Fachbericht

Implantologie & Parodontologie

05.01.22

Wieviel Weichgewebe benötigt ein Implantat?

Update periimplantäre Weichgewebsaugmentation

allogene und xenogene Ersatzmaterialien, freies Schleimhauttransplantat, periimplantäre Weichgewebsaugmentation, Periimplantäres Weichgewebe, subepitheliales Bindegewebetransplantat, Vestibulumplastik

PD Dr. Gernot Wimmer

25 – Definitive Versorgung

Die Qualität der periimplantären Weichgewebe um den krestalen Anteil von dentalen Implantaten scheint für deren Erfolg und Bestand ebenso von Bedeutung zu sein wie ihre ossäre Integration. Wie jedoch die Charakteristika in Bezug auf Weite, Dicke respektive Keratinisierung dieser Mukosa sein soll, wird nach wie vor kontrovers diskutiert und ist Ziel zahlreicher klinischer Studien. Für die Augmentation periimplantärer Weichgewebe werden verschiedene Verfahrenstechniken und Materialien beschrieben.

Fragen zum Patientenfall
In welchen Fällen entscheiden Sie sich für einen Weichgewebsaufbau?

Das periimplantäre Weichgewebe ist für die Langlebigkeit zahnärztlicher Implantate genauso wichtig wie deren Osseointegration. Grundvoraussetzung dafür ist eine adäquate Mundhygiene mit unterstützender professioneller Betreuung. Diese ist jedoch aus morphologischen und qualitativen Gründen oft nicht möglich, was eine plastische Korrektur notwendig macht.

Worin liegen hierbei die Herausforderungen?
Da sich häufig Abweichungen vom „regelrechten Bauplan“ ohne pathologische Auswirkungen ergeben, ist die Findung der notwendigen und entsprechenden Indikation zu einer chirurgischen Intervention nicht selten inkonklusiv. Auch ist die Auswahl eines entsprechenden Ersatzmaterials zur Weichgewebeveränderung im individuellen Falle zu entscheiden.

Die Weichgewebe um dentale Implantate werden als periimplantäre Mukosa bezeichnet [14], obwohl die Terminologie dieses Gewebes nach wie vor uneinheitlich erfolgt. Die Eigenschaften der periimplantären Mukosa werden während jenes Wundheilungsprozesses etabliert, der im Anschluss an eine Implantation oder Eröffnungsoperation und eine Abutmentverbindung erfolgt und stellen eine funktionelle Barriere zwischen der Mundhöhle und den darunterliegenden dentalen Implantaten dar. Die periimplantäre Mukosa respektive Gingiva an Zähnen verfügen über verschiedene gemeinsame klinische und histologische Charakteristika – jedoch bestehen auch bedeutende Unterschiede. Bei Zähnen inserieren Fasern des parodontalen Ligaments als Sharpeysche Fasern im Wurzelzement und dienen als Verankerung, während bei dentalen Implantaten Bindegewebefasern mehr oder weniger parallel zur Implantat- oder Abutmentoberfläche verlaufen und nicht am Implantat inserieren oder anhaften. Die Implantatverankerung ist primär osseointegriert. Das periimplantäre Bindegewebe beinhaltet überdies weniger Fibroblasten, aber mehr Kollagenfasern als die Gingiva [16] und entspricht strukturell auch deshalb eher einem Narbengewebe. [23]. Der Verbund mittels Saumepithel ist bei Implantaten länger und permeabler als bei Zähnen, wohingegen die Gingiva mehr Blutgefäße aufweist; strukturbiologische Eigenheiten, die periimplantäre Schleimhäute zu einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber bakteriellen Infektionen prädisponieren könnten [20]. Der Bestand nichtelastischer Kollagenfasern im unterliegenden Bindegewebe ist auch verantwortlich für das Vorhandensein keratinisierter Gewebe, wobei der Hauptteil desmodontaler Fasern des Zahnhalteapparats nichtelastisch kollagen ist. Aus diesem Grund baut sich normalerweise ein schmales Band an keratinisierter Gingiva wieder auf, auch wenn dieses chirurgisch vollständig exzidiert wird. Um Implantate ist in vielen Fällen die periimplantäre Schleimhaut, trotz Keratinisierung, nicht am darunterliegenden Knochen befestigt. Das kann besonders dann beobachtet werden, wenn periimplantäre Gewebe hoch dimensioniert sind und die Grenze zwischen keratinisierter und bedeckender Schleimhaut in Relation zum periimplantären Knochenniveau entsprechend koronaler positioniert ist [24].

