Interview

Einblicke

21.10.24

Vorbeugen, stoppen, umkehren

Minimalinvasive Interventionen zur Prävention und Therapie von Wurzelkaries

minimalinvasiv, Prävention, restaurativ, Risikoprofil, Zahnheilkunde

Prof. Dr. Avijit Banerjee

In dem Maße, wie die restaurative Zahnheilkunde sich von ihrer Fixierung auf Standardversorgungen löst und sich stattdessen auf die individuellen Anforderungen der Patienten konzentriert, steigt die Nachfrage nach einer ganzheitlichen Patientenversorgung mit dem Ziel eines langfristigen Erhalts der Mundgesundheit. Eine Orientierungshilfe für die minimalinvasive orale Gesundheitsversorgung bietet die kürzlich erschienene Publikation „A Clinical Guide to Advanced Minimum Intervention Restorative Dentistry“ („Ein klinischer Leitfaden für die fortgeschrittene minimalinvasive restaurative Zahnheilkunde“), in der beschrieben wird, wie eine langfristig angelegte, präventionsbasierte Versorgung im Einklang mit den Risikoprofilen von Patienten aussehen sollte.

Mit Blick auf die alternde Bevölkerung erläutert Prof. Dr. Avijit Banerjee, Autor des genannten Leitfadens, die neuesten evidenzbasierten Erkenntnisse zur Behandlung von Wurzelkaries.

Was sind die Herausforderungen bei der Behandlung älterer Menschen?
Prof. Dr. Avijit Banerjee:
Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Zum einen muss der medizinische Zustand älterer Personen berücksichtigt werden. Viele von ihnen nehmen mehrere Medikamente ein (Polypharmazie), was die Speichelproduktion verringern und zu Mundtrockenheit führen kann und damit unweigerlich zu einer höheren Anfälligkeit für Karies. Zum anderen spielen soziale Aspekte – wie die Pflege älterer Menschen und ihre Fähigkeit zur Mundhygiene – eine entscheidende Rolle. Einstellungen und Erwartungen älterer Menschen in puncto Mundgesundheit und ihre Bereitschaft, in diese zu investieren, sind ebenfalls zu berücksichtigen. Diese persönlichen, sozialen und medizinischen Faktoren sind bei der Behandlung von Wurzelkaries von zentraler Bedeutung. Insbesondere bei zusätzlichen klinischen Problemen wie insuffizienten Restaurationen oder bei Zahnersatz.

Glauben Sie, dass die Prävalenz und Inzidenz von Wurzelkaries zunehmen?
Prof. Banerjee: Tatsächlich zeigen britische Daten, dass mit zunehmendem Alter der Patienten eine steigende Kariesrate zu verzeichnen ist. Wurzelkaries kann zwar auch bei Jüngeren auftreten, ist aber deutlich seltener. Mit zunehmendem Alter führen jedoch Faktoren wie parodontale Probleme zu einer verstärkten Gingivarezession und freiliegenden Oberflächen, die oft nicht gereinigt werden. Dadurch kann sich der Biofilm ungestört entwickeln, und Läsionen bilden sich schneller.

Faktoren wie Mundtrockenheit und Ernährungsgewohnheiten tragen maßgeblich zur Prävalenz von Wurzelkaries in einer alternden Bevölkerung bei. Auch wenn sich der Anstieg im Vergleich zu früher verlangsamt, ist und bleibt Wurzelkaries ein wachsendes Problem. Jüngste gesundheitsökonomische Studien, darunter ein Weißbuch der European Federation of Periodontology, belegen: Karies ist ein globales Problem. Und Wurzelkaries ist dabei ein großes Risiko. Wir dürfen das Problem nicht unterschätzen. Die Belastung durch Karies und Wurzelkaries nimmt weiter zu.

Welche Rolle spielen präventive Maßnahmen und welche Verfahren und Materialien sollten eingesetzt werden, um kariöse Wurzelläsionen zu verhindern, die Progression zu stoppen und umzukehren?
Prof. Banerjee: Diese Frage ist zentral für die Prävention und das Management von Karies. Wenn sich erst einmal kariöse Läsionen gebildet haben, ist es schwierig, sie zu behandeln. Daher sollten wir sie von Anfang an verhindern. Dabei müssen wir je nach Stadium der Kariesentwicklung zwischen Vorbeugen, Stoppen und Umkehren unterscheiden. Auf diese Unterscheidung haben wir auch in Leitfäden hingewiesen, die in Zusammenarbeit mit ORCA3 und EFCD entwickelt wurden.

