Fachbericht

Digitale Technologien

15.11.21

Team-Disziplin

3D-Planung und Navigation in der Implantologie

Behandlungsplanung, Chirurgieschablone, digitales Mock-up, Implantatposition

Dr. Ephraim Nold MSc, Dr. Oliver Schubert MSc, Johannes Trimpl, Josef Schweiger, PD Dr. Jan-Frederik Güth

01a – Überlagerung von Daten der dreidimensionalen radiologischen Bildgebung (DICOM)

Die digitale Zahnheilkunde hält aktuell Einzug in alle Bereiche der Zahnmedizin. Begründet liegt dies in den sich bietenden disziplinübergreifenden Vorteilen, wie einer höheren Standardisierung der Arbeitsprozesse, der Möglichkeit zu optimalem Qualitätsmanagement sowie dem Zugriff auf bioinerte, homogene Restaurationsmaterialien. In der Implantologie bildet die dreidimensionale Bildgebung die Voraussetzung für eine patientengerechte individuelle Diagnostik, eine bestmögliche dreidimensionale Therapie-Planung sowie schließlich deren navigierte chirurgische Umsetzung und Nachkontrolle. Durch die intensive dreidimensionale Planung im restaurativen Team und die anschließende Umsetzung ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten und Vorteile, vorausgesetzt gewisse Rahmenbedingungen werden erfüllt und beachtet. Dieser Artikel soll den aktuellen Stand der 3D-Planung darstellen und kritisch beleuchten.

Fragen zum Patientenfall

Warum entscheiden Sie sich im Team immer häufiger für die dreidimensionale Planung vor einer Implantation?
PD Dr. Jan-Frederik Güth: Vor einer selektiven Operation – wie es eine Implantation darstellt -, erwarten viele Patienten eine ausführliche Aufklärung über die individuellen Möglichkeiten, deren Vor-und Nachteile und den notwendigen Aufwand. Zudem möchten wir als Behandlungsteam das aktuelle Maximum an Vorhersagbarkeit ermöglichen – besonders bei der Umsetzung komplexer implantologisch-prothetischer Therapien. Die 3D-Planung unterstützt uns maßgeblich bei der Erreichung dieser Ziele.

Wie aufwendig ist der Weg zu einer 3D-gedruckten Chirurgieschablone?
Sobald eine dreidimensionale radiologische Bildgebung durchgeführt wurde, können vorhandene STL-Daten der klinischen Situation mit den DICOM-Daten der 3D-Aufnahmen in einer Planungssoftware überlagert und die Implantatposition zu diesen Daten korreliert werden. Dies vereinfacht die Planung und Herstellung einer Chirurgieschablone zur navigierten Implantation maßgeblich.

Warum digitale dreidimensionale Planung in der Implantologie?
Es ist das erklärte Ziel moderner Zahnheilkunde, vorhersagbare, reproduzierbare und exakt passende Restaurationen mit optimaler Prognose bezüglich des Langzeiterfolgs zu generieren. Dies gilt vor allem in der Implantologie. Bei der Umsetzung dieses Ziels müssen alle Einzelschritte des gesamten Behandlungsprozesses von Anfang bis Ende aufeinander abgestimmt sein. Hierbei kommt besonders den ersten Planungsschritten Bedeutung zu, da der gesamte weitere Behandlungsprozess auf ihnen aufbaut und sie somit die Basis für den Erfolg der gesamten Behandlung darstellen. Geht hier etwas schief, stimmt beispielsweise die Implantatachse oder -position nicht, gestaltet sich die spätere prothetische Versorgung entsprechend aufwendig oder ist im Extremfall gar nicht möglich. Als Beispiel sei ein zu weit vestibulär stehendes Implantat im Frontzahnbereich genannt, das – einmal eingeheilt – nur schwer zufriedenstellend versorgt werden kann.

Gerade vor dem Hintergrund, dass eine Implantation eine elektive, das heißt, eine vom Patienten gegenüber anderen Behandlungsalternativen bevorzugte und ausdrücklich erwünschte Therapiealternative darstellt, die mit einer finanziellen und zeitlichen Belastung einhergeht, sollte ein Höchstmaß an Sicherheit und Vorhersagbarkeit angestrebt werden. Dies wiederum hilft, spätere Überraschungen, Enttäuschungen oder Unzufriedenheit zu vermeiden. Einen Schlüsselfaktor des Workflows stellt somit die Festlegung der späteren Implantat‧position dar, die heute mittels digitaler Verfahren präzise geplant werden kann.
Die Vorteile der digitalen dreidimensionalen Implantationsplanung sind leicht nachzuvollziehen: Durch die dreidimensionale Darstellung der anatomischen Gegebenheiten und die bessere Orientierung während des chirurgischen Eingriffs dank Chirurgieschablonen erhöht sich zunächst die Sicherheit während des operativen Eingriffs. Zudem können bereits vor Beginn der eigentlichen Behandlung mögliche Schwierigkeiten erkannt und wichtige Entscheidungen bezüglich des chirurgischen Vorgehens beim Hart- und Weichgewebsmanagement und der prothetischen Behandlungsstrategie getroffen werden, zum Beispiel bei der Materialwahl oder der Versorgungsform. Außerdem vereinfacht und verbessert sich durch die anschauliche Darstellung der anatomischen Situation die Kommunikation mit dem Patienten. Das heißt, die digitale Planung ermöglicht ein exaktes, an der späteren prothetischen Versorgung ausgerichtetes Backward Planning. Diesen Vorteilen stehen aktuell jedoch die noch immer vergleichsweise hohen Kosten für Planung und Herstellung der Schablonen sowie der verhältnismäßig hohe technische Aufwand gegenüber.

