Fachbericht

Falldokumention

11.09.24

Von der Chairside-Fertigung zur echten Single-Visit-Dentistry

Neue Ära der digitalen restaurativen Zahnmedizin: Effizienz und Patientenzufriedenheit

Chairside-Fertigung, Single-Visit-Dentistry

Dr. Batyr Kuliev

Die Digitalisierung verändert nahezu alle Bereiche der Zahnmedizin und scheint sich teilweise durch immer intelligentere Technologien, smarte Algorithmen und vernetzte Plattformen selbst zu überholen. Dabei geht es längst nicht mehr nur um die Substitution klassischer Verfahren. Vielmehr werden ganze Prozessketten teilweise vollständig automatisiert. Prominentes Beispiel ist die Single-Visit-Dentistry. Wie mit einem intelligenten Workflow die Ansprüche an die Chair­side-Fertigung neu definiert werden, beschreibt der Autor in diesem Artikel.

Digitalisierung ist in der Zahnmedizin ein kontinuierlicher Prozess. Mit zunehmender Etablierung moderner Intraoralscanner eröffnen sich für Zahnärzte neue Möglichkeiten, Scandaten selbst zu verarbeiten. Früher eher etwas für Digital-Enthusiasten, machen intuitive Lösungen die Chairside-Produktion heute für jeden zugänglich. Die Kombination aus anwenderfreundlichen Technologien und modernen Werkstoffen macht die Single-Visit-Dentis­try zu einem echten Game-Changer. Einzelzahnrestaurationen wie Veneers, Kronen und Inlays können dank geeigneter Technologien schnell und einfach in der Praxis hergestellt werden. Das spart Zeit, vereinfacht die Abläufe und stärkt das Vertrauen der Patienten. Praxis und Patient profitieren gleichermaßen von der Zuverlässigkeit und Präzision. Was in den Anfängen der Chairside-Fertigung wie ein Wunschtraum klang, ist heute Realität: Vom modernen Intraoralscanner (z. B.
iTero, exocad) führt ein hochautomatisierter Prozess direkt zu einer intuitiven CAD-Plattform wie ChairsideCAD (exocad) und weiter zur Schleif- oder Fräsmaschine oder alternativ ins Dentallabor.

Offene Systemlösung für ­Single-Visit-Dentistry
Inzwischen konzentrieren sich auch ausgewiesene Digitalexperten der Zahnmedizin auf diese Art der Zahnersatzherstellung. Ein Beispiel ist Align Technology. Zur Unternehmensgruppe gehört exocad. Die Integration des zahntechnischen Know-hows in die restaurative Zahnmedizin ebnet den Weg für einen intelligenten Prozess zur Chairside-Fertigung von Zahnersatz. Die CAD-Software ChairsideCAD (exocad) steht für einen hoch automatisierten Arbeitsablauf. KI-generierte Designvorschläge und Instant Anatomic Morphing machen die Konstruktion einfach und effizient: Die Anatomie der Zähne passt sich in Echtzeit für eine dynamische Okklusion an. Der 2D/3D-Ansatz ermöglicht ein schnelles Smile-Design durch KI-Erkennung von Gesichtsmerkmalen. Darüber hinaus ist die Anwendung einfach und flexibel. So steht für CAD/CAM-Neulinge ein geführter Wizard-Modus zur Verfügung, während Experten die Möglichkeit haben, freie Designsequenzen zu wählen.

All die Fortschritte läuten eine neue Ära ein. Dennoch stellt sich die Frage nach dem idealen Workflow. Während einige Anbieter auf einen geschlossenen Ablauf setzen, der oft mit Einschränkungen verbunden ist, bieten andere die Vorteile eines offenen Systems. Diese ermöglichen der Zahnarztpraxis Flexibilität und Unabhängigkeit. ChairsideCAD ist mit einer Vielzahl von Intraoralscannern, wie iTero, kompatibel. Zudem ermöglicht die offene Architektur den Export der CAD-­Daten in ein STL-Dateiformat, das die Umsetzung der Restauration mit nahezu allen herstellerunabhängigen CAM-Geräten wie 3D-Druckern, Schleif- und Fräsmaschinen erlaubt.

