequenzen für die oralmedizinische Versorgung.

Back to basics – Fazit
„Warten Sie nicht auf perfekte risikodiagnostische Daten, Sie werden sie niemals bekommen. Kümmern Sie sich um die wichtigsten Risikofaktoren.“ Der britische Parodontologe Iain Chapple (Birmingham) empfiehlt ein Screening-Werkzeug, mit dem neben Parodontitis auch das Risiko für Karies und Mundkrebs erfasst wird [15]. https://www.denplan.co.uk/­corporateservices/employees/default.aspx

Ähnlich wie eine Software für parodontale Diagnostik der Universität Bern (https://www.perio-tools.com/) und eine weitere für Karies-Risikodiagnostik der Universität Malmö sind Zugang und klinische Anwendung für „Denplan“ kostenlos. https://mau.se/en/about-
us/faculties-and-departments/faculty-of-odontology/cariogram/

Literaturliste
www.teamwork-media.de/literatur

Kontakt
Dr. Jan Hermann Koch
Approbierter Zahnarzt/Fachjournalist
service@dental-journalist.de
www.dental-journalist.de

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