Die digitale dreidimensionale Planung und deren Umsetzung in eine Chirurgieschablone zur navigierten („guided“) Implantatinsertion war lange Zeit mit einem erheblichen technischen Aufwand verbunden, der mehrere Besuche der Patienten in der Praxis erforderte. Zur Herstellung der entsprechenden Röntgenschablonen mussten im Vorfeld Situationsabformungen und Modelle erstellt werden. Die Schablonen wurden dem Patienten während der dreidimensionalen Bildgebung in einer zweiten Sitzung im Mund eingesetzt. Auf Basis der Planungsdaten mussten diese Röntgenschablonen im Labor aufwendig in eine Chirurgieschablone umgearbeitet werden. Dies war notwendig, da die Referenzierung der Implantatposition über entsprechende röntgenopake, in der Röntgenschablone integrierte Marker erfolgte.

STL meets DICOM
Eine Schlüsselentwicklung in der dreidimensionalen Implantatplanung ist die Möglichkeit, dreidimensionale Volumendaten aus der radiologischen Bildgebung (DICOM) mit Oberflächendaten im STL- Format zu überlagern. STL steht für Standard Tesselation Language, die Beschreibung einer dreidimensionalen Oberfläche durch Oberflächendreiecke. Dieses Vorgehen ermöglicht, neben den bisherigen Vorteilen der 3D-Planung, die Datenakquise zur 3D-Planung in Form einer zu digitalisierenden analogen oder rein digitalen Abformung sowie die radiologische Diagnostik (DVT) in einer Sitzung, was den Prozess erheblich vereinfacht.
Das Referenzieren und Übertragen der geplanten Implantatposition in eine Chirurgieschablone erfolgt anhand der gescannten oralen Oberflächen. Hierzu werden beide Datensätze (DICOM und STL) in eine Implantatplanungssoftware importiert. Anschließend erfolgt die Überlagerung. Zu diesem Zweck werden in den meisten Planungssoftwares Punkte markiert, die in den beiden Datensätzen miteinander korrespondieren und der Software bei der groben Ausrichtung der Daten helfen. Die weitere Überlagerung der beiden Datensätze erfolgt nun anhand einer „best-fit“-Korrelation (Abb. 1a bis c).
Je höher die Qualität der radiologischen Aufnahme und des Oberflächenscans, desto besser ist hier das Ergebnis. Deshalb gilt es, Artefakte während der Bildgebung, beispielsweise durch Bewegung des Patienten, zu vermeiden. Nach der dreidimensionalen Ausrichtung der Daten zueinander muss das Ergebnis durch den Anwender kontrolliert werden. Sollten hierbei Ungereimtheiten auftreten, kann dies zu einer nicht exakt passenden Schablone oder zu einer Fehlpositionierung des Implantats während der Operation mit entsprechender Gefahr für die umliegenden anatomischen Strukturen führen. Hierzu dienen zum einen eine dreidimensionale farbkodierte Darstellung der Abweichungen (Abb. 2), zum anderen Querschnitte durch die überlagerten Datensätze, in denen sich Interferenzen exakt erkennen lassen (Abb. 3 und 4). Deshalb ist diesem Schritt besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Zusammen mit den STL-Modelldaten wird das zuvor erstellte digitale Mock-up (Abb. 5a und b), das heißt eine erste, orientierende Konstruktion der geplanten prothetischen Arbeit, in die Planungssoftware importiert. Diese liefert entscheidende Anhaltspunkte für die spätere Implantatausrichtung in der Planungssoftware und ermöglicht ein präzises Backward Planning. Bevor die eigentliche Implantatplanung beginnt, können nun wichtige, zu schützende anatomische Strukturen, wie beispielsweise der Nervus alveolaris inferior (Abb. 6a bis c) markiert werden.
