Fachbericht

Prävention & Zahnerhalt

11.09.24

Vitalerhaltung auf den Punkt gebracht

Übersicht über die Indikationen vitalerhaltender Maßnahmen und Behandlungsempfehlungen

Kalziumhydroxid, Kalziumsilikat-­Zemente, Pulpitis, Pulpotomie, Überkappung

Dr. Laurentia Schuster

Im Rahmen eines dentalen Traumas oder während der Exkavation profunder kariöser Läsionen kann es zur akzidentellen Eröffnung der vitalen Pulpa kommen. Nach gründlicher Bewertung des Pulpastatus können vitalerhaltende Maßnahmen durchgeführt werden. Hierbei lässt sich zwischen der indirekten und direkten Überkappung sowie der partiellen oder vollständigen Pulpotomie unterscheiden.

Entscheidend für den Erfolg vitalerhaltender Maßnahmen ist die korrekte Durchführung der Behandlung unter aseptischen Kautelen (Kofferdam) sowie die Auswahl eines geeigneten Überkappungsmaterials. Hydraulische Kalziumsilikat-Zemente zeigen bei vitalerhaltenden Maßnahmen die besten Erfolgsraten, sodass diese Materialien als Goldstandard gelten. Auf licht- oder dualhärtende Materialien zur Überkappung der Pulpa sollte gänzlich verzichtet werden, da diese kaum biokompatibel sind und keine Heilung der Pulpa induzieren können.

Unter dem Begriff der Vitalerhaltung werden verschiedene Behandlungsmöglichkeiten summiert: die indirekte und die direkte Überkappung der Pulpa sowie die partielle und vollständige Pulpotomie. Diese können im Rahmen einer akzidentellen Exposition der Pulpa durch ein dentales Trauma oder bei der Kariesexkavation profunder Kavitäten notwendig werden. Das Ziel vitalerhaltender Maßnahmen ist dabei, die (exponierte) Pulpa im Sinne einer Wundversiegelung zu bedecken und sie so vor äußeren Einflüssen zu schützen. Dadurch soll das Entstehen einer entzündlichen Reaktion der Pulpa vermieden und die Hartgewebeneubildung induziert werden. Deshalb ist es wichtig, die gesamte Behandlung durch das Anlegen von Kofferdam unter möglichst keimarmen Bedingungen durchzuführen.
Kein klinischer Test ist aktuell in der Lage, den tatsächlichen Pulpazustand abzubilden. Dieser kann nur anhand histologischer Untersuchungen festgestellt werden [24,35]. Daher muss man objektive klinische Befunde sowie subjektive Empfindungen des Patienten beachten, um eine möglichst genaue Pulpadiagnose zu treffen. Klassischerweise wird zwischen einer reversiblen und einer irreversiblen Pulpitis unterschieden. Per definitionem wird angenommen, dass eine reversible Pulpitis wieder vollständig ausheilen kann, wenn der Reiz entfernt wurde, während die Pulpa bei einer irreversiblen Pulpitis nicht mehr von alleine heilen kann [4]. Eine reversible Pulpitis stellt sich meist durch einen reizgebundenen, klar lokalisierbaren Schmerz dar, die Sensibilitätsprobe des betroffenen Zahns fällt positiv aus. Eine irreversible Pulpitis zeichnet sich durch reizüberdauernde Schmerzen, eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit gegenüber thermischen Reizen und eine schlechtere Lokalisierbarkeit des Schmerzes bei nach wie vor positiver Sensibilitätsprobe aus. Die histologische Untersuchung einer reversiblen Pulpitis zeigt moderate Entzündungszeichen mit in die Pulpa eingewanderten Lymphozyten und kaum bis gar keine Bakterien in der Pulpa, während die histologische Untersuchung einer irreversiblen Pulpitis eine ausgeprägte Entzündungsreaktion bis hin zu partiellen Nekrosen unter Anwesenheit neutrophiler Granulozyten und Bakterien in der Pulpa zeigt [59]. Das Schmerzempfinden seitens des Patienten ist jedoch das am wenigsten sichere klinische Kriterium für die Einteilung in eine reversible oder irreversible Pulpitis [47].

