{"id":6180,"date":"2022-02-23T10:16:17","date_gmt":"2022-02-23T09:16:17","guid":{"rendered":"https:\/\/teamwork-zahnmedizin.de\/?p=6180"},"modified":"2022-05-31T16:53:15","modified_gmt":"2022-05-31T14:53:15","slug":"bereit-fuer-data-dentistry","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/teamwork-zahnmedizin.de\/bereit-fuer-data-dentistry\/","title":{"rendered":"Bereit f\u00fcr Data-Dentistry?"},"content":{"rendered":"\n

KI-Applikationen finden heute schon breite Anwendung in der Medizin und k\u00f6nnten auch in der Zahnmedizin eingesetzt werden. Prof.\u2005Dr.\u2005Falk Schwendicke ist \u201eMr.\u2005Big Data\u201c der Zahnmedizin. Der Zahnarzt leitet eine eigene Klinik mit dem Schwerpunkt \u201eDatenzahnmedizin\u201c, von seiner Expertise profitieren Zahnmediziner bereits jetzt. Im Gespr\u00e4ch mit teamwork erl\u00e4utert der KI-Experte, welche Applikationen im zahnmedizinischen Praxisalltag k\u00fcnftig vorstellbar sind und wieviel digitale Kompetenz diese k\u00fcnftig vom Zahnarzt erfordern werden.<\/p>\n\n\n\n

Herr Prof. Schwendicke, alle reden von Big Data. Es stehen riesige Mengen von (Gesundheits-)Daten zur Verf\u00fcgung, die genutzt werden wollen. Woher kommen diese Daten und wie nutzen Sie diese f\u00fcr Ihre zahnmedizinische Forschungsarbeit?<\/strong>
Auch in der Zahnmedizin verf\u00fcgen wir \u00fcber eine gro\u00dfe Menge an Daten, denn wir sind ein sehr datenreicher Fachbereich; das ist vielen Kollegen gar nicht so bewusst. Wir Zahn\u00e4rzte genie\u00dfen den Vorteil, dass wir unsere Patienten sehr regelm\u00e4\u00dfig sehen \u2013 rund 70 Prozent kommen fast einmal im Jahr in die Zahnarztpraxis. Und die meisten Patienten tun das \u00fcber Jahrzehnte, in deren Verlauf wir viele klinische, anamnestische und historische Daten \u2013 wie Abrechnungs- und Bilddaten \u2013 erheben und dokumentieren. Aus datenwissenschaftlicher Sicht ist das sehr spannend, da diese Daten vom selben Patienten \u00fcber einen relativ langen Zeitraum \u2013 und bei einer Vielzahl von Menschen \u2013 gesammelt wurden. Darauf gr\u00fcndet unser Datenschatz, den wir in vielfacher Hinsicht und in zahlreichen Anwendungen nutzen k\u00f6nnen.<\/p>\n\n\n\n

Wie funktioniert KI ganz allgemein?<\/strong>
KI ist ein \u00dcberbegriff f\u00fcr alles, was Maschinen tun, wenn sie Aufgaben l\u00f6sen, die sonst menschliche Intelligenz erfordern w\u00fcrden. Dazu z\u00e4hlen zum Beispiel T\u00e4tigkeiten wie reagieren, sprechen, h\u00f6ren, lernen und autonom agieren. Die am h\u00e4ufigsten genutzte Technik ist das \u201emaschinelle Lernen\u201c, der in der Medizin am h\u00e4ufigsten angewandte Typ des Lernens ist das sogenannte \u00fcberwachte Lernen. Dabei lernen Maschinen an gro\u00dfen Datenmengen und zugeh\u00f6riger Information \u2013 man k\u00f6nnte auch von Antworten sprechen \u2013, welche Regeln sich im Datensatz befinden.<\/p>\n\n\n\n

K\u00f6nnen Sie dazu ein Beispiel nennen?<\/strong>
Nehmen wir einmal an, wir haben einen gro\u00dfen Bilddatensatz mit Kariesl\u00e4sionen auf R\u00f6ntgenbildern. Und wir stellen zus\u00e4tzlich die Information bereit, an welchem Zahn sich die Karies befindet. Damit ist die Maschine in der Lage zu lernen, wie Karies aussieht. Irgendwann ist die Maschine darin so gut, dass sie Karies auch an Bildern erkennen kann, die sie nie zuvor gesehen hat.<\/p>\n\n\n\n