Die Bedeutung keratinisierter Mukosa für die periimplantäre Gesundheit
Die Bedeutung einer adäquaten Breite keratinisierter und/oder befestigter Mukosa für die Aufrechterhaltung von Gesundheit respektive Langzeitstabilität periimplantärer Gewebe wird vielfach diskutiert und kontrovers beschrieben [1-6, 8,9,11,12,15,18,19,21,22,27,28,29,30].
Frühe Studien zeigten, dass kein Vorhandensein keratinisierter und/oder befestigter/attached Mukosa (KAM) respektive deren sogenannte adäquate Breite von 2 mm für den Erfolg von Implantaten oder den Erhalt gesunder periimplantärer Weichgewebe notwendig ist[1,12,29]. Vor allem wurden diese klinischen Erkenntnisse durch experimentelle Tierstudien bekräftigt, die keinen Unterschied periimplantärer Weichgewebeverhältnisse fanden, unabhängig von der Anwesenheit oder der Breite der KAM. Auch eine Verdickung und Verbreiterung der Mukosa beeinflusste die periimplantären Weichgewebeverhältnisse nicht wesentlich [25].
Im Gegensatz dazu lassen vor allem neuere Untersuchungen darauf schließen, dass eine geringe Weite (< 2 mm) an KAM periimplantäre Weich- als auch Hartgewebe anfälliger für Entzündungen und Abbau machen könnte. Eine inadäquat weite und dicke Mukosa kann eine Plaqueakkumulation erleichtern [2,4,14,17,36 [34–38] und in der Folge eine mukosale Entzündung begünstigen [2,7,8,14,17,34, 36,37,39,40], was als Konsequenz das Risiko periimplantären Knochenverlustes oder Weichgeweberegressionen erhöhen könnte [2,17,30,36].
Es ist evident, dass die Weite periimplantärer Mukosa auch einen Einfluss auf immunologische Faktoren hat [4,31]. Im Vergleich zur Gingiva scheint auch die peri-implantäre Mukosa geringere Fähigkeiten im Aufbau einer Entzündungsantwort gegen äußere Einflüsse zu haben [32]. Das zeigt umso mehr auch die Bedeutung optimaler und technisch richtiger Mundhygiene besonders auch bei eingeschränkter KAM, was auch durch Studien bei Patienten mit konsequenten, regelmäßig professionellen Betreuungsprogrammen bestätigt werden konnte [9]. Die optimale Mundhygiene scheint folgerichtig auch der wichtigste Faktor zur Aufrechterhaltung periimplantärer Gesundheit zu sein, was der dentalen Situation entspricht .
Dies sollte auch im Zusammenhang mit jüngsten systematischen Reviews gesehen werden, die übereinkommen, dass eine inadäquate Weite und Dicke periimplantärer Weichgewebe (KAM) mit vermehrter Plaqueakkumulation, Entzündung, Weichgeweberegression und Attachmentverlust assoziiert ist[5,11,12,29].
Obwohl die Evidenz für die Notwendigkeit, KAM zur Aufrechterhaltung von Implantatgesundheit und Gewebestabilität und damit Überlebensraten von Implantaten zu verbessern nach wie vor begrenzt und unschlüssig ist [9,22,28,43], kann eine Änderung der Qualität periimplantärer Gewebe aus praktischen und klinischen Gründen, vor allem zur Etablierung einer optimalen Hygiene, von Vorteil oder auch notwendig sein.