Merke:

  • Man unterscheidet zwischen der indirekten Überkappung bei der Behandlung profunder Läsionen und der direkten Überkappung bei der Behandlung einer exponierten Pulpa.
  • Behandlungsoptionen: indirekte Überkappung, direkte Überkappung, partielle Pulpotomie oder vollständige Pulpotomie
    Der wahre Zustand der Pulpa lässt sich mit den aktuell vorhandenen klinischen Tests nicht abbilden; nur eine histologische Untersuchung kann den tatsächlichen Entzündungsgrad der Pulpa darstellen.
  • Reversible Pulpitis: reizgebundener, klar lokalisierbarer Schmerz, positive Sensibilitätsprobe
  • irreversible Pulpitis: reizüberdauernder oder spontan auftretender, schlecht lokalisierbarer Schmerz mit erhöhter Wärmeempfindlichkeit, positive Sensibilitätsprobe

Die zuverlässigere Möglichkeit, den Entzündungszustand der exponierten Pulpa einzuschätzen, ist die Pulpablutung. Je stärker ausgeprägt die Pulpablutung ist, desto stärker ausgeprägt ist auch der Entzündungsgrad der Pulpa: Eine schwach ausgeprägte Blutung aus der Pulpa ist ein Zeichen für eine kaum bis gar nicht vorhandene Entzündungsreaktion der Pulpa (reversible Pulpitis), während eine prolongierte, stark ausgeprägte Blutung aus der Pulpa ein Zeichen für eine durch eingedrungene Bakterien ausgelöste Entzündungsreaktion des Pulpagewebes ist (irreversible Pulpitis). In der klinischen Behandlungssituation sollte nach etwa 5 min eine Hämostase erreicht werden [21], auch wenn in Studien von erfolgreicher Vitalerhaltung nach Blutungszeiten zwischen 6 min [68,69] und 25 min [13,57] berichtet wird. Ein wissenschaftlicher Beweis, wie viele Minuten Pulpablutung zu lang sind, steht aus. Eine effektive ­Blutstillung ist wichtig, damit das Überkappungsmaterial direkten Kontakt zum Pulpagewebe hat und kein Blutkoagulum auf der Pulpa verbleibt, das die Hartgewebebildung stören kann [65]. Die Blutstillung und damit auch gleichzeitig die Desinfektion der Kavität sollte mit Natriumhypochlorit (NaOCl) in einer Konzentration von ca. 3 % erfolgen [9]. NaOCl hat eine desinfizierende und gewebeauflösende Wirkung, es entfernt geschädigte Pulpazellen von der exponierten Pulpaoberfläche sowie Blut- und Smear-Layer-Reste aus der Kavität.

Merke:

  • Das Ausmaß der Blutung aus der eröffneten Pulpa spiegelt den Entzündungsgrad des Gewebes wider.
  • Eine gut zu kontrollierende Blutung ist Hinweis auf eine reversible Pulpitis.
  • Eine prolongierte, schlecht zu kontrollierende Blutung ist Hinweis auf eine irreversible Pulpitis.
  • Die Blutstillung sollte mit 3%igem NaOCl erfolgen und innerhalb von 5 min zu erreichen sein.
  • Im Anschluss an vitalerhaltende Maßnahmen sollte eine definitive, adhäsive Versorgung angefertigt werden.
  • Die gesamte Behandlung sollte unter aseptischen Bedingungen (Kofferdam) erfolgen.

Wird die Pulpa freigelegt und es offenbart sich nekrotisches Pulpagewebe ohne jedwede Anzeichen einer Blutung, so ist die Durchführung vitalerhaltender Maßnahmen kontraindiziert. Das Gleiche gilt, wenn sich in der präoperativen Röntgenaufnahme eine apikale Transluzenz darstellt.

Im Anschluss an die Durchführung vital­erhaltender Maßnahmen sollte der Zahn zwingend mit einer definitiven adhäsiven Kompositrestauration in derselben Behandlungssitzung versorgt werden. Nur so kann eine Rekontamination des Pulpa-Dentin-Komplexes vermieden werden. Erfolgt keine definitive Versorgung nach der Durchführung vitalerhaltender Maßnahmen, so sinkt die Erfolgsrate der Behandlung signifikant [32].

