{"id":49,"date":"2021-10-18T10:19:58","date_gmt":"2021-10-18T08:19:58","guid":{"rendered":"https:\/\/teamwork-zahnmedizin.de\/?p=49"},"modified":"2022-05-31T16:59:19","modified_gmt":"2022-05-31T14:59:19","slug":"was-funktioniert-in-der-praxis","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/teamwork-zahnmedizin.de\/was-funktioniert-in-der-praxis\/","title":{"rendered":"Was funktioniert in der Praxis?"},"content":{"rendered":"\n

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Endodontie in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt: Einerseits hat die Grundlagenforschung neben vielen noch nicht in die Praxis transferierbaren Erkenntnissen \u00fcber die Funktionen, Erkrankungsmechanismen und Heilungsverl\u00e4ufe der Pulpa sowie der periradikul\u00e4ren Gewebe auch deutliche \u2013 bereits praxisrelevante \u2013 Fortschritte erbracht. So konnte zum Beispiel hinsichtlich der Vital\u00aderhaltung bei vermeintlich irreversibler Pulpitis das Indikationsspektrum der Pulpotomie erheblich erweitert werden und mit der regenerativen Endodontie ein (fast) vollst\u00e4ndig neuer Therapieansatz implementiert werden, der sich bereits klinisch zu bew\u00e4hren scheint. In der klassischen Wurzelkanalbehandlung dominierten andererseits weniger konzeptionelle Neuerungen und Fortschritte als vielmehr zahlreiche technische Neu- oder Weiterentwicklungen. Einige dieser technischen Innovationen der vergangenen Jahrzehnte sollen im Folgenden vorgestellt, auf ihre Bedeutung f\u00fcr die Endodontie beleuchtet und kritisch diskutiert werden.<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Nachgefragt
Welches technische Hilfsmittel w\u00e4re f\u00fcr meine Praxis und meine Wurzelkanalbehandlungen das wichtigste beziehungsweise welches sollte ich mir unbedingt zulegen?<\/strong>
Prof. Dr. Michael H\u00fclsmann:<\/strong> Die Antwort auf diese oft gestellte Frage ergibt sich aus einer (selbst-)kritischen Bewertung der eigenen T\u00e4tigkeit. Am sinnvollsten erscheint es zu \u00fcberpr\u00fcfen, ob die erkannten M\u00e4ngel, zum Beispiel in Diagnostik, Pr\u00e4paration, Desinfektion oder Obturation mit neuen Ger\u00e4ten behoben werden k\u00f6nnen. Oft sind jedoch Verbesserungen des Konzepts wichtiger und effektiver als die Beschaffung neuer Ger\u00e4te. Das Dentalmi\u00adkroskop und Hilfsmittel zur Intensivierung der Desinfektion, zum Beispiel Ultraschall oder Eddy, sollten auf der Einkaufsliste weit vorne stehen.<\/p>\n\n\n\n

Die Wurzelkanalbehandlung ist eine \u00adbiologisch orientierte Therapieform, die auf die Vitalerhaltung der Pulpa oder die Pr\u00e4vention und Heilung apikaler \u00adParodontitiden fokussiert. Dies setzt ein prim\u00e4r biologisch, das hei\u00dft im Wesentlichen antibakteriell ausgerichtetes Behandlungskonzept voraus, das aber nicht ohne apparative Hilfsmittel realisierbar ist. Der folgende Beitrag beleuchtet kritisch die Entwicklung der technologischen Hilfsmittel f\u00fcr eine Wurzelkanalbehandlung \u00fcber die vergangenen Jahrzehnte.<\/p>\n\n\n\n

Diagnostik<\/strong>
Die exakte Diagnostik des Zustands der Pulpa und der periapikalen Gewebe ist die Grundlage einer zielgerichteten, kausal orientierten Therapie. Nach wie vor stellt jedoch die Diagnostik eine gravierende Schwachstelle der modernen End\u00adodontie dar. Ein R\u00fcckblick auf die vergangenen Jahrzehnte zeigt, dass es in diesem essenziellen Bereich keine signifikanten Fortschritte gegeben hat [1\u2009\u2013\u20093]. Die Diagnose des Pulpazustands basiert derzeit nach wie vor nicht auf der Analyse von Entz\u00fcndungsmediatoren, sondern auf der wenig gesicherten und sehr fehleranf\u00e4lligen Bewertung von Surrogaten (Sensibilit\u00e4tstests, klinische Symptome). Die Dia\u00adgnose der Periapikalregion fu\u00dft auf der nicht minder approximativen Bewertung von Perkussionstest und R\u00f6ntgenbild. Die jeweiligen Sensitivit\u00e4ten und Spezifit\u00e4ten endodontischer Diagnoseverfahren lassen auch im 22. Jahrhundert in vielen F\u00e4llen keine verl\u00e4ssliche Diagnose zu. Lediglich zwei Ans\u00e4tze zur genaueren Bestimmung des Entz\u00fcndungsgeschehens verdienen Erw\u00e4hnung:
die Laser-Doppler-Flowmetrie: mithilfe einer Lasermessung wird versucht, die Flie\u00dfgeschwindigkeit der Erythrozyten in der Pulpa zu ermitteln und hieraus R\u00fcckschl\u00fcsse auf den Entz\u00fcndungsstatus zu ziehen [4]. Der Ansatz verspricht eine hohe Pr\u00e4zision, das Verfahren ist aber technik- und ger\u00e4tesensitiv und derzeit noch nicht praxisreif.
die Messung inflammatorischer Zyto\u00adkine in der Pulpa: diese Art der Bestimmung des pulpalen Entz\u00fcndungszustands basiert auf dem qualitativen und quantitativen Nachweis von Entz\u00fcndungsmediatoren (Zytokine) im Dentinliquor. Die Gewinnung ausreichender Mengen an Dentin\u00adliquor aus der (noch) nicht exponierten Pulpa ist schwierig, die Bestimmung ist nur \u00fcber laborchemische Verfahren, also mit zeitlichem Verzug und nicht chairside m\u00f6glich. R\u00fcckschl\u00fcsse von der Zusammensetzung und Menge der Zytokine auf Zustand und Prognose der Pulpa sind derzeit noch nicht mit ausreichender Sicherheit m\u00f6glich [5].
Beide Ans\u00e4tze messen direkt den Ent\u00adz\u00fcndungsprozess und versuchen nicht nur, klinische Symptome zu quanti\u00adfizieren und in ein Diagnose- und nachfolgend ein Therapieschema zu transferieren.<\/p>\n\n\n\n