Der Erfolg der Single-Visit-Dentistry ist aus technischer Sicht auf drei Faktoren zurückzuführen:

  • moderne Intraoralscanner wie iTero, die hinsichtlich Handhabung, Portabilität und Geschwindigkeit überzeugen,
  • ausgeklügelte CAD-Software wie ChairsideCAD, die Arbeitsschritte automatisiert und die Effizienz steigert sowie
  • moderne Werkstoffe und kompakte CAM-Technologien wie Fräsmaschinen oder 3D-Drucker.

Intraorale Datenerfassung
Moderne Intraoralscanner sind komfortable Hochleistungscomputer. Echtzeitdarstellung, Patientenkomfort, Effizienz, Präzision und einfache (selektive) Wiederholbarkeit sind nur einige der Vorteile. Darüber hinaus bietet der digitale Datensatz viele Anwendungen, die mit einer konventionellen Abformung nicht oder nur mit erheblichem Mehraufwand möglich wären. Dazu gehören Analyse- und Planungsfunktionen, Verlaufskontrollen oder die Nahinfrarot-Bildgebung (NIRI, Near Infrared Imaging) zur Früherkennung von Demineralisation im approximalen Schmelzbereich oberhalb der Schleimhaut (iTero Element 5D, exocad).

CAD-Software
Bei einer ausgeklügelten CAD-Software laufen viele Arbeitsschritte vollautomatisch im Hintergrund ab. Mit wenigen Klicks entstehen Restaurationsvorschläge. In diesem Bereich kommen immer wieder neue Tools auf den Markt. Aber nur weil ein Werkzeug neu ist, muss es nicht zwangsläufig das beste sein. Die Entwicklung spezifischer Lösungen erfordert viel Erfahrung – sowohl in der prothetischen Zahnmedizin als auch in der Softwareentwicklung. Um eine funktionierende Lösung anbieten zu können, die laborgefertigten Kronen in nichts nachsteht, ist Know-how aus beiden Bereichen entscheidend. Hier hat exocad einen großen Vorteil, denn der Softwareentwickler gilt als einer der Pioniere der CAD/CAM-Fertigung von Zahnersatz und zählt in der Zahntechnik zu den führenden Digitalexperten. In Dentallaboren ist die Laborsoftware DentalCAD wegen ihres innovativen Charakters seit vielen Jahren beliebt. Speziell für die Zahnarztpraxis gibt es ChairsideCAD, eine offene CAD-Softwareplattform für Restaurationen in einer Sitzung (Single-Visit-Dentistry). ChairsideCAD ist weniger komplex, stärker automatisiert und auf die Anwendung in der Zahnarztpraxis ausgerichtet. Die zahntechnische Erfahrung von exocad macht sich hier bezahlt. ChairsideCAD basiert auf der gleichen Plattform wie DentalCAD, sodass alle Anwendungen rundum erprobt sind. Zudem funktioniert der Datenaustausch mit dem Dentallabor reibungslos.

CAM-Fertigung/Werkstoffe
Mit hoch entwickelten Fräs- und Schleifeinheiten lassen sich Restaurationen einfach und präzise herstellen. Für die Chairside-Fertigung überzeugen intelligente Maschinen hinsichtlich Größe, Geschwindigkeit, Offenheit, Geräuschpegel und ­Bedienerfreundlichkeit. Ein Beispiel ist die Coritec one (imes-icore) mit stabiler Achskinematik für hohe Präzision. In der Praxis sorgen ein Einblockhalter mit sechs Werkzeugpositionen und eine intelligente Werkzeugwechselfunktion für hohe Produktivität. Zudem hat das Wachstum im Bereich der CAD/CAM-Werkstoffe das Indikationsspektrum erweitert. Silikatkeramiken, Glaskeramiken, Zirkonoxide, Kompositwerkstoffe oder Hybridkeramiken ermöglichen funktionell-ästhetische Ergebnisse. Für die Chairside-Anwendung bieten sich Materialien an, die kein ­Finishing durch Brennen benötigen, wie Hybridkeramiken oder Hochleistungskomposite.