Wurde früher gefordert, die Eröffnung der Pulpa dürfe nicht größer als sondenspitzengroß oder nicht größer als 1 mm2 sein, so liegen heute viele Studien vor, die zeigen konnten, dass die Größe der Pulpa­eröffnung keinen Einfluss auf den Behandlungserfolg hat [64]. Ebenso wenig beeinflusst die Lage der Pulpaeröffnung in der Kavität bzw. die Lage der Kavität im Zahn das Behandlungsergebnis [64].

Mit zunehmendem Alter des Patienten sinkt die Regenerationsfähigkeit der Pulpa zwar [51], dennoch sind vitalerhaltende Maßnahmen auch bei betagten Patienten erfolgreich (Abb. 1 bis 8). Einzig vorhandene Mineralisationen in der Pulpa (z. B. Dentikel) können sich negativ auf den Behandlungserfolg vitalerhaltender Maßnahmen auswirken [64].

Merke:

  • Bei Anzeichen einer Pulpanekrose sind vitalerhaltende Maßnahmen kontraindiziert.
  • Die Art der Pulpaexposition sowie die Lage der Pulpaexposition im Zahn und die Zahngruppe beeinflussen den Erfolg vitalerhaltender Maßnahmen nicht.
  • Das Alter des Patienten beeinflusst den Erfolg vitalerhaltender Maßnahmen nicht.
  • Die Art der Restauration nach erfolgter vitalerhaltender Therapie hat signifikanten Einfluss auf den Behandlungserfolg; eine anschließende adhäsive Kompositrestauration ist obligat

Die korrekte Durchführung ­vitalerhaltender Maßnahmen

Indirekte Überkappung
Unter einer indirekten Überkappung versteht man die Versorgung pulpanaher Dentinareale in vollständig exkavierten Kavitäten von Zähnen mit einer klinisch gesunden Pulpa oder mit einer reversiblen Pulpitis oder von Zähnen mit einer pulpanahen Kronenfraktur [9,64]. Auch wenn im Zeitalter der zahnfarbenen, adhäsiven Restaurationen eine Unterfüllung nicht mehr notwendig erscheint, sollte eine indirekte Überkappung immer dann durchgeführt werden, wenn die verbliebene Restdentindicke unter 300 µm liegt [25]. Schimmert die Pulpa rosarot durch das verbliebene Dentin durch, so beträgt dessen Dicke etwa 300 µm oder weniger. In diesem Fall sollte eine indirekte Überkappung erfolgen, um das Pulpagewebe vor möglicherweise durch das Dentin penetrierenden Monomeren aus den Adhäsiven zu schützen, da diese die Odontoblastenfunktion stören [26,66], und um das durch Mikroorganismen und deren Toxine penetrierte Dentin zu desinfizieren [66]. Gleiches gilt für traumatisch bedingte pulpanahe Läsionen, gerade bei jungen Patienten, bei denen in pulpanahen Arealen die Dentintubuli erweitert und somit deutlich permeabler für Mikroorganismen oder Adhäsivbestandteile sind [44]. Dazu wird die Kavität mit NaOCl (ca. 3 %) gereinigt und ein Kalziumsilikat-Zement im Sinne einer Unterfüllung gelegt. Die Kavität wird anschließend mit einer adhäsiven, definitiven Füllung versorgt (Tab. 1).

Direkte Überkappung, partielle und vollständige Pulpotomie
Unter einer direkten Überkappung versteht man die Applikation eines Überkappungsmaterials auf die exponierte Pulpa mit dem Ziel, die Heilung der Pulpa und die Hartgewebsneubildung zu unterstützen. Eine direkte Überkappung kann ­immer dann durchgeführt werden, wenn die Pulpa gesund ist oder allenfalls eine reversible Pulpitis vorliegt [21]. Bei akzidenteller Exposition der Pulpa im Rahmen einer Kariesexkavation oder eines Traumas ist eine bakterielle Kontamination der Pulpa nicht unwahrscheinlich. Ist die Pulpa nicht oder nur oberflächlich kontaminiert, sistiert meist innerhalb von 5–6 min die Blutung. Eine Blutstillung wird mit ­NaOCl durchgeführt. Anschließend wird die Pulpa wie bei der indirekten Überkappung mit einem Kalziumsilikat-Zement versorgt und eine Füllung gelegt. Lässt sich die Pulpablutung nicht stoppen, sollte eine partielle Pulpotomie erfolgen. Dabei werden ca. 2–3 mm Pulpagewebe mit einem sauberen, diamantierten, rotierenden, runden Schleifkörper unter permanenter Wasserkühlung bis in einen gesunden Bereich reduziert [21]. Ist das restliche Pulpagewebe nicht infiziert, lässt sich eine Blutstillung problemlos durchführen. Lässt sich keine Hämostase erreichen, muss eine vollständige Pulpotomie durchgeführt werden, d. h. die Kronenpulpa wird bis zu den Wurzelkanaleingängen hin amputiert (siehe Tab. 1).

