Interview

Hochschule & Standpunkte

26.10.21

Verunreinigungen sind vermeidbar

Sicherheit für Behandler und Patient

Dr. Dirk Duddeck

Dr. Dirk Duddeck ist Implantologe und Gründer von CleanImplant.

Vertrauen ist im Arzt-Patienten-Verhältnis sehr wichtig. Deshalb müssen sich Behandler auf die Qualität der Medizinprodukte verlassen können, die sie in ihre Behandlungskonzepte integrieren. CleanImplant ist eine Organisation, die sich bereits seit drei Jahren mit dem Thema Sicherheit/Reinheit von Implantatoberflächen beschäftigt und dazu Analysen durchführt mit zum Teil erstaunlichen Ergebnissen. Dr. Dirk Duddek, selbst leidenschaftlicher Implantologe und Gründer der Non-Profit-Organisation CleanImplant ­Foundation, erläutert, woher die Verunreinigungen kommen und wie Behandler Sicherheit für ihre eingesetzten Medizinprodukte gewährleisten und dies ihren Patienten kommunizieren können.

Herr Dr. Duddeck, CleanImplant stößt mit der Analyse von Oberflächenverunreinigungen bei Implantaten inter­national bei Implantologen auf großes Interesse und auch Erstaunen hinsichtlich der Prüfergebnisse. Sind denn die FDA-Zulassung und die CE‑Zertifizierung kein Garant für Oberflächenreinheit bei Implantaten?
Dr. Dirk Duddeck: Das ist eine berechtigte Frage. Seit mehr als zehn Jahren untersuche ich steril verpackte Implantate mit dem Rasterelektronenmikroskop, das heißt, inzwischen habe ich mehr als 250 verschiedene Implantate von mehr als 150 Herstellern gesehen und gründlich analysiert. Zuletzt, in der aktuellen Implantatstudie 2017–2019, die wir in Kooperation mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin durchführen, war jedes dritte, manchmal sogar jedes zweite Implantatmuster, das wir unter Reinraumbedingungen auspackten und im REM analysierten, von erheblichen Verunreinigungen betroffen. Alle Muster trugen entweder das CE-Zeichen oder hatten die FDA-Zulassung oder, was die Mehrheit betrifft, konnten beide „Qualitätszeichen“ aufweisen – wenn man überhaupt in diesem Zusammenhang noch von Qualität sprechen darf. Mich hat als Wissenschaftler, aber insbesondere auch als Behandler sehr beunruhigt, dass keineswegs nur Exoten, sondern auch namhafte Hersteller betroffen waren. Seit 2017 hat die CleanImplant Foundation ein eigenes, weltweit anerkanntes Prüfverfahren eingeführt, das bei sauberer Oberfläche und ausreichender klinischer Dokumentation zur Vergabe der „Trusted Quality Mark“ als Auszeichnung führen kann.

Wen und wie prüfen Sie – und wenn wir schon beim Thema Sicherheit sind – wie „sicher beziehungsweise belastbar“ sind denn Ihre Prüfergebnisse?
Wir bekommen aus der ganzen Welt steril verpackte Muster von besorgten Kollegen zugeschickt, aber fragen auch gezielt bei Unternehmen nach, ob sie uns Testexemplare überlassen. Einige Firmen senden uns inzwischen schon vor Markteinführung Prototypen zur Analyse.
Die Frage nach der Belastbarkeit unserer Ergebnisse hatten wir uns frühzeitig gestellt. Unsere aufwendigen Analysen werden ausschließlich in einem nach DIN EN ISO/IEC 17025 offiziell von der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) akkreditierten Prüflabor durchgeführt, das die Validität seiner Partikelanalysen nach DIN ISO 22309 (Elementbestimmung mittels energiedispersiver Röntgenspektroskopie – EDX/EDS) in regelmäßigen externen Audits unter Beweis stellen muss. Für die Analyse von fünf Implantatmustern des gleichen Typs – so viele benötigen wir für die Analytik – werden mindestens zwei direkt aus Zahnarztpraxen nach dem Zufallsprinzip bezogen, sodass wir werksseitige Manipulationen beziehungsweise den Versand besonders sauberer Testmuster ausschließen können. Die Prüfmuster werden erst unmittelbar vor der Einschleusung in das Rasterelektronenmikroskop in einem Reinraum Klasse 5 gemäß DIN EN ISO 14644-1 ausgepackt und auf dem Probenhalter montiert. Nach Abschluss der umfangreichen Analyse wird ein Prüfbericht erstellt, dessen Ergebnis mit dem bereits 2017 vom wissenschaftlichen Beirat festgelegten Konsensus abgeglichen wird. Das im Internet frei zugängliche Dokument hatte die Kriterien für ein „sauberes“ Implantat erstmals als Leitlinie festgehalten. Bevor das Güte­-siegel vergeben werden kann, prüfen jeweils zwei Mitglieder des Beirats im Peer-Review unabhängig voneinander nicht nur den technische Analysebericht, sondern auch die vorliegende klinische Dokumentation des Implantatsystems. Diese muss eine Überlebensrate von mindestens 95  Prozent über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren dokumentieren. Das ist, alles zusammengenommen, in der Tat ein unglaublicher Aufwand für eine winzige Schraube; aber letztlich schulden wir diesen Aufwand den Kollegen und deren Patienten. Mehr Sicherheit und Unabhängigkeit in der Analytik ist kaum möglich.