Zwei Patientenfälle, ein Weg

Inlays im Seitenzahnbereich
Einst aufgrund großer Randspalten oft als „Makrofüller in der Komposit-Badewanne“ bezeichnet, sind CAD/CAM-Inlays heute hochpräzise und müssen den Vergleich mit handgefertigten Keramikinlays schon lange nicht mehr scheuen.
Der Patient konsultierte die Praxis mit tiefliegender Karies an den Zähnen 16 und 17. Die Restaurationsentscheidung fiel zugunsten von CAD/CAM-Inlays. Nach der Präparation der Zähne erfolgte die intra­orale Datenerfassung und die Übertragung der Daten über den iTero exocad Connector an ChairsideCAD (Abb. 1). Der Patientenfall wird lokal übertragen, ohne den Umweg über eine Cloud. Alternativ kann der Datensatz mit dem Dentallabor geteilt werden. Durch den hohen Automatisierungsgrad und den angepassten Workflow ist ChairsideCAD optimal für den Einsatz im klinischen Umfeld.

Nach dem Import der Scandaten und der Anlage im Fallmanagement folgte ein weitgehend automatisierter Prozess. Dieser beinhaltete u. a. einen mathematisch berechneten Kauflächenvorschlag sowie ein KI-gestütztes Design, das an die statische und dynamische Okklusion angepasst ist. Auch Abrasionen wurden berücksichtigt (Abb. 2). Das Auto-Artikulator-Modul von exocad ermöglicht die exakte Reproduktion der okklusalen Verhältnisse mit nur wenigen Klicks (Abb. 3). Zusätzlich erfolgt die Anpassung an das Kavitäten-Design mit definiertem Spalt.

Der Datensatz wurde von ChairsideCAD an die Fräsmaschine (Coritec one) übertragen. Das Nesting im CAD/CAM-Block erfolgte automatisiert. Als Material für die Inlays wurde eine Nano-Hybrid-Keramik (Grandio blocs, Voco) verwendet, die sich durch ein dentinähnliches E-Modul, einen hohen Füllstoffgehalt und geringe Schrumpfung auszeichnet.
Nach dem Ausschleifen und Polieren waren die Inlays – ohne zusätzlichen Brennvorgang – fertiggestellt (Abb. 4 und 5). Optional besteht die Möglichkeit der Individualisierung mit lichthärtenden Malfarben. In diesem Fall wurden Modelle (3D-Druck) zur Dokumentation erstellt.

Im digitalen Workflow findet die Passungskontrolle in der Regel im Mund statt. Die Inlays konnten nach einer Einprobe adhäsiv eingesetzt werden (Abb. 6). Eine Röntgenkontrolle bestätigte die gute Passung (Abb. 7).

Overlay im Frontzahnbereich
Auch im ästhetisch sichtbaren Bereich eröffnen moderne Werkstoffe die Möglichkeit zur Chairside-Fertigung. Allerdings ist zu beachten, dass im Frontzahnbereich die zahntechnische Expertise oft unverzichtbar ist. Dennoch verdeutlicht der vorliegende Fall, dass Frontzähne nicht zwangsläufig von der Single-Visit-Dentistry ausgeschlossen sind. Vielmehr kann sie unter Berücksichtigung der Patientenbedürfnisse eine adäquate Alternative darstellen. Die Akzeptanz der Patientenwünsche trägt entscheidend zur Patientenzufriedenheit bei.

Der Patient stellte sich in der Praxis mit frakturiertem Zahn 21 vor. Die klinische und röntgenologische Diagnostik ergab eine koronale Fraktur ohne Beteiligung parodontaler Strukturen und ohne erhöhten Lockerungsgrad. Die Nachbarzähne waren unbeschädigt (Abb. 8).