Wo wird KI im Gesundheitswesen bereits angewendet?<\/strong>
CAD\/CAM, Bild- und Sprachanalytik sind die drei praxisrelevanten Themen. CAD\/CAM ist in der zahnmedizinischen Praxis bereits etabliert und funktioniert mit KI-Unterst\u00fctzung CAD\/CAM-basiert auf der Analyse von Scanbildern; auch die Simulation und das Schleifen von Werkstoffen l\u00e4uft KI-basiert.
Noch relativ neu, aber auch schon in den Praxen eingezogen, ist die KI-basierte Bildanalyse, insbesondere die R\u00f6ntgenbildanalyse. Das wird in naher Zukunft durch Fotobild\u00adanalytik und automatisierte Sprachverarbeitung komplettiert werden. Hiermit lie\u00dfe sich beispielsweise auch sprachbasiert befunden und dokumentieren.<\/p>\n\n\n\n

Wo sehen Sie das Potenzial von KI in der Zahnmedizin?<\/strong>
Neben der Datenanalyse, die uns (Zahn-)\u00c4rzte heute schon unterst\u00fctzt, beispielsweise viel schneller und pr\u00e4ziser befunden zu k\u00f6nnen, wird KI uns zuk\u00fcnftig helfen zu verstehen, welche \u201eTrajektorie\u201c unsere Patienten nehmen, weil wir Patienteninformationen zusammenf\u00fchren und besser analysieren. Damit wird es uns unter anderem gelingen vorherzusagen, welcher Zahn am Ende \u00fcber die Jahre nicht erhaltungsf\u00e4hig sein wird, an welchem Zahn eine Karies entstehen wird oder welcher Patient zu Parodontitis neigt \u2013 und das mit einer deutlich h\u00f6heren Genauigkeit als wir das bisher mit unseren, eher simplen, Risikoanalysetools vorhersagen k\u00f6nnen. Eine solche individualisierte Zahnmedizin ist das, wovon wir uns viel versprechen. Diese Art von personalisierter Medizin wird bereits sehr erfolgreich in der Onkologie angewandt, zum Beispiel in der Antik\u00f6rpertherapie. Dort wird der Tumor analysiert und dann eine spezifische, mit wenig Nebenwirkungen behaftete, Antik\u00f6rpertherapie f\u00fcr den Patienten hergestellt. Da personalisierte Therapie jedoch sehr teuer ist, wird es vermutlich noch einige Jahre dauern, bis Personalisierung auch in der zahnmedizinischen Therapie eine Option darstellt.<\/p>\n\n\n\n

Es wird viel \u00fcber die \u00dcberlegenheit KI-basierter Anwendungen gesprochen. In welchen Bereichen wird der Zahnarzt weiterhin der KI \u00fcberlegen sein beziehungsweise in welchen Bereichen der Zahnmedizin macht KI wenig Sinn?<\/strong>
Es gibt durchaus Bereiche, in denen ich langfristig weiterhin den Zahnarzt ohne KI-Unterst\u00fctzung sehe, zum Beispiel in der restaurativen Therapie. \u00adIch sehe auch in der Zahnmedizin langfristig nicht die Anwendung von Robotik, die ja auch KI-unterst\u00fctzt ist. Zwar gibt es bereits Ans\u00e4tze und Pilotstudien, bei denen KI auch f\u00fcr Operationen genutzt wird \u2013 insbesondere in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie \u2013 dort sind Aufwand und Kosten auch gerechtfertigt. Bei einer Einzelzahnimplantation muss man jedoch kritisch hinterfragen, ob diese Therapiema\u00dfnahme \u2013 angesichts der hohen Kosten \u2013 heute schon robotergesteuert durchgef\u00fchrt werden muss; dasselbe gilt f\u00fcr das Legen einer zweifl\u00e4chigen F\u00fcllung. Hier stehen Kosten und Nutzen in keinem Verh\u00e4ltnis und diese Therapieformen werden deshalb sicherlich weiterhin vom Zahnarzt ohne Roboterunterst\u00fctzung durchgef\u00fchrt.<\/p>\n\n\n\n

Worauf fokussieren Sie in Ihrer KