{"id":2138,"date":"2021-10-28T16:44:46","date_gmt":"2021-10-28T14:44:46","guid":{"rendered":"https:\/\/teamwork-zahnmedizin.de\/?p=2138"},"modified":"2022-05-31T16:58:16","modified_gmt":"2022-05-31T14:58:16","slug":"es-kommt-auf-die-erstversorgung-an","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/teamwork-zahnmedizin.de\/es-kommt-auf-die-erstversorgung-an\/","title":{"rendered":"Es kommt auf die Erstversorgung an"},"content":{"rendered":"\n

Avulsionen z\u00e4hlen mit einem Anteil von circa acht Prozent zu den eher seltenen Zahnunf\u00e4llen [1]. Die Prognose eines avulsierten Zahns h\u00e4ngt ma\u00dfgeblich von der extraalveol\u00e4ren Verweildauer ab. Zudem spielen die verwendete Lagerungsart, das Lagerungsmedium sowie bei wurzelreifen Z\u00e4hnen die zeitnahe endodontische Therapie eine entscheidende Rolle. K\u00f6nnen m\u00f6glichst viele Zementoblasten auf der Wurzeloberfl\u00e4che vital erhalten werden, ist ein g\u00fcnstiger Heilungsverlauf mit Wiederherstellung eines intakten parodontalen Ligaments sehr wahrscheinlich.<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Fragen zur Replantation<\/strong>
Wann geben Sie einen avulsierten Zahn \u201everloren\u201c?<\/strong>
Sebastian Reich: Grunds\u00e4tzlich ist eine Replantation immer in Betracht zu ziehen. Ob ein avulsierter Zahn nicht zu erhalten ist, entscheidet sich erst im Heilungsverlauf. Kommt es zum Beispiel aufgrund zu langer trockener oder unphysiologischer Lagerung trotz ad\u00e4quatem endodontischem Management zu Resorptionen der Zahnwurzel, so muss die Prognose f\u00fcr diesen Zahn als ung\u00fcnstig eingestuft werden.<\/p>\n\n\n\n

K\u00f6nnen avulsierte Z\u00e4hne in jedem Alter replantiert werden und was ist besonders bei \u00e4lteren multimorbiden Patienten zu beachten?<\/strong>
Generell k\u00f6nnen avulsierte Z\u00e4hne in jedem Alter replantiert werden. Die Replantation stellt im Vergleich zur Implantation oder konventionellen Br\u00fcckenversorgung ein schonendes und wenig zeitintensives Verfahren dar. Gerade f\u00fcr multimorbide oder \u00e4ltere Patienten kann dies eine g\u00fcnstige Therapieform darstellen. Bei der Therapiewahl m\u00fcssen allgemeine Vorerkrankungen jedoch immer ber\u00fccksichtigt werden.<\/p>\n\n\n\n

Erstversorgung am Unfallort<\/strong>
Bei der Avulsion kommt es zur vollst\u00e4ndigen Durchtrennung der Sharpeyschen Fasern des Zahnhalteapparats und einem Abriss des apikal eintretenden Gef\u00e4\u00df-Nerven-B\u00fcndels. Die ideale Erstversorgung eines avulsierten Zahns w\u00e4re die sofortige Replantation am Unfallort. Aufgrund fehlender Kenntnisse und vorhandener Verunsicherung der am Unfallort anwesenden Laien findet dies jedoch oftmals nicht statt. Daher gilt es, die Wurzeloberfl\u00e4che keinesfalls mechanisch zu reinigen, die bestm\u00f6gliche zellphysiologische Lagerung f\u00fcr den Zahn zu finden und eine zeitnahe Vorstellung in einer Zahnunfallklinik oder Zahnarztpraxis sicherzustellen
Neben der Versorgung des Zahntraumas muss bei unklarem Tetanusimpfschutz der Hausarzt aufgesucht werden. Ein ungen\u00fcgender Titer erfordert innerhalb von 48 Stunden nach Zahnunfall eine kombinierte Aktiv-Passiv-Tetanus-Impfung.<\/p>\n\n\n\n