Wird eine partielle Pulpotomie durchgeführt, so besteht kein erhöhtes Risiko für eine spätere Obliteration der Wurzelkanäle des behandelten Zahns (Abb. 9 bis 18). Wird jedoch eine vollständige Pulpotomie durchgeführt, ist das Risiko einer späteren Wurzelkanalobliteration möglicherweise erhöht [43].

Die Auswahl des geeigneten Materials zur Überkappung 
einer vitalen Pulpa

Kalziumhydroxid und Kalziumsilikat-­Zemente
In den vergangenen 100 Jahren hat sich Kalziumhydroxid für die Vitalerhaltung bewährt [20,41]. Trotz seiner guten Eigenschaften wie hoher pH-Wert und Induktion zur Hartgewebeneubildung [48,58,62] hat Kalziumhydroxid Nachteile. Es haftet kaum am Dentin und bietet keinen Schutz vor Mikroleakages [9,50]. Außerdem zeigt es über einen längeren Zeitraum Anzeichen von Resorption und damit mechanischer Instabilität [9] unter der Restauration. Das neu gebildete Hartgewebe kann porös sein [17,29] und sogenannte Tunneldefekte aufweisen.

Um die Nachteile von Kalziumhydroxid zu umgehen, wurden Kalziumsilikat-Zemente wie MTA (ProRoot MTA, Dentsply Maillefer) oder Biodentine (Septodont) entwickelt. MTA ist ein von Portlandzement abgeleiteter Kalziumsilikat-Zement [70], Biodentine ein synthetischer Kalziumsilikat-Zement. Beide Materialien sind hydraulische Zemente, was bedeutet, dass sie in trockener oder feuchter Umgebung aushärten können. Sie bestehen aus einem Pulver und einer Flüssigkeit, die je nach Material unterschiedlich sind und gemischt werden müssen. Den Hauptanteil des Pulvers machen Tri- und Dikalziumsilikat aus. Bei der Aushärtung (sog. Hydratationsreaktion) der hydraulischen Kalziumsilikat-Zemente wird Wasser gebunden und Kalzium­hydroxid entsteht [8]. Dadurch werden Kalziumionen freigesetzt; sie haben einen alkalischen pH-Wert und setzen darüber hinaus Silizium frei, das eine bioaktive Wirkung hat [12,14,30]. Kalziumsilikat-­Zemente haben die gleichen positiven Auswirkungen auf die Pulpazellen wie Kalziumhydroxid [9]. In Kontakt mit (simulierten) Körperflüssigkeiten bildet sich auf der Oberfläche der Kalziumsilikat-Zemente ein hydroxylapatitähnlicher Niederschlag [11], was dazu führt, dass Zellen sich an dessen Oberfläche anlagern.

An der Dentinoberfläche weisen Kalziumsilikat-Zemente eine ähnliche Haftung wie Glasionomer-Zemente auf [39], weshalb sie auch unter der definitiven Restauration stabil sind. Sie haben eine höhere Festigkeit als Kalziumhydroxid, lösen sich nicht auf und es können keine Mikroleakages entstehen. Jedoch haben die Kalziumsilikat-Zemente zwei Nachteile: bei ProRoot MTA sind mitunter Verfärbungen der Zähne zu beobachten [7,67] und es braucht bis zu 2,5 h um vollständig abzubinden [70]. Im Unterschied zu MTA hat Biodentine eine Abbindezeit von etwa 15 min [1] und verursacht keine Zahnverfärbungen. In der Literatur finden sich zahlreiche Studien, die die vorteilhaften Ergebnisse der Pulpaüberkappung mit Kalziumsilikat-­Zementen belegen. Biodentine und MTA zeigen signifikant bessere Ergebnisse als Kalziumhydroxid [18,46,71]. Für beide Materialien zeigen histologische Untersuchungen die Bildung einer Hartgewebebrücke zwischen der freiliegenden Pulpa und dem Überkappungsmaterial sowie das Ausbleiben einer Entzündungsreaktion der Pulpa [53,54].