Techniken zur periimplantären Weichgewebsaugmentation
Im Allgemeinen können zwei Methoden zur Vermehrung von Weichgewebe um dentale Implantate unterschieden werden:

  1. Ausweitung der Breite keratinisierter Mukosa (KAM) mittels apikalem Verschiebelappen und Vestibulumplastik kombiniert mit einem freien Schleimhauttransplantat oder allogenem/xenogenem Transplantatmaterial.
  2. Gewinn an Weichgewebevolumen durch Aufbau mit subepithelialen Bindegewebetransplantaten oder allogenen/xenogenen Weichgewebs-Ersatzmaterialien.

Sowohl freie Schleimhauttransplantate zur Verbreiterung als auch Bindegewebe-transplantate zur Verdickung von Gingiva und periimplantärer Mukosa sind lange eingeführt und umfassend in der Literatur beschrieben [17,7,26].
Für die Durchführung dieser Techniken zur Änderung der Weichgewebequalität um dentale Implantate sind unterschiedliche Zeitpunkte respektive Protokolle denkbar:

  1. vor der eigentlichen Implantateinbringung zur Verbesserung insuffizienter Weichgewebe
  2. während der Implantatinsertionsoperation
  3. als Teil der „second-stage surgery“ respektive Implantateröffnung
  4. im Rahmen eines Komplikationsmanagements bei bereits in Funktion stehenden Implantversorgungen (Weichgeweberegressionen oder Entzündungen)

Apikaler Verschiebelappen/Vestibulumplastik mit Transplantat zur Verbreiterung keratinisierter Mukosa
Ziel dieser Technik ist es, ein ausreichend breites Band an keratinisierter Mukosa (vornehmlich vestibulär) zu schaffen, um damit eine adäquate Mundhygiene zu erleichtern oder überhaupt erst zu gewährleisten (Abb. 1 und 2).
Operativ wird mittels Vestibulumplastik respektive apikal positioniertem Lappen ein Empfängerbett aufbereitet, worin ein Transplantat als Mediator zur Weichgewebsaugmentation und Entwicklung adäquater KAM eingebracht wird (Abb. 3 bis 5).
Vorzugsweise sollte ein schmales Band keratinisierten Gewebes am koronal-marginalen Rand des Implantats vorhanden sein. Ein dünn präparierter Spaltlappen kann exzidiert oder hoch im Vestibulum an der Basis vernäht werden, sodass ein ausreichend tiefes Vestibulum für einen guten Mundhygienezugang kreiert wird. Das Empfängerbett ist idealerweise nur mit Periost bedeckt, Drüsen-, Fett-, und Muskelgewebe sind vollständig entfernt. Dieses wird in maximaler Ausdehnung vom Transplantat (Wundkontraktion und Schrumpfung) belegt.
Es ist für eine optimale Wundheilung bedeutsam, das Transplantat so immobil als auch so dicht wie möglich an die Unterlage zu fixieren, sodass kein interponiertes Blutkoagulum und keine Bewegung den Einheilprozess stören können. Dies kann mittels Einzelknopf- und Paketnähten erfolgen. Ein Wundverband ist nicht notwendig (Abb. 6 bis 8). Das klinische Ziel, eine verbreiterte keratinisierte Mukosa und ein vertieftes Vestibulum als Gewähr einer adäquaten vornehmlich häuslichen Eigenhygiene, wird damit erreicht (Abb. 9). Als Transplantate stehen Eigengewebe (freies Gaumen-Schleimhauttransplantat) oder allogene/xenogene Ersatzgewebe zur Verfügung.