Geeignete Lagerungsmedien<\/strong>
Um die zellul\u00e4re Integrit\u00e4t des Desmodonts und der Zementoblastenschicht nicht unn\u00f6tig zu gef\u00e4hrden, sollte ein Austrocknen des Zahns sowie jegliches Ber\u00fchren der Wurzel unbedingt vermieden werden. Idealerweise wird der Zahn in einer Zahnrettungsbox mit einem Zellkulturmedium (zum Beispiel SOS Zahnbox, Miradent, Duisburg; Dentosafe, Medice, Iserlohn; EMT Toothsaver, Gering, Nebraska\/USA) gelagert. Dort sind alle f\u00fcr die Zellvitalerhaltung erforderlichen N\u00e4hrstoffe, Elektrolyte, Aminos\u00e4uren und ein effizienter Puffer enthalten. Ist das Medium verbraucht und somit nahezu wirkungslos, wird dies bei einem pH\u2011Wert < 6 mit einem Farbumschlag von Rot nach Gelb angezeigt.
Das \u00dcberleben vitaler Zementoblasten kann in einer Zahnrettungsbox f\u00fcr mindestens 24 Stunden [3] gew\u00e4hrleistet werden. Muss der Zahn \u00fcber einen l\u00e4ngeren Zeitraum gelagert werden \u2013 zum Beispiel bei polytraumatisierten Patienten, bei denen die Therapie anderer Verletzungen im Vordergrund steht \u2013, empfiehlt es sich, regelm\u00e4\u00dfig das Medium einer neuen Zahnrettungsbox zu verwenden. \u00adDadurch werden auch l\u00e4ngere extra\u00adalveol\u00e4re \u00adLagerungszeiten des avulsierten Zahns erm\u00f6glicht, ohne die Versorgung der Zellen auf der Wurzeloberfl\u00e4che zu gef\u00e4hrden. Erfolgt die Replantation des Zahns erst nach einigen Tagen, kann die Reposition infolge einer bereits stattgefundenen Organisation des Blutkoagels in der Aveole erschwert sein. In diesem Fall kann der Zahn erst nach vorsichtiger Exkochleation und somit erneuter Einblutung in die Alveole korrekt replantiert werden.
Als alternative Medien kommen kalte \u00adH-Milch oder notfalls physiologische Kochsalzl\u00f6sung infrage. Hier sollte die \u00adextraorale Lagerungszeit auf wenige Stunden begrenzt werden. Einer aktuellen Untersuchung zufolge, scheint das sofortige Einwickeln des avulsierten Zahns in eine Frischhaltefolie die Restfeuchtigkeit an der Wurzeloberfl\u00e4che zu konservieren und so eine physiologische Umgebung f\u00fcr das \u00dcberleben der parodontalen Zellen innerhalb der ersten Stunden zu schaffen [4]. Den avulsierten Zahn bis zur Replantation in der Mundh\u00f6hle aufzubewahren, ist aufgrund der hohen bakteriellen Besiedelung der Mundh\u00f6hle und der hypotonen Eigenschaften des Speichels als ung\u00fcnstig einzustufen. Schon nach k\u00fcrzester Zeit muss hier mit einem hohen Zementoblastenschaden gerechnet werden. Ebenfalls ungeeignet ist die \u00adLagerung in Leitungswasser [5].<\/p>\n\n\n\n

Therapieoptionen<\/strong>
Um ein bestm\u00f6gliches Behandlungs\u00adergebnis zu erzielen, muss vor einer Replantation die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen parodontalen Einheilung des avulsierten Zahns abgesch\u00e4tzt werden. Diese ist ma\u00dfgeblich von den Lagerungsbedingungen abh\u00e4ngig. Bereits nach 20 Minuten trockener Lagerung steigt das Risiko f\u00fcr eine Nekrose des parodontalen Ligaments erheblich, was erste Resorptionen an der Wurzeloberfl\u00e4che nach sich zieht. Zus\u00e4tzlich muss das Risiko einer bakteriellen Besiedelung des Endodonts einkalkuliert werden. Folglich kommt es zu einer Penetration bakterieller Stoffwechselprodukte aus dem Endodont ins Parodont und dadurch zu einer Triggerung der resorptiven Vorg\u00e4nge im Parodont.<\/p>\n\n\n\n

(Bedingt) regenerationsf\u00e4higes \u00adParodont
Bei einer kurzen extraoralen Verweil\u00addauer und\/oder einer g\u00fcnstigen Lagerung kann von einem g\u00fcnstigen parodontalen Heilungsverlauf ausgegangen werden (Abb.\u20061) [6]. Ist der avulsierte Zahn nicht in einer Zahnrettungsbox, sondern in einem anderen Medium gelagert worden, sollte er vor der Replantation noch einmal f\u00fcr mindestens 30 Minuten in ein Zellkulturmedium gelegt werden, zum Beispiel SOS Zahnbox, Dentosafe oder EMT \u00adToothSaver.
Zur Resorptionsprophylaxe erscheint es ratsam, dem Zellkulturmedium zus\u00e4tzlich 1\u2009mg Dexamethason und 1\u2009mg Tetracyclin (Doxicyclin) in Pulverform beizumischen [7]. Ziel ist die Regeneration reversibel gesch\u00e4digter Zellen. Dieses Zeitfenster kann genutzt werden, um vor der anstehenden Replantation die Mundh\u00f6hle auf weitere Verletzungen der Weichteile, des Knochens oder benachbarter und antagonistischer Z\u00e4hne zu inspizieren. Zur Frakturdiagnostik und dem Ausschluss von Fremdk\u00f6rpern in der betroffenen Region sollten Einzelzahn\u00adfilme angefertigt werden (Abb.\u20062). So k\u00f6nnen vorab Repositionshindernisse, wie Knochenfragmente oder Fremdk\u00f6rper, identifiziert und gegebenenfalls \u00adreponiert oder entfernt werden. Die Alveole wird mit isotoner Kochsalzl\u00f6sung gesp\u00fclt und das Blutkoagel vorsichtig abgesaugt. Knochenfragmente, die noch am Periost gestielt sind, k\u00f6nnen mit einem stumpfen Instrumentarium, zum Beispiel einem Raspatorium, reponiert werden. Anschlie\u00dfend kann der avulsierte Zahn aus der Zahnrettungsbox entnommen und in die Alveole zur\u00fcckgesetzt werden. Es gilt auch hier wieder, die Wurzeloberfl\u00e4che nicht zu ber\u00fchren.
Um eine weitere Sch\u00e4digung der Zemento\u00adblasten zu vermeiden, sollte der Zahn nur mit sanftem Druck nach apikal \u00adreplantiert werden (Abb.\u20063).<\/p>\n\n\n