{"id":5279,"date":"2022-01-05T12:22:33","date_gmt":"2022-01-05T11:22:33","guid":{"rendered":"https:\/\/teamwork-zahnmedizin.de\/?p=5279"},"modified":"2024-02-02T12:04:00","modified_gmt":"2024-02-02T11:04:00","slug":"sechs-vor-zwoelf","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/teamwork-zahnmedizin.de\/sechs-vor-zwoelf\/","title":{"rendered":"Sechs vor zw\u00f6lf"},"content":{"rendered":"\n

Der fr\u00fchzeitige Verlust erster Molaren im wachsenden Patienten ist eine Herausforderung in jeder (Kinder-)zahn\u00e4rztlichen und kieferorthop\u00e4dischen Praxis. Die Entscheidungsfindung einer Therapiestrategie ist komplex, setzt eine differenzierte Dia\u00adgnostik und idealerweise eine gute Zusammenarbeit zwischen Kieferorthop\u00e4den und Zahnarzt voraus, um den zeitlichen und apparativen Aufwand, sowie eventuelle Risiken und Nebenwirkungen einer Behandlung f\u00fcr den Patienten in einem \u00fcberschaubaren Rahmen zu gestalten.<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Epidemiologische Grundlagen<\/strong>
Eine rein kieferorthop\u00e4dische Indikation zur Extraktion erster Molaren existiert nicht [1], daher stellt sich die \u00adIndikation vornehmlich als Folge einer kari\u00f6sen Erkrankung, eines Traumas, einer Fehlbildung oder in seltensten F\u00e4llen einer Nichtanlage. Laut der F\u00fcnften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) [2] sind 81\u2009Prozent der Kinder unter zw\u00f6lf Jahren kariesfrei. Man erkennt jedoch eine starke Polarisation der Karies in sozial benachteiligten Gruppen. Problematisch ist hierbei, dass der erste Molar der erste \u201eZuwachszahn\u201c ist. Dieser bleibt bei der h\u00e4uslichen Mundhygiene oftmals durch die Eltern unentdeckt und wird keiner ad\u00e4quaten Hygiene unterzogen. Ein neueres Ph\u00e4nomen und somit ein weiterer Grund, warum die Indikation f\u00fcr eine Extraktion erster Molaren wieder zunimmt, ist die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH). \u00c4tiologisch werden eine Vielzahl von Entstehungsfaktoren diskutiert, jedoch ist die Genese dieser Zahnreifungsst\u00f6rung nicht abschlie\u00dfend gekl\u00e4rt. Die Pr\u00e4valenz schwankt in der Literatur erheblich zwischen 2,8 und 44 Prozent [3,\u20094], wobei Industrienationen h\u00e4ufiger betroffen scheinen [5]. Der Verlust erster Molaren stellt ein Risiko f\u00fcr die Mundgesundheit dar und zieht vielfach ressourcenintensive Folgebehandlungen nach sich. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Untersuchung, welche an drei britischen Zen\u00adtren durchgef\u00fchrt wurde [6]. Hier wurden insgesamt 300 Patienten dokumentiert, bei denen die Indikation zur Extraktion erster Molaren gestellt wurde. Je nach Zentrum wurde sogar in 25 bis 48 Prozent der F\u00e4lle eine Indikation zur Entfernung von vier ersten Molaren gestellt. Urs\u00e4chlich f\u00fcr die Indikation waren mit 70 Prozent kari\u00f6se Erkrankungen und mit 11 Prozent die MIH. Bemerkenswert ist hierbei, dass 47 bis 77 Prozent der Behandlungen in Generalan\u00e4sthesie stattfanden und somit neben erh\u00f6hten Kosten ein erh\u00f6htes Narkoserisiko aufwiesen.
Eine Nachuntersuchung in eigener kieferorthop\u00e4discher Fachpraxis \u00fcber die Jahre 2014 bis 2019 ergab, dass 20 Patienten eine Indikation zur Extraktion erster Molaren aufwiesen. Bei diesen Patien\u00adten wurden 20 erste Molaren wegen \u00adKaries, f\u00fcnf wegen MIH, sechs Molaren mit Wurzelf\u00fcllungen oder ausgedehnten Restaurationen im Rahmen einer Extraktionstherapie zur Korrektur der Bisslage oder Engst\u00e4nden und elf Pr\u00e4molaren als Ausgleich extrahiert. In der Regel sind diese Behandlungen therapeutisch sehr anspruchsvoll. Da der Erfolg eines kieferorthop\u00e4dischen L\u00fcckenschlusses nach dem Verlust erster Molaren einer Vielzahl von intrinsischen und extrin\u00adsischen Einflussgr\u00f6\u00dfen unterworfen ist, stellt sich die Frage, welche Rahmenbedingungen die Behandlung erleichtern k\u00f6nnen. Voraussetzung ist eine gute Differenzialdiagnostik hinsichtlich des Wachstumsmusters, der Okklusion und der intramaxill\u00e4ren Situation. Eine gute Zusammenarbeit zwischen (Kinder-)Zahnarzt und Kieferorthop\u00e4den ist unerl\u00e4sslich, um den richtigen Zeitpunkt f\u00fcr die Zahnentfernung festzulegen, und eine perfekte Mitarbeit der Patienten ist zwingend erforderlich. Die folgenden Behandlungsf\u00e4lle illustrieren eine Reihe von Differenzial\u00fcberlegungen, welche in die kieferorthop\u00e4dische Behandlungsplanung einer Extraktionstherapie erster Molaren einflie\u00dfen.<\/p>\n\n\n\n

Therapieplanung und Fallbeispiele
<\/strong>Bei dem ersten Patientenfall (Abb.\u20091a) lag bei Erstvorstellung eine MIH-Problematik zu Grunde. Die betroffenen ersten Molaren 16 und 36 waren mit Stahlkronen versorgt. Es imponierten ein anteriorer und posteriorer Engstand, Kreuzbisse und eine Protrusion der Oberkieferfront bei einem vertikalen Wachstumsmuster. Der Zahnwechsel war mit zehn Jahren bereits sehr weit vorangeschritten, jedoch bestand kein akuter Handlungszwang, da eine Schmerzfreiheit vorlag. In der Folge wurden die Z\u00e4hne 16 und 36 entfernt und eine \u00adAusgleichsextraktion der Z\u00e4hne 25 und 44 vorgenommen. Der darauffolgende L\u00fcckenschluss erfolgte \u00fcber eine Verst\u00e4rkung der Verankerung mittels festsitzendem Klasse-II-
Ger\u00e4t, und das Ergebnis blieb \u00fcber die Retention stabil (Abb.\u20092). Epikritisch kann man die Rahmenbedingungen in dem dargestellten Fall als ideal f\u00fcr einen erfolgreichen L\u00fcckenschluss zusammenfassen. Das Wachstumsmuster und der Platzmangel beg\u00fcnstigten den L\u00fcckenschluss und auch die Patientencompliance war hervorragend. Einzig der Therapiebeginn zu einem jungen Alter erforderte eine verl\u00e4ngerte Retentionsphase, jedoch beg\u00fcnstigte der L\u00fcckenschluss den Durchbruch der zweiten Molaren, worin sich der fr\u00fche Therapiebeginn begr\u00fcndet.<\/p>\n\n\n