Der Vorteil autologer Transplantate ist die gute Bioakzeptabilität und langfristige Standhaftigkeit. Als Nachteil erweist sich die Wunde an der Entnahmestelle am Gaumen, vor allem aber die durch Farbe und Textur der Spenderregion bestehende ästhetische Beeinträchtigung. Aus diesem Grunde sollten in ästhetisch anspruchsvollen Regionen Alternativen angewandt werden (Abb. 10 bis 12).
Alternative neue Ersatzmaterialien, allogen aus entzellularisierter Spenderhaut (Abb. 13 bis 15) oder xenogen aus tierischem Kollagen gewonnen, erzielen den Goldstandart autologer Eigengewebe nicht aufgrund des geringeren Gewinns an keratinisierter Mukosa [26]. Dennoch sind diese Ersatzmaterialien bereits im klinischen Einsatz zufriedenstellend geprüft, führen zu verbesserter Patientenzufriedenheit und Ästhetik, sind unbegrenzt verfügbar und führen überdies zu reduzierten postoperativen Patientenbeschwerden und weniger Operationszeit durch Vermeidung des Zweiteingriffs am Gaumen[10].

Gewinn an Weichgewebsvolumen durch Aufbau mit Transplantaten
Für die Verdickung und Auffüllung von Weichgewebevolumen zeigen autogene Transplantate (subepitheliale oder deepithelialisierte Bindegewebetransplantate aus dem Gaumen) eine verbesserte Zunahme und gute ästhetische Ergebnisse im unbehandelten Seitenvergleich [26] und stellen das bevorzugte Material dieser klinischen Indikation dar.
Auch allogene und xenoge Ersatzmaterialien sind für diesen klinischen Einsatzbereich beschrieben und werden in den Ergebnissen in der Literatur ähnlich der Techniken zur Verbreiterung keratinisierter Mukosa diskutiert [24,26].

Der Einsatz oder die Erfordernis von Weichgewebeaufbau kann zu unterschiedlichen klinischen Zeitpunkten erfolgen: Als Beispiel ist angeführt, wie eine insuffiziente klinische Ausgangslage der KAM respektive der zu erwartenden periimplantären Mukosa (keine oder zu dünne) eine Änderung der Qualität erforderlich machen (Abb. 16 bis 26).
Eine Augmentation kann während der Implantateinbringung erfolgen, als Teil der „second-stage surgery“ respektive Implantateröffnung oder im Rahmen eines Komplikationsmanagements bei bereits in Funktion stehenden Implantversorgungen, zum Beispiel bei Weichgeweberegressionen oder Entzündungen.

Fazit
Für den Erfolg und die Langzeitstabilität dentaler Implantate ist eine adäquate Hygiene und professionelle Nachsorge Grundvoraussetzung. Dies trifft auch auf die periimplantären Weichgewebe zu. Obwohl in der Literatur kontrovers diskutiert, scheint ein ausreichend breites und voluminöses Band an keratinisierter Mukosa (KAM) sowohl für den Erhalt als auch die Ästhetik im Frontzahnbereich dentaler Implantversorgungen von Vorteil zu sein. Oft erfordern jedoch morphologische Veränderungen und/oder entzündliche Komplikationen chirurgische Interventionen mit dem Ziel, entsprechende Weichgewebekonditionen zu schaffen. Entscheidend für die jeweilige chirurgische Intervention ist Lokalisation und klinische Situation. Für eine Verbreitung der keratinisierten Mukosa führen der apikale Verschiebelappen in der Maxilla respektive der apikale Verschiebelappen/Vestibulumplastik in Verbindung mit einem freiem Schleimhauttransplantat oder allogenem/xenogenem Ersatzmaterial zu akzeptablen Ergebnissen. Für die Augmentation periimplantärer Weichgewebe sind unterschiedliche Lappentechniken in Kombination mit subepithelialen Bindegewebetransplantaten verlässliche Behandlungsoptionen.

Literaturverzeichnis unter
www.teamwork-media.de/literatur

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