Aus in der Software hinterlegten Implantatdatenbanken kann ein für die jeweiligen anatomischen und prothetischen Vorgaben passendes Implantat ausgewählt und dreidimensional in allen Raumachsen variierbar positioniert werden. Hierbei können zudem wertvolle Informationen zum vorhandenen Knochen- und Platzangebot (Abb. 7a und b) und über eventuell notwendige augmentative Maßnahmen gewonnen werden (Abb. 7c). Ebenso lassen sich mögliche Nachteile in der Implantatachse und -position besser abschätzen, die bei einem Verzicht auf augmentative Maßnahmen, wie beispielsweise Sinusboden-Elevationen oder laterale Augmentationen, entstehen würden (Abb. 7d). Es können weitere wichtige Informationen gesammelt werden, beispielsweise zur Implantat-Prothetik-Relation, zur Lage der Implantatschulter, zur Schleimhautdicke oder zur Lage des Schraubenkanals. Um eine optimale Ausrichtung auf die vorliegende klinische Situation, die geplante Restauration, die entsprechende Belastungssituation des Implantats und schließlich die gewünschte Ästhetik zu erzielen, kann für jede Situation ein individuell geeignetes Implantatdesign ausgewählt werden und entsprechend den individuellen Gegebenheiten und Anforderungen positioniert werden. Die gesamte Planung und die Positionierung der Implantate muss entweder vom ausführenden Operateur selbst durchgeführt oder durch diesen vor dem Export der Daten kontrolliert und freigegeben werden. Neben den für den Operateur wichtigen Informationen zur Entscheidungsfindung dienen die anschaulichen Darstellungen auch der besseren Kommunikation mit dem Patienten während der präoperativen Aufklärung.
Bei der Umsetzung der Daten in eine Chirurgieschablone erfolgt nun das Referenzieren der Implantatposition in Relation zur STL-Oberfläche (Abb. 8). Anschließend kann das digitale Design der Bohrschablone in der Implantatplanungssoftware erfolgen. Hierbei wird festgelegt, ob die Chirurgieschablone lediglich für die Pilotbohrung verwendet werden soll oder ob eine vollnavigierte Implantation geplant ist. Im letzten Fall muss die Wahl der entsprechenden Bohrhülsen auf das operative Vorgehen und/oder das chirurgische Navigationssystem des Implantatherstellers abgestimmt sein (Abb. 9a und b).
Der fertige Konstruktionsdatensatz kann wiederum als STL-Datei exportiert werden und unmittelbar, beispielsweise über 3D-Druckverfahren oder frästechnisch, in eine Chirurgieschablone umgesetzt werden (Abb. 10a und b, 11a und b). Anschließend erfolgt die Ausarbeitung und die entsprechende Befestigung/Verklebung der auf das Implantatsystem abgestimmten Bohrhülsen (Abb. 12a und b).
Zu jeder 3D-Planung erhält der Operateur einen Planungsreport, der den Implantattyp, die -länge, den -durchmesser und dessen Positionierung wiedergibt. Ebenso enthält der Planungsreport den sogenannten Offset der Bohrhülsen, aus dem sich die individuelle Bohrerlänge ergibt. Aus diesen Angaben kann der Operateur auf die notwendigen Instrumente wie Distanzhülsen, Löffel et cetera schließen (Abb. 13a und b).
Zu Beginn der Implantation wird die Bohrschablone einprobiert und der korrekte Sitz überprüft (Abb. 14). Je nach Positionierung der Bohrhülsen kann es sein, dass die Bohrschablone auf der Schleimhaut aufsitzt. Hierauf muss bereits während der Planung geachtet und gegebenenfalls ein Kompromiss zwischen Hülsenhöhe beziehungsweise deren vertikaler Positionierung und der individuellen Mundöffnung, sprich der Zugänglichkeit mit dem chirurgischen Winkelstück bei reduziertem vertikalen Platzangebot gefunden werden. Bei sehr hoch über der Gingiva positionierten Hülsen kann das Einfädeln des Bohrers in der korrekten Bohrachse, besonders im posterioren Bereich, äußerst schwierig werden. Alternativ muss zunächst ein Schleimhautschnitt erfolgen und ein entsprechender Lappen gebildet werden, um die Chirurgieschablone in die korrekte Position zu bringen. Bei einem geplanten minimalinvasiven Vorgehen durch Schleimhautstanzung und resultierender offener Einheilung müssen somit die Bohrhülsen zwingend so positioniert werden, dass sie nicht mit der Schleimhaut interferieren.
Anschließend erfolgt das schrittweise chirurgische Vorgehen (Abb. 15a und b). Nach der Pilotbohrung wird das Implantatbett mit den jeweils zuvor festgelegten Bohrern aufbereitet (Abb. 16a bis c). Vor der Implantatinsertion kann bei Bedarf noch eine Kontrolle mit entsprechenden Richtungsindikatoren erfolgen (Abb. 17). Abbildung 18 zeigt die Situation sieben Tage postoperativ nach der Insertion von fünf Implantaten.

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