Bei der Beratung über die Therapieoptionen betonte der Patient den Wunsch nach einer schnellen Lösung und den Verzicht auf eine provisorische Primärversorgung. Er bevorzugte eine Versorgung in einer Sitzung. Die Entscheidung fiel auf die CAD/CAM-Fertigung eines Overlays.

Um die Zahnhartsubstanz maximal zu schonen, erfolgte nur ein minimales Beschleifen der Zahnoberfläche ohne invasive Präparation. Der intraorale Datensatz wurde über den iTero exocad Connector in die Software (ChairsideCAD) übertragen und unter Berücksichtigung der Nachbarzähne wurde ein Restaurationsvorschlag generiert. Das angestrebte Ergebnis konnte dem Patienten direkt visualisiert werden. Gegebenenfalls sind Anpassungen des Designs möglich, aber in diesem Fall konnte direkt mit der CAM-Fertigung begonnen werden. Das Overlay wurde aus Feldspatkeramik (Vita Trilux, ­Vita Zahnfabrik) geschliffen (Coritec one) und ohne Ofenbrand fertiggestellt. Die adhäsive Befestigung erfolgte mit 5%igem Flusssäuregel (Vita Ceramics etch, Vita Zahnfabrik).

Aus ästhetischer Sicht wäre eine zahntechnisch hergestellte Restauration die bevorzugte Alternative gewesen, aber der Weg über das Labor war nicht erwünscht. Auch wenn das geschulte Expertenauge den Übergang zwischen Rekonstruktion und Zahnsubstanz wahrnimmt, ist der Patient mit dem Ergebnis rundum zufrieden (Abb. 9).

Fazit
Es lässt sich ein bemerkenswerter Fortschritt von der Chairside-Herstellung hin zu einer echten Single-Visit-Dentistry feststellen. Galt „chairside“ früher als eine Domäne für Technikenthusiasten, lässt die Integration intuitiver Technologien und intelligenter Softwarelösungen heute die Vision einer prothetischen Therapie in nur einem Termin für nahezu jede Zahnarztpraxis Realität werden. Man muss kein „Digital Crack“ sein, um Single-Visit-Dentistry erfolgreich umzusetzen. Eine speziell entwickelte Software wie ChairsideCAD von exocad (Align Technology) bietet Einfachheit, Sicherheit und Flexibilität. Fehlerquellen werden durch abgestimmte Prozesse auf ein Minimum reduziert. Durch die Offenheit des Systems können Daten verschiedener Intraoralscanner verarbeitet werden. Offene CAD/CAM-Einheiten speziell für die Chairside-Anwendung ermöglichen den komfortablen Einsatz in der Praxis. Mit solchen intelligenten Lösungen erhalten Zahnarztpraxen leistungsstarke Werkzeuge, um hochwertige Restaurationen sicher und effizient in nur einer Sitzung herzustellen.

Dr. Batyr Kuliev ist Fachzahnarzt für Oralchirurgie, niedergelassen in Nürnberg in eigener zahnärztlicher Praxisklinik und Inhaber der Clinical DentalCAD Academy, einem Schulungszentrum für digitale Zahnmedizin.
2019 Zertifizierter Trainer für exocad/exoplan
2018 Eröffnung der Zweigpraxis in Nürnberg
2014/2016 Promotion/Anerkennung Fachzahnarzt für Oralchirurgie
2013 Niederlassung in eigener Praxis in Nürnberg
2009–2013 Fachzahnarztausbildung
2004–2008 Studium der Zahnmedizin, FAU Erlangen-Nürnberg
1993–1998 Diplomstudiengang für Zahnmedizin in Turkmenistan
1993–1995 Ausbildung zum Zahntechniker in Turkmenistan

Kontakt
Dr. Batyr Kuliev
Fachzahnarzt für Oralchirurgie
Zahnärztliche Praxisklinik & Clinical DentalCAD Academy
Äußere Bayreuther Straße 56
90491 Nürnberg
Tel. +49 911 56907 888
www.kuliev.de

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