{"id":2112,"date":"2021-10-28T16:15:11","date_gmt":"2021-10-28T14:15:11","guid":{"rendered":"https:\/\/teamwork-zahnmedizin.de\/?p=2112"},"modified":"2022-05-31T16:58:16","modified_gmt":"2022-05-31T14:58:16","slug":"so-weit-so-gut","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/teamwork-zahnmedizin.de\/so-weit-so-gut\/","title":{"rendered":"So weit \u2013 so gut"},"content":{"rendered":"\n

Zahnfarbene Materialien auch f\u00fcr den enossalen Anteil implantatprothetischer Restaurationen haben in den vergangenen Jahren eine deutliche Renaissance erlebt. Durch den Einsatz von Zirkonoxid anstelle von \u00adAluminiumoxid konnten die mechanischen Eigenschaften erheblich verbessert werden. Waren bislang mit den einteiligen Keramikimplantaten die prothetischen M\u00f6glichkeiten stark eingeschr\u00e4nkt, kamen in der j\u00fcngeren Vergangenheit interessante zweiteilige Varianten auf den Markt. Um deren Potenzial voll auszusch\u00f6pfen, bietet sich ein exaktes Backward Planning an, da sowohl die ein- als auch die zweiteiligen Keramikimplantate weniger M\u00f6glichkeiten zur Kompensation suboptimaler Positionen bieten. Dieser Artikel soll eine \u00dcbersicht \u00fcber den aktuellen wissenschaftlichen Stand \u00adkeramischer Implantate geben, die prothetischen M\u00f6glichkeiten diskutieren und einen Ausblick geben.<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Fragen an die Autoren
Wann kommen bei Ihnen in der Klinik Keramikimplantate zum Einsatz?<\/strong>
Prof.\u2006Dr.\u2006Florian Beuer: Ehrlich gesagt sind sie noch eine Nischenindikation und machen maximal zehn Prozent unserer inserierten Implantate aus. Wir verwenden einteilige Implantate, wenn entweder medizinische Gr\u00fcnde oder der Wunsch des Patienten gegen die Verwendung von Titanimplantaten sprechen. Die zweiteiligen Keramik\u00adimplantate setzen wir zur Zeit im Rahmen einer klinischen Studie ein. Da wir inzwischen vor allem von den Weichgeweben so begeistert sind, verwenden wir sie heute auch bei Standardf\u00e4llen, wenn die Dimensionen es zulassen. Ich hoffe, dass uns die klinische Studie Auskunft dar\u00fcber geben wird, ob es klinisch beweisbare Vorteile der Keramikimplantate gibt. Dann haben sie das Potenzial, der neue Standard zu werden.<\/p>\n\n\n\n

Worauf legen Sie im Handling von Keramik\u00adimplantaten beziehungsweise bei der prothetischen Versorgung von Keramik\u00adimplantaten besonderes Augenmerk?<\/strong>
PD Dr.\u2006Benedikt Spies: Gerade f\u00fcr einteilige keramische Implantate sollte die Option der digitalen\/prothetisch orientierten Implantationsplanung und einer schablonengef\u00fchrten Insertion zur Verf\u00fcgung stehen. F\u00fcr zweiteilige Systeme w\u00fcnsche ich mir mehr klinische Evidenz. Hier ist heute noch unklar, ob und mit welchem Workflow ich mich auf die aktuell angebotenen Verbindungen verlassen kann.<\/p>\n\n\n\n