Seit Kurzem hat CleanImplant die Analyse auf Substanzklassen erweitert. Was können Sie hierzu berichten?
Wir haben mit dem Einsatz weiterer Analysetechniken tatsächlich ein ganz neues und unglaublich spannendes Kapi­tel aufgeschlagen. Wenn wir bislang lediglich von „kohlenstoffhaltigen Verunreinigungen“ berichtet hatten, schien dies kaum einen meiner Kollegen zu interessieren, weil sich die wenigsten vorstellen können, was sich hinter diesem Begriff alles verbirgt. Erst die Flugzeitsekundär­ionenmassenspektrometrie (Time-of-Flight Secondary Ion Mass Spectrometry, ToF-SIMS), eine Methode, mit der aufliegende partikuläre und filmische Verunreinigungen im Bereich von 0,1 bis 1  nm gemessen werden, ermöglicht nun die Benennung der konkreten Substanz beziehungsweise Substanzklasse. Wir haben eine Reihe von verunreinigten Implantaten in einem ebenfalls akkreditierten Labor mit dieser Technologie untersuchen lassen und beunruhigende Ergebnisse feststellen müssen: So fanden sich auf den bereits im REM auffälligen Implantaten in der ToF-SIMS-Analyse nicht nur Polysiloxane, das heißt synthetische Polymere als Rückstände von Handschuhen, und thermoplastische Kunststoffe, die wahrscheinlich aus der Verpackung stammen. Wir konnten darüber hinaus auch deutliche Spuren von Reinigungsmittelbestandteilen wie Laurylsulfat und insbesondere Dodecylbenzolsulfonsäure (DBSA) auf mehreren Implantaten nachweisen. Das musste ich auch erst einmal nachlesen: DBSA ist eine der wichtigsten und leistungsstärksten Komponenten in vielen Reinigungsmitteln und wird von der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA als Gefahrstoff eingestuft. Über die biologische Verträglichkeit von Sili­konen und Kunststoffresten auf dentalen Implantaten konnte ich in der Literatur leider nichts finden. Diese Rückstände haben natürlich auf Implantaten nichts verloren und sind ja auch vermeidbar, wie es andere Implantate zeigen, die bei uns gelistet sind. Bei DBSA hört der Spaß aber auf. Wir müssen als Wissenschaftler nicht beweisen, dass all die Verunreinigungen, seien es kupfer- und nickelhaltige Metallverbindungen oder organische Substanzen, schädlich sind, denn sie sind technisch vermeidbar. Implantate werden uns als Medizinprodukte und nicht als billige Bauhausschrauben von der Industrie verkauft, das heißt, jeder Anwender muss darauf vertrauen können, dass er nicht irgendwann von Patienten auf Schadenersatz verklagt werden kann.

Es sind also der Produktionsprozess und die Verpackung, die die Gefahren hinsichtlich der Verunreinigung bergen?
Genau genommen kann in der gesamten Prozesskette von der CNC-Fertigung über die verschiedenen Prozesse der Oberflächenbearbeitung und Reinigung und weiter über das manuelle Kontrollieren und Verpacken bis zur Verpackung selbst etwas passieren, das heißt, eine Kontamination eintreten.
Was kann ich als Behandler tun, um die Oberflächenreinheit der verwendeten Implantate und damit die Sicherheit für die Patienten zu gewährleisten?
Als Behandler hatten wir in der Vergangenheit nur die Möglichkeit, dem Versprechen der Hersteller und den Zertifizierungsangaben auf der Verpackung zu vertrauen. Meines Erachtens geht für den verantwortlichen Implantologen heute kein Weg daran vorbei, zwei Dinge beim Hersteller einzufordern, um die Sicherheit der Patienten zu gewährleiten: Zum einen sollten sich Anwender klinische Dokumentationen wie Langzeituntersuchungen oder PMCF(post-marketing clinical follow-up)-Studien zeigen lassen, um in der Retrospektive eine Aussage zur klinischen Sicherheit des System zu erhalten. Zum anderen kann jeder auf unserer Website nachsehen, welche Implantate in den aktuellen Analysen, die wir alle zwei Jahren wiederholen, besonders sauber und damit sicher sind. Für Mitglieder, die unsere Arbeit unterstützen, testen wir auch Implantate, die bislang nicht gelistet sind.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.

Das Interview führte Natascha Brand.

Die CleanImplant Community
Zahnärzte, die Sicherheit für sich und ihre Patienten suchen und das Non-Profit-Projekt unterstützen wollen, erhalten nicht nur konkrete Informationen über die jeweils eingesetzten Implantate. Für registrierte Mitglieder in der CleanImplant Community wird zudem ein personalisiertes Qualitätszertifikat ausgestellt, das Auskunft über die Reinheit von bis zu drei verwendeten Implantatsystemen gibt, sofern diese Systeme die Voraussetzungen erfüllen. So kann besorgten Patienten bereits im Wartezimmer signalisiert werden, dass die Praxis ausschließlich sichere Implantate verwendet. Auf Wunsch werden zusätzliche Zertifikate für Überweiser von implantologischen Schwerpunktpraxen ausgestellt.
Die CleanImplant Foundation unterstützt Mitglieder mit normgerechten Prüfberichten von Implantaten bei möglichen Problemfällen und bietet einen individuellen Vorab-Check neuer Systeme, bevor diese in der Praxis zum Einsatz kommen. Neben weiteren Mitgliedervorteilen wie wissenschaftlichen Hintergrundinformationen und dem Zugang zu einem Expertennetzwerk unterstützen die Mitglieder in jedem Fall mit ihrem Förderbeitrag die transparente Arbeit der völlig unabhängigen Organisation.

Weitere Infos unter www.cleanimplant.org/become-a-member

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