{"id":1312,"date":"2021-10-25T14:55:25","date_gmt":"2021-10-25T12:55:25","guid":{"rendered":"https:\/\/teamwork-zahnmedizin.de\/?p=1312"},"modified":"2022-05-31T16:56:20","modified_gmt":"2022-05-31T14:56:20","slug":"update-antibiotika","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/teamwork-zahnmedizin.de\/update-antibiotika\/","title":{"rendered":"Update Antibiotika"},"content":{"rendered":"\n

Obwohl die gro\u00dfe Mehrheit klinischer Interventionsstudien einen statistisch verifizierbaren Zusatznutzen einer adjuvanten systemischen Gabe von Antibiotika im Zusammenhang mit einer mechanischen Entfernung des bakteriellen Biofilms belegt, wird ihre klinische Relevanz kontrovers diskutiert. Aufgrund der immer \u00f6fter bei Patienten auftretenden mikrobiellen Resistenzen ist jeder Einsatz von Antibiotika kritisch zu hinterfragen.
Das Ziel der Leitlinie war es, basierend auf einer systematischen Auswertung der aktuellen Literatur eine Entscheidungshilfe zur adjuvanten Gabe systemisch wirksamer Antibiotika in der Parodontitistherapie zu geben.<\/p>\n\n\n\n

Frage zur Anwendung in der Praxis
Die Einschr\u00e4nkung [\u2026 j\u00fcnger sind als 56\u00a0Jahre und an mehr als 35% aller erfassten Messstellen eine TST \u2265 5\u2009\u2009mm\u00a0\u2026] f\u00fcr den adjuvanten Einsatz systemischer Antibiotika erscheint f\u00fcr den Praktiker etwas seltsam und willk\u00fcrlich. Worauf beruht die Einschr\u00e4nkung?<\/strong>
Prof.\u2006Schlagenhauf: Die Empfehlung in der Leitlinie beruht auf k\u00fcrzlich publizierten Subanalysen des ABPARO-Projekts, der weltweit umfangreichsten Studie zur Bewertung der klinischen Relevanz adjuvanter systemischer Antibiotikagabe im Rahmen parodontaler Therapie (Eickholz et al. 2019). In Abh\u00e4ngigkeit vom Patientenalter und der Schwere der Krankheitsauspr\u00e4gung kann sich in bestimmten F\u00e4llen ein klinisch relevanter Vorteil zugunsten der adjuvanten Antibiotikatherapie ergeben.
\u00dcberschritt der prozentuale Anteil von Zahnfleischtaschen \u2265 5 mm vor Beginn der Behandlung einen Prozentsatz von 35%, wiesen Patienten, die zus\u00e4tzlich zum Scaling und Root Planing eine Antibiotikatherapie erhalten hatten, im Vergleich zur Placebo\u00adgruppe zwei Jahre sp\u00e4ter eine nur halb so hohe Zahl von Z\u00e4hnen mit weiterem Attachmentverlust > 1,3 mm auf. Eine solche Halbierung der H\u00e4ufigkeit des Fortschreitens der Parodontitis wurde von den Experten der Leitliniengruppe auch als klinisch relevant eingeordnet. Ebenso hatte das Lebensalter der Patienten einen signifikanten Einfluss auf das Auftreten weiterer Attachmentverluste: Lag das Alter der Patienten unter 56 Jahren, traten bei adjuvanter Antibiotikatherapie im Vergleich zur Placebogruppe ebenfalls nur etwa halb so viele Entz\u00fcndungsrezidive mit einem weiteren Attachmentverlust auf. Auch dies wurde als klinisch relevant eingestuft und daher in die Empfehlungen aufgenommen.<\/p>\n\n\n\n

In den Industriegesellschaften sind orale, entz\u00fcndliche Erkrankungen wie Gingivitis und Parodontitis weit verbreitet. Allein in Deutschland sind zehn bis zw\u00f6lf Millionen Menschen an einer schweren behandlungsbed\u00fcrftigen Parodontitis erkrankt [1]. Laut der 5. Deutschen Mundgesundheitsstudie ist bereits jeder zweite j\u00fcngere Erwachsene (52\u2009%) von einer paro\u00addontalen Erkrankung betroffen [2]. Mit zunehmendem Alter steigt die Pr\u00e4valenz noch weiter an und stellt in h\u00f6heren Altersgruppen das wichtigste orale Gesundheitsproblem [3] dar. So leiden nach den Kriterien einer Arbeitsgruppe der amerikanischen Centers for Disease Control (CDC) [1] 19,8\u2009% der 65- bis 74-J\u00e4hrigen an einer schweren Parodontitis, weitere 44,8\u2009% sind von einer moderaten Auspr\u00e4gungsform betroffen. Bei den \u00e4lteren Senioren (75 bis 100-J\u00e4hrige) liegt die Pr\u00e4valenz einer moderaten bis schweren Parodontitis bei 90\u2009% [2].<\/p>\n\n\n\n