Ich vergleiche die Karies gern mit einem Motor. Wenn der sich im Leerlauf befindet, dann herrscht ein Gleichgewicht zwischen Demineralisierung und Remineralisierung. Das liegt an der Präsenz des Biofilms einerseits und dem Verzehr von Kohlenhydraten andererseits. Wir müssen nun verhindern, dass der Motor – die Karies – „anspringt“ und beschleunigt, indem wir die Bildung des oralen Biofilms durch präventive Maßnahmen wie Mundhygiene und Ernährungskontrolle unterbinden oder die Biofilm-Ökologie modulieren. Das gesteigerte Gesundheitsbewusstsein in unserer Gesellschaft führt zu einer stärkeren Sensibilisierung für adhärentes Verhalten. Dennoch stellt dieser Aspekt der zahnärztlichen Versorgung für viele Patienten immer noch eine Herausforderung dar. Indem wir die Mund- und Zahnpflege positiv angehen und positive Motivationsbotschaften von Fachleuten und an die breite Öffentlichkeit weitergeben, können wir bessere Mundgesundheitsgewohnheiten fördern. Präventionsmaßnahmen müssen wirksam kommuniziert und in die breite Öffentlichkeit getragen werden. Produkte von GC wie Tri Plaque ID Gel zur Plaqueerkennung und Saliva-Check Buffer zur Diagnose des Mundmilieus sind für eine gezielte Aufklärung und als Basis für eine gemeinsame Entscheidungsfindung von Zahnärzten und Patienten unverzichtbar. Remineralisierungsmittel und Lacke, wie MI Paste Plus oder MI Varnish (GC), sind großartige Hilfsmittel, um das Mineralgleichgewicht an den empfindlichen Zahnoberflächen wiederherzustellen.

Viele Behandelnde haben bei der selektiven Kariesentfernung Probleme damit, den optimalen Endpunkt der Exkavation zu identifizieren. Können Sie hier Empfehlungen geben?
Prof. Banerjee: Bei der selektiven Kariesentfernung wird infiziertes (kontaminiertes) Dentin entfernt, während tiefer liegendes, von Karies betroffenes (demineralisiertes) Dentin erhalten bleibt. So werden gesunder Schmelz und gesundes Dentin bewahrt. Bei tiefen Läsionen, insbesondere bei Wurzelkaries, muss bei der Exkavation unbedingt darauf geachtet werden, dass die Pulpa nicht freigelegt wird, da die Vitalität der Pulpa unbedingt erhalten bleiben muss. Die Tiefe der Exkavation muss in Abhängigkeit von der Nähe der Läsion zur Pulpa sowie dem Volumen der Restauration festgelegt werden. Bei flacheren Läsionen ist die selektive Kariesentfernung nicht so wichtig, da hier eine erfolgreiche Restauration aufgrund des begrenzten Kavitätenvolumens Vorrang hat. Hier gilt es, die Retention und Haltbarkeit der Restauration zu gewährleisten. Dieser Grundsatz gilt sowohl für Wurzel- als auch für Koronalkaries. Die Struktur der Läsion muss dabei berücksichtigt werden. Es gibt zwar Leitlinien, aber das sind keine starren Regeln. Jeder Fall muss individuell beurteilt und entschieden werden. Zahnärzte sollten ihrem Fachwissen vertrauen und ihre grundlegenden Überlegungen, die zu dem jeweils individuell angepassten und gestuften Behandlungsplan führen, dokumentieren.

Eine feste Leitlinie für die konservierende Therapie von Wurzelkaries zu erstellen, ist aufgrund der Vielzahl der beteiligten Faktoren schwierig. Die Leitlinien zur selektiven Kariesentfernung von EFCD und ­ORCA3 bieten aber einen verlässlichen Ansatz. Diese Leitlinien betonen, die Histologie des kariösen Gewebes – infizierter und betroffener Schmelz und Dentin – zu verstehen, die Materialchemie zu berücksichtigen und die klinischen Fertigkeiten für eine wirksame Feuchtigkeitskontrolle und Versiegelung zu verfeinern – das ‚Goldene Dreieck‘ des Erfolgs einer minimalinvasiven Intervention. Wir müssen das richtige Gleichgewicht zwischen den klinischen Fertigkeiten, der Histologie des Substrats, den Patientenfaktoren und den Materialeigenschaften finden, insbesondere angesichts der häufigen klinischen Hürden bei der Behandlung von Wurzelkaries.