Merke:

  • Kalziumsilikat-Zemente sind, neben Kalziumhydroxid, der Goldstandard unter den Überkappungsmaterialien.
  • Sie geben Kalzium- und Hydroxyl­ionen ab.
  • Kalzium- und Hydroxylionen haben positive Auswirkungen auf pulpale Zellen und fördern so die Heilung und Mineralisationsfähigkeit der Pulpa.
  • Kalziumsilikat-Zemente haben bessere mechanische Eigenschaften als Kalziumhydroxid-Präparate.
  • In der Literatur sind sehr gute klinische Erfolgsraten sowie viele Laborstudien zu finden, die die Biokompatibilität dieser Materialien unterstreichen: Kalziumsilikat-Zemente fördern die Proliferation pulpaler Zellen und haben eine mineralisationsfördernde Wirkung.
  • Ein Nachteil der Kalziumsilikat-Zemente ist ihre verlängerte Aushärtungszeit von 15 min bis hin zu mehreren Stunden.

Licht- und dualhärtende ­Überkappungsmaterialien

Um die prolongierte Abbindezeit der Kalziumsilikat-Zemente zu umgehen, wurden licht- oder dualhärtende fließfähige Kompositmaterialien entwickelt, die einen Zusatz von Kalziumhydroxid- oder Kalziumsilikat-Pulver enthalten (sog. lichthärtende Überkappungsmaterialien), deren Hersteller damit werben, die Vorteile des Komposits (adhäsive Befestigung, Aushärtezeit weniger Sekunden) mit denen der Kalziumsilikat-Zemente (basischer pH-Wert, Kalziumionenfreisetzung) zu vereinen.

Alle Kompositmaterialien, also auch lichthärtende Überkappungsmaterialien, haben eine zytotoxische Wirkung [2,5,15,16,19,33,36,38,40]. In der Vergangenheit haben Studien gezeigt, dass lichthärtende Überkappungsmaterialien eine konstante Menge an Monomeren und anderen Komponenten freisetzen [45,52], die zelltoxisch sind [31,37]. Auch liegt bei manchen lichthärtenden Überkappungsmaterialien nach einer Polymerisationszeit von 20 s lediglich ein Konversionsgrad von weniger als 30 % vor [42]. Das bedeutet, dass nach einer 20-sekündigen Polymerisation noch immer zu 70 % unpolymerisierte, freie Monomere vorhanden sind. Nach direktem Kontakt mit lichthärtenden Überkappungsmaterialien kommt es zu einem signifikanten Rückgang der Zellumsatzraten von Pulpazellen [34,56], d. h. diese Materialien haben eine signifikante zellschädigende Wirkung [10,27,28,34,55,56].

Im Gegensatz zu lichthärtenden Überkappungsmaterialien lösen hydraulische Kalziumsilikat-Zemente und Kalziumhydroxid eine Proliferation der Pulpazellen aus [22,23]. Verglichen mit hydraulischen Kalziumsilikat-Zementen zeigen die lichthärtenden Pulpaüberkappungsmaterialien schlechtere Ergebnisse in Bezug auf 
Entzündungsreaktionen der Pulpa und 
die Proliferation von Pulpazellen [3,34,49,54,61] und sie können kaum [10,60,63] oder gar keine [49] Zellmineralisation induzieren. Klinische Studien, in denen lichthärtende Pulpaüberkappungsmaterialien untersucht wurden, zeigten, dass die Erfolgsrate vitalerhaltender Maßnahmen im Vergleich zu hydraulischen Kalziumsilikat-Zementen signifikant geringer war [6].

Aus all diesen hier aufgeführten Gründen kann der Einsatz von lichthärtenden Überkappungsmaterialien im Rahmen vitalerhaltender Maßnahmen nicht empfohlen werden. Sie sollten grundsätzlich nicht im Kontakt mit der vitalen Pulpa verwendet werden.