Parodontitis: Ursachen und Auswirkungen<\/strong>
Nach dem aktuellen \u00e4tiologischen Modell der \u00f6kologischen Plaquehypothese liegt die zentrale Ursache parodontaler Erkrankungen in der Entstehung einer proinflammatorisch wirksam werdenden Dysbiose der oralen Mikrobiota [4]. Dabei kommt es zum \u00dcberwachsen proteo\u00adlytischer, gramnegativer Keime, welche aufgrund spezifischer Virulenzfaktoren in der Lage sind, eine chronische, exsudative Entz\u00fcndungsreaktion zu induzieren und diese als Substratquelle zu nutzen.
Unbehandelt f\u00fchrt eine Parodontitis zu einer progredienten Zerst\u00f6rung der Strukturen des Parodontiums bis hin zum Verlust der betroffenen Z\u00e4hne (5). Dies kann f\u00fcr die betroffenen Patienten zu erheblichen Einschr\u00e4nkungen der Kaufunktion, der Phonetik sowie der \u00c4sthetik f\u00fchren und kann damit auch zu einer relevanten Ausgrenzung und Beeintr\u00e4chtigung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben f\u00fchren [6, 7]. Eine Parodontitis hat jedoch nicht nur lokal, orale Auswirkungen auf die Integrit\u00e4t und Funktion des Zahnhalteapparats. Die mit der chronifizierten Entz\u00fcndung einhergehende permanente Pr\u00e4senz aktivierter Entz\u00fcndungszellen und die dadurch ausgel\u00f6ste Freisetzung proinflammatorisch wirksamer Zytokine, freier Sauerstoff\u00adradikale sowie gewebsaufl\u00f6sender Metalloma\u00adtrixproteinasen f\u00fchrt auch h\u00e4ufig zu einer signifikanten Zunahme der systemisch wirksamen Entz\u00fcndungslast [8] und hat somit unweigerlich auch systemische Auswirkungen.
Zentrales Ziel jeder etablierten antiinfekti\u00f6sen Parodontitistherapie ist daher, die m\u00f6glichst vollst\u00e4ndige mechanische Entfernung\/Reduktion des dysbiotischen Biofilms in der Zahnarztpraxis, welche durch die Etablierung einer effektive h\u00e4usliche Mundpflege erg\u00e4nzt werden sollte [9]. Da die entz\u00fcndungsaufl\u00f6sende Wirksamkeit dieser rein mechanischen ausgerichteten Reinigungsstrategie insbesondere bei schweren Erkrankungformen mit tiefen parodontalen Taschen begrenzt ist, hat sich als adjunvante Ma\u00dfnahme in diesen F\u00e4llen die Gabe systemisch wirksamer Antibiotika etabliert.<\/p>\n\n\n\n

Konsens: Antibiotikagabe muss kritisch hinterfragt werden<\/strong>
Obwohl die Ergebnisse einer gro\u00dfen Mehrheit klinischer Interventionsstudien einen statistisch verifizierbaren Zusatznutzen einer adjuvanten systemischen Gabe von Antibiotika im Rahmen mechanischer auf die Entfernung bakterieller Biofilme ausgerichteter Parodontitistherapie belegen, wird ihre klinische Relevanz kontrovers diskutiert. Aufgrund der mit einer Antibiotikagabe untrennbar verbundenen Gefahr der Entstehung mikrobieller Resistenzen und eines unkontrollierten negativen Einflusses auf die Zusammensetzung physiologischer Mikrobiome im menschlichen Organismus ist eine ex juvantibus erfolgende Antibiotikagabe kritisch zu hinterfragen.
Das Vorliegen einer Parodontitis ist per se keine pauschale Indikation f\u00fcr eine adjuvante systemische Antibiotikatherapie.
Auf dem Deutschen Zahn\u00e4rztetag 2018 wurde die neue S3-Leitlinien zur adjuvanten systemischen Antibiotikagabe bei subgingivaler Instrumentierung im Rahmen der systematischen Parodontitistherapie der Deutsche Gesellschaft f\u00fcr Parodontologie (DG Paro) erstmals der \u00d6ffentlichkeit vorgestellt.
Zuvor hatte sich eine breitgef\u00e4cherte Gruppe von Experten verschiedenster Fachrichtungen, von Vertretern der Zahnerhaltung, Parodontologie, Implan\u00adtologie, Kardiologie, Hygiene und Mikro\u00adbiologie bis hin zur Deutschen Gesellschaft fu\u0308r DentalhygienikerInnen, der Bundeszahna\u0308rztekammer, dem Bundesverband der Zahna\u0308rzte des O\u0308ffentlichen Gesundheitsdienstes et cetera in einer Klausurtagung in Kloster Seeon getroffen. Unter der F\u00fchrung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) versuchten sie dort, unabh\u00e4ngige, nur von der verf\u00fcgbaren wissenschaftlichen Evidenz getragene Empfehlungen f\u00fcr die Anwendung einer adjuvanten systemischen Antibiose in der Therapie pa\u00adrodontaler Erkrankungen im Praxisalltag zu formulieren.
In der AWMF sind derzeit 179 wissenschaftlich arbeitende medizinische Fachgesellschaften als Mitglieder und drei assoziierte Gesellschaften aus allen Bereichen der Medizin zusammengeschlossen. Die AWMF ber\u00e4t \u00fcber grunds\u00e4tzliche und fach\u00fcbergreifende Fragestellungen in der wissenschaftlichen Medizin und f\u00f6rdert den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die \u00e4rztliche Praxis.
Bei der Entwicklung der Leitlinie wurde auch das Regelwerk der AWMF verwendet (https:\/\/www.awmf.org\/leitlinien\/awmf-regelwerk.html). Die Leitlinie wurde mittels des Deutschen Leitlinien-Bewertungsinstruments (DELBI, https:\/\/www.leitlinien.de\/mdb\/edocs\/pdf\/literatur\/delbi-fassung-2005-2006-domaene-8-2008.pdf) auf ihre methodologische Qualit\u00e4t \u00fcberpr\u00fcft.
Bei der systematischen Literatursuche wurde folgende fokussierte Fragestellung im so genannten PICO-Format (Problem-Intervention-Control-Outcome) (10) formuliert:<\/p>\n\n\n\n