Welches ist das beste Material für die Restauration von Wurzelkariesläsionen nach selektiver Kariesentfernung?
Prof. Banerjee: Das beste bzw. optimale Material für alle Fälle gibt es nicht. Glasionomere sind in der Regel sehr effektiv, wie zahlreiche klinische Studien belegen. Unter optimalen Bedingungen können Komposite ebenfalls effektiv sein. Allerdings ist ihre Verwendung bei kariösen Wurzelläsionen aufgrund von Problemen mit der Feuchtigkeitskontrolle und der Beschaffenheit des Substrats begrenzt. Die Schichtung mehrerer Materialien in solchen Läsionen ist klinisch schwierig und führt zwangsläufig zu einer Schwächung der Grenzfläche der Restauration. Hochviskose Glasionomere, kunststoffmodifizierte Glasionomere oder Glashybride werden aufgrund der klinischen Erfahrungen der letzten zehn Jahre klar bevorzugt. Letztendlich kann keine Studie zweifelsfrei nachweisen, dass ein Material besser ist als ein anderes. Der Erfolg hängt stark davon ab, wie der Anwendende arbeitet und wie gründlich der Betroffene die Vorgaben zur Biofilmkontrolle einhält. Einige Materialien scheinen langfristig bessere Ergebnisse zu zeigen, aber dennoch können alle Materialien bei korrekter Anwendung effektiv sein.

Pragmatische Überlegungen und klinisches Urteilsvermögen sind von entscheidender Bedeutung. Ich habe festgestellt, dass es Fälle gibt, in denen sich Kliniker nicht vollständig an die Gebrauchsanweisungen für bestimmte Materialien halten. Die Gebrauchsanweisungen basieren auf jahrelanger intensiver Forschung und sind aus gutem Grund auch juristisch streng geregelt. Flexibilität ist in manchen Fällen sicherlich von Vorteil. Aber eines ist klar: Um optimale Ergebnisse zu erzielen, muss man hier ein Gleichgewicht finden und die Anweisungen des Herstellers genau befolgen. Ein gutes Beispiel ist das Equia Forte HT-System. Equia Forte HT Fil (GC) ohne Equia Forte Coat (GC) ist keine Option, da die Vorteile des Materials nicht richtig ausgenutzt werden. Dies wiederum wird dem klinischen Ergebnis nicht gerecht. Auch hier spielen dieselben Faktoren eine Rolle: das Wissen, wie das Material funktioniert und die klinische Beurteilung.

Wie erreicht man die beste Haftung bei der Verwendung von Komposit zur Restauration von Wurzelkaries?
Prof. Banerjee: Auch hier kommt es auf das richtige Urteilsvermögen an. Das Wissen um das Material unterstreicht die Bedeutung der Feuchtigkeitskontrolle, die für ein erfolgreiches Ergebnis unerlässlich ist. Im Idealfall sollte für eine gute Haftung Schmelz vorhanden sein. Bei sklerotischem Dentin mit höherem Mineralgehalt ist es wichtig, das optimale Ätzsystem zu wählen. Der Entscheidungsprozess ist komplex, da alle Variablen des jeweiligen Falles berücksichtigt werden müssen. Es wäre unangemessen, für alle Fälle das gleiche Behandlungskonzept vorzuschlagen.

Vielen Dank für das sehr interessante ­Gespräch.

Prof. Dr. Avijit Banerjee ist Professor für Kariologie und konservierende Zahnheilkunde, Oberarzt und klinischer Leiter für restaurative Zahnheilkunde an der Fakultät für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde des King’s College London Dental Institute (Guy’s & St. Thomas’ Hospitals Foundation Trust, London). Als führender Forscher auf dem Gebiet der Kariologie, der minimalinvasiven Mundpflege und der minimalinvasiven Zahnheilkunde hat er eine Vielzahl an Publikationen verfasst und Lehrbücher für die zahnmedizinische Ausbildung geschrieben. Ihm gelang es, in großem Umfang Forschungsmittel einzuwerben und so die Finanzierung zahlreicher Projekte zu sichern.

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