Merke:

  • Bei lichthärtenden Überkappungsmaterialien handelt es sich um fließfähige Komposite mit Zusatz von Kalziumsilikat- oder Kalziumhydroxid-Pulver.
  • Sie werden als Alternative zu Kalziumsilikat-Zementen vermarktet, die Hersteller werben damit, die Vorteile von Kompositen und Kalziumsilikat-Zementen vereint zu haben und bezeichnen ihre Produkte oft als „lichthärtende MTA-Zemente“.
  • Die Biokompatibilität dieser Materialien ist zum aktuellen Zeitpunkt strittig.
  • Aus den lichthärtenden Überkappungsmaterialien treten verschiedene zelltoxische Monomere aus, sie geben weniger Kalziumionen ab und haben einen geringeren pH-Wert als Kalziumsilikat-Zemente.
  • Lichthärtende Überkappungsmaterialien haben zytotoxische Wirkungen, sie senken die Umsatzrate pulpaler Zellen und sind im Gegensatz zu Kalziumsilikat-Zementen kaum in der Lage, eine Mineralisation zu induzieren.
  • Ihre Verwendung zur Überkappung der Pulpa kann nicht empfohlen werden.

Schlussfolgerung

Vitalerhaltende Maßnahmen zeigen hohe klinische Erfolgsraten, wenn sie korrekt durchgeführt werden. Dabei ist es weder entscheidend, wie groß die Exposition der Pulpa ist oder wo sie sich befindet, noch spielt es eine Rolle, wie alt der Patient ist. Lediglich die gewählte Überkappungsmethode und das zur Überkappung genutzte Material haben einen signifikanten Einfluss auf den Behandlungserfolg. Es empfiehlt sich, die gesamte Behandlung unter Kofferdam durchzuführen und nach einer gründlichen Bewertung des Pulpastatus eine Blutstillung mit NaOCl (ca. 3%) vorzunehmen, bevor die Pulpa überkappt wird. Zur Überkappung der Pulpa sollen hydraulische Kalziumsilikat-Zemente genutzt werden, da diese die höchsten klinischen Erfolgsraten der Behandlung aufweisen.

Detaillierte Informationen zur Vitalerhaltung der Pulpa sind im Angebot des Dental Online College (mgo fachverlage) zu finden: www.dental-online-college.com/booklets/die-vitalerhaltung-der-pulpa

Dr. Laurentia Schuster ist Zahnärztin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Poliklinik für Parodontologie und Zahnerhaltung des Universitätsklinikums Münster (UKM).

  • seit 09/2022 DGZ-Junior-Spezialistin für Zahnerhaltung (präventiv/restaurativ)
  • 09/2022 Forschungsförderung durch DGR2Z-GC-Grant
  • 06/2022 Promotion
  • 2013–2018 Studium der Zahnmedizin, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt

Prof. Dr. Till Dammaschke ist Leiter des Bereichs „Kariologie und Kinderzahnheilkunde“ der Poliklinik für Parodontologie und Zahnerhaltung in Münster. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt im Bereich der Vitalerhaltung der Pulpa sowie Kalziumsilikat-Zemente und -Sealer. Er ist zertifiziertes Mitglied der Europäischen Gesellschaft für Endodontie (ESE), Sectioneditor der Zeitschrift „Head & Face Medicine“, Co-Editor des „European Endodontic Journal“, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Zeitschriften „Endodontie“ (Deutschland) und „Magazyn Stomatologiczny“ (Polen) sowie Mitglied des Editorial Board von „Clinical Oral Investigations“. Till Dammaschke hat über 100 Publikationen verfasst und ist Mitautor verschiedener Kapitel in internationalen Lehrbüchern, z. B. „Vital Pulp Therapy“ in „Cohen‘s Pathways of the Pulp“.

  • 2012 Ernennung zum Professor
  • 1998 Oberarzt an der Poliklinik für Zahnerhaltung der Universität Münster
  • 1994 Mitarbeiter an der Poliklinik für Zahnerhaltung der Universität Münster
  • 1987-1993 Zahnmedizinstudium an der Universität Göttingen

Kontakt
Dr. Laurentia Schuster
Universität Münster
Poliklinik für Parodontologie ­­und ­Zahnerhaltung
Waldeyerstraße 30, 48149 Münster
Laurentia.Schuster@ukmuenster.de

Tabelle 1: Empfohlener Behandlungsablauf bei der Durchführung vitalerhaltender Maßnahmen