Zirkonoxid brachte die Wende<\/strong>
Die Idee der \u201ewei\u00dfen\u201c Implantate ist fast so alt wie die Implantologie und Osseointegration. Man sch\u00e4tzt an den keramischen Materialien vor allem ihr hohes \u00e4sthetisches Potenzial, eine geringe Plaque-Akkumulation und die hohe Biokompatibilit\u00e4t. Davon verspricht man sich beim Einsatz als Implantatmaterial eine geringere Anf\u00e4lligkeit f\u00fcr periimplant\u00e4re Entz\u00fcndungen. All diese Eigenschaften gilt es allerdings noch wissenschaftlich zu beweisen.
Alles begann vor fast 50 Jahren mit keramischen Materialien f\u00fcr dentale Implantate. Das damals verwendete Material war Aluminiumoxid und wurde vor allem von Prof.\u2006Schulte als \u201eT\u00fcbinger Sofortimplantat\u201c und von Prof.\u2006Sandhaus als \u201eCrystalline Bone Screw\u201c eingesetzt [9,11]. Die geringe Rissz\u00e4higkeit und die daraus resultierenden eingeschr\u00e4nkten mechanischen Eigenschaften des Werkstoffs f\u00fchrten zu Implantatfrakturen und daher verschwanden diese Implantate wieder vom Markt. Auch heute noch f\u00fcrchten viele Anwender Implantatfrakturen, wenn sie die Anwendung keramischer Implantate in Erw\u00e4gung ziehen.
Auch f\u00fcr Ger\u00fcste von Kronen und Implantatabutments wurde Aluminiumoxid in verschiedenen Varianten eingesetzt. Mit der Einf\u00fchrung von Zirkonoxid verlor der Werkstoff in der Prothetik jedoch an Bedeutung und wird heute so gut wie nicht mehr verwendet. Betrachtet man den Werkstoff genauer, gibt es eine Erkl\u00e4rung, warum die mechanischen Eigenschaften von Zirkonoxid denen anderer in der Zahnmedizin verwendeter Keramiken \u00fcberlegen sind: Die hohe Rissz\u00e4higkeit des Werkstoffs Zirkonoxid (die \u201eAchilles\u00adferse\u201c einer jeden Keramik) ist dem Poly\u00admorphismus der zugrunde liegenden Gitterstruktur geschuldet: Es kann monoklin (Raumtemperatur bis 1170\u2006\u00b0C), tetragonal (1170 bis 2370\u2006\u00b0C) und kubisch (2370\u2006\u00b0C bis zum Schmelzpunkt) strukturiert sein [1]. Werden diese Temperaturschranken durchschritten, kommt es zu Volumenver\u00e4nderungen im Gef\u00fcge. Um ungewollte Volumenspr\u00fcnge im Rahmen der Herstellung zu vermeiden, wird der Phasen\u00fcbergang von tetragonal nach monoklin beim Abk\u00fchlen nach dem Sintervorgang (die Sintertemperatur liegt deutlich \u00fcber 1170\u2006\u00b0C) durch die Zugabe von speziellen Oxiden unterbunden. Die nun bei Raumtemperatur metastabil \u2013 also sozusagen \u201eunfreiwillig\u201c \u2013 vorliegende tetragonale Phase erm\u00f6glicht den sogenannten Selbstheilungsmechanismus der Transformationsverfestigung [4]: Bei einer belastungsindizierten Rissbildung sind an den Riss angrenzende Kristallite in der Lage, ihr Gitter in die mono\u00adkline Modifikation umzuwandeln. Durch die bereits erw\u00e4hnte Volumen\u00e4nderung (Volumenzunahme) entsteht Druckspannung im Gef\u00fcge und es kann theoretisch ein Fortschreiten des Risses unterbunden werden. Dieser Mechanismus der Transformationsverfestigung verleiht dem Zirkonoxid die hohe Rissz\u00e4higkeit und somit \u00fcberlegene mechanische Eigenschaften. Bei Zahnersatz mit Zirkonoxid-Ger\u00fcsten wurden die Ger\u00fcstfrakturen als extrem seltenes Ereignis beschrieben. Die Fraktur eines osseointegrierten Implantats w\u00e4re nat\u00fcrlich deutlich folgenreicher als die Fraktur eines Kronenger\u00fcsts.<\/p>\n\n\n\n

Sind keramische Implantate sicher?<\/strong>
Aktuelle Studien zeigen, dass Implantate aus Zirkonoxid zur Befestigung von Einzelkronen und dreigliedrigen Br\u00fccken zumindest \u00fcber den Beobachtungszeitraum von bis zu f\u00fcnf Jahren absolut geeignet sind. L\u00e4ngere Beobachtungszeiten gibt es derzeit leider nicht. Vielmehr stehen sie dem heutigen Goldstandard Titan hinsichtlich der Einheilung in den Knochen und ihrer Frakturresistenz nicht nach [8]. Wenn es zu Frakturen kam, waren diese beinahe ausschlie\u00dflich bei durchmesserreduzierten Implantaten oder in Kombination mit herausnehmbarem Zahnersatz beschrieben worden [7]. Auch zeigten diese kein keramikgerechtes Design [2]. Leider liegt derzeit nur f\u00fcr einteilige keramische Implantate ausreichende Evidenz vor. Allerdings stellen einteilige Implantate eher eine Nischenindikation dar. Sie bed\u00fcrfen einer noch pr\u00e4ziseren Planung, da Unterschiede zwischen Implantat\u00adachse und zuk\u00fcnftiger Zahnachse kaum kompensierbar sind. Zus\u00e4tzlich lassen sich Versorgungen auf diesen einteiligen Keramikimplantaten nur zementieren.
Bei der Implantatinsertion gilt zu beachten, dass die prothetikgerechte Positionierung noch wichtiger ist. Fehlpositionierungen k\u00f6nnen nur in einem sehr geringen Ausma\u00df durch die Prothetik oder intraorale Modifikationen des Abut\u00adments kompensiert werden. Vor allem bei einteiligen Implantaten bleibt hier nur die Option, den Aufbau zu beschleifen. Ob das Beschleifen von Zirkon\u00adoxid im Mund ein Schritt in die richtige Richtung ist, bleibt fraglich. Es ist also empfehlenswert, die Implantatinsertion gef\u00fchrt nach vorherigem prothetischen Set-up (dem sogenannten Backward Planning) durchzuf\u00fchren. Dies kann entweder digital oder konventionell erfolgen. Nach Generierung dreidimensionaler Daten der Knochensituation durch Digitale Volumen\u00adtomografie (DVT) oder Computertomografie (CT) und der intraoralen Situation mittels Intraoralscan oder Scan der Modelle werden diese fusioniert [3]. Die dreidimensionale Planung der Implantation kann bei diesem System auf Basis jeder offenen Planungs-Software wie beispielsweise Smop (Swissmeda, Z\u00fcrich\/Schweiz) oder coDiagnostiX (Dental Wings, Letourneux\/Kanada) erfolgen.<\/p>\n\n\n\n