Die digitale Volumentomografie<\/strong>
Seit einigen Jahren steht neben dem zweidimensionalen R\u00f6ntgen auch die digitale Volumentomografie (DVT) zur endodontischen Diagnostik zur Verf\u00fcgung. Die DVT erlaubt dabei erstmals die dreidimensionale Darstellung eines Zahns. F\u00fcr endodontische Zwecke wird in der Regel nicht die Vollansicht, sondern eine Aufnahme mit einem kleinen, sogenannten \u201eField of view\u201c genutzt. Es wurde bereits nachgewiesen, dass die DVT dem R\u00f6ntgenbild in der Darstellung von Feinstrukturen in der Regel deutlich \u00fcberlegen ist; so werden damit circa 20 % mehr periapikale L\u00e4sionen dargestellt als mit einer R\u00f6ntgenaufnahme. Ungewollter Nebeneffekt ist hierbei nat\u00fcrlich, dass sich auch in den endodontischen Recallaufnahmen, sofern sie ebenfalls mit dem DVT angefertigt werden, 20\u2009% mehr Z\u00e4hne als Misserfolge mit persistierenden L\u00e4sionen pr\u00e4sentieren. W\u00fcrde pr\u00e4operativ ein DVT angefertigt, postoperativ aber eine konventionelle R\u00f6ntgenaufnahme, lie\u00dfen sich demzufolge 20\u2009% der L\u00e4sionen ohne jegliche klinische Intervention \u201eheilen\u201c.
Als Nachteile der DVT sind neben den hohen Investitionskosten der erh\u00f6hte Zeitaufwand bei der Auswertung und die erh\u00f6hte Strahlenbelastung der Patien\u00adten zu nennen. Metallische Strukturen, zum Beispiel Wurzelstifte oder Kronen, k\u00f6nnen Artefakte hervorrufen und die Auswertung behindern. Als eine der wichtigsten Indikationen zur Anfertigung einer DVT gilt das dentale Trauma: Dank der pr\u00e4ziseren Darstellung der kn\u00f6chernen Strukturen k\u00f6nnen beispielsweise bei einer Alveolarfortsatzfraktur oder Fraktur der bukkalen Knochenlamelle diese Verletzungen sicherer diagnostiziert und die Schienungszeiten entsprechend angepasst werden. Auch bei unklarer Diagnostik, sehr komplexen anatomischen Strukturen, einer Beteiligung der Kieferh\u00f6hle oder des Nervus alveolaris inferior oder zum Management endodontischer Komplikationen kann eine digitale Volumentomografie unter Umst\u00e4nden hilfreich sein. Eine Aufnahme sollte aber immer nur dann angefertigt werden, wenn tats\u00e4chlich therapierelevante Informationen zu erwarten sind. Die Regeln des Strahlenschutzes (ALARA) sind zu beachten!
In einer Reihe von Studien wurde gezeigt, dass die Therapieentscheidung nach zus\u00e4tzlicher Anfertigung einer DVT modifiziert wurde [6,7].<\/p>\n\n\n\n

Das Dentalmikroskop<\/strong>
Zu den bedeutendsten Innovationen in der Endodontie z\u00e4hlt zweifellos das Dentalmikroskop. Der Ursprung der Anwendung eines Mikroskops in der Endodontie reicht allerdings schon viel weiter zur\u00fcck; aufgrund von Verbesserungen in den Optiken und der Einf\u00fchrung erheblich verbesserter Lichtquellen, zum Beispiel von LED-Licht, stehen heute deutlich leistungsst\u00e4rkere Ger\u00e4te zur Verf\u00fcgung.
Das Mikroskop kann f\u00fcr viele einzelne Schritte und Indikationen in der Endodontie eingesetzt werden: Dies reicht von der pr\u00e4operativen (Risse, Spr\u00fcnge, Frakturen), intrakoronalen (Cracks, Kalzi\u00adfikationen, Dentikel, Wurzelkanaleing\u00e4nge) und intrakanal\u00e4ren Diagnostik (F\u00fcllungsreste, Gewebezustand, Kalzifikationen, Fremdk\u00f6rper) bis zum Einsatz beim Management von Behandlungsproblemen (Perforationsverschluss, Revisionsbehandlungen, Umgehen von Stufen et cetera). Mit Studien nachgewiesen sind bislang aber nur erh\u00f6hte Erfolgsquoten bei der Entfernung frakturierter Instrumente und bei der Darstellung des zweiten mesiobukkalen (mb2) Wurzelkanals in Oberkiefermolaren [8,9] (Abb.\u20091). Das Mikroskop geh\u00f6rt mit Sicherheit zu den wichtigsten und hilfreichsten Innovationen der vergangenen Dekaden in der Endodontie.<\/p>\n\n\n