Exposition der Pulpa im Rahmen eines Traumas

  1. visuelle Inspektion der Kronenfraktur
  2. präoperative Röntgenaufnahme(n), idealerweise in zwei Ebenen
  3. Applikation lokaler Anästhesie
  4. Isolation der betroffenen Zähne mittels Kofferdam
  5. erneute visuelle Inspektion der Kronenfraktur, Reinigung der Frakturoberfläche mit NaOCl (ca. 3 %)
  6. Beurteilung der Restdentindicke: I) Dentindecke über der Pulpa noch vollständig intakt, 
I.1) Pulpa schimmert nicht rosarot, hohe Restdentindicke und I.2) Pulpa schimmert rosarot, geringe Restdentindicke von ≤ 300µm II) Eröffnung der Pulpa, II.1) punktuell oder 
II.2) großflächige
  7. I.1) keine weiteren Maßnahmen notwendig
  8. I.2) Durchführung einer indirekten Überkappung: Aufbringen des hydraulischen Kalziumsilikat-Zements als Unterfüllung
  9. II.1) Inspektion der eröffneten Pulpa, Blutstillung mit ­NaOCl (ca. 3%), wenn die Blutung innerhalb weniger Minuten zum Stillstand kommt, Durchführung einer direkten Überkappung: Aufbringen des hydraulischen Kalziumsilikat-Zements auf das Pulpagewebe
  10. II.2) Inspektion der eröffneten Pulpa, befundorientierte Durchführung einer partiellen oder vollständigen Pulpotomie: Abtragen der Pulpa mit einem scharfen, diamantierten Schleifkörper, Blutstillung mit NaOCl (ca. 3%), wenn die Blutung innerhalb weniger Minuten zum Stillstand kommt Beenden der Pulpotomie, Aufbringen des hydraulischen Kalziumsilikat-Zements auf das Pulpagewebe
  11. Durchführung des bevorzugten adhäsiven Protokolls je nach genutztem Adhäsivsystem (Etch-and-Rinse oder Self-Etch) und Platzieren der definitiven Kompositrestauration, alternativ Durchführung des adhäsiven Protokolls und Wiederbefestigung des frakturierten Zahnkronenfragmentes, wenn dieses vorhanden und repositionierbar ist.

Exposition der Pulpa im Rahmen der Kariesexkavation profunder Kavitäten

  1. visuelle Inspektion der kariösen Läsion
  2. wenn möglich präoperative Röntgenaufnahme
  3. Applikation lokaler Anästhesie
  4. Isolation der zu behandelnden Zähne mittels Kofferdam
  5. vollständige (nonselektive) Kariesexkavation, Reinigung und Desinfektion der Kavität mit NaOCl (ca. 3%)
  6. Beurteilung der Restdentindicke: I) Dentindecke über der Pulpa noch vollständig intakt, I.1) Pulpa schimmert nicht rosarot, hohe Restdentindicke und I.2) Pulpa schimmert rosarot, geringe Restdentindicke von ≤ 300µm II) Eröffnung der Pulpa, II.1) punktuell oder 
II.2) großflächige
  7. I.1) keine weiteren Maßnahmen notwendig
  8. I.2) Durchführung einer indirekten Überkappung: Aufbringen des hydraulischen Kalziumsilikat-Zements als Unterfüllung
  9. II.1) Inspektion der eröffneten Pulpa, Blutstillung mit ­NaOCl (ca. 3%), wenn die Blutung innerhalb weniger Minuten zum Stillstand kommt, Durchführung einer direkten Überkappung: Aufbringen des hydraulischen Kalziumsilikat-Zements auf das Pulpagewebe
  10. II.2) Inspektion der eröffneten Pulpa, befundorientierte Durchführung einer partiellen oder vollständigen Pulpotomie: Abtragen der Pulpa mit einem scharfen, diamantierten Schleifkörper, Blutstillung mit NaOCl (ca. 3%), wenn die Blutung innerhalb weniger Minuten zum Stillstand kommt Beenden der Pulpotomie, Aufbringen des hydraulischen Kalziumsilikat-Zements auf das Pulpagewebe
  11. Durchführung des bevorzugten adhäsiven Protokolls je nach genutztem Adhäsivsystem (Etch-and-Rinse oder Self-Etch) und Platzieren der definitiven Kompositrestauration

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