Die prothetische Versorgung von Keramikimplantaten<\/strong>
Aus der Literatur wird ersichtlich, dass einteilige keramische Implantate bedenkenlos mit Einzelkronen und dreigliedrigen Br\u00fccken versorgt werden k\u00f6nnen (Abb.\u20061 und 2) [8]. Eine Versorgung gr\u00f6\u00dferer Spannen oder gar mit herausnehmbarem Zahnersatz muss noch als experimentell betrachtet werden [6]. Bei keramischen Implantaten liegt es nahe, auch f\u00fcr die Suprakonstruktion auf keramische Materialien zur\u00fcckzugreifen. Auch die Suprakonstruktionen aus keramischen Materialien zeigen hohe \u00dcberlebensraten, sofern man nur Einzelkronen und dreigliedrige Br\u00fccken betrachtet [12,14]. Allerdings werden auch bei Keramikimplantaten hohe Raten an Verblendkeramik-Abplatzungen bei Zirkonoxid-Ger\u00fcsten von Kronen und Br\u00fccken berichtet. Dies deckt sich mit den Daten dieser Restaurationen auf Titanimplantaten. Selbst wenn diese Arten der Misserfolge kaum negative Einfl\u00fcsse auf die Patientenzufriedenheit haben, schlie\u00dflich werden sie meistens erst vom Zahnarzt beim routinem\u00e4\u00dfigen Kontrollbesuch entdeckt, sind sie dennoch als unerw\u00fcnschtes Ereignis zu werten. Hier ist vielleicht nochmal kurz \u00fcber den Misserfolg der Verblendkeramik-Abplatzung nachzudenken: In der Vergangenheit gingen wir davon aus, dass vor allem technische Probleme bei der Verblendung von Zirkonoxid-Ger\u00fcsten daf\u00fcr verantwortlich waren. Gehen wir jedoch davon aus, dass diese weitgehend gel\u00f6st sind, ist eine Fraktur immer ein Zeichen und gleichzeitig das \u201eVentil\u201c f\u00fcr sehr hohe auftretende Kr\u00e4fte. Der L\u00f6sungsansatz, die prothetische Versorgung mechanisch stabiler zu machen, kann dazu f\u00fchren, dass der schw\u00e4chste Punkt der Restauration nun nicht mehr auf der Kaufl\u00e4che liegt, sondern im schlimmsten Fall das Implantat im Knochen ist. Monolithisches Lithium-Disilikat scheint hier f\u00fcr Kronen ein besonders gut geeignetes Material zu sein, da es, was technische Komplikationen betrifft, deutlich besser abschneidet als verblendetes Zirkonoxid, aber dennoch nicht stabiler als das Implantat zu sein scheint [13]. Stand heute kann dies aber nur f\u00fcr Einzelkronen empfohlen werden. Die neuen Generationen an transluzenterem Zirkonoxid k\u00f6nnten auch als Br\u00fcckenmaterial interessant werden. Neben der einfacheren Herstellung ist vor allem auch die Fertigung im digitalen Workflow zuk\u00fcnftig interessant. Bei der Verwendung der monolithischen Materialien gilt es aber immer zu bedenken, dass der schw\u00e4chste Teil der Restauration auf der am besten zug\u00e4nglichen Stelle liegen muss. Vor allem muss das Implantat durch den Zahnersatz gesch\u00fctzt werden und dabei spielt das Implantatmaterial keine Rolle. Die Suprakonstruktion muss immer mechanisch schw\u00e4cher sein als das Implantat oder Abutment. Hier liegen leider nur wenige Daten vor und es bedarf dringend weiterer Untersuchungen.<\/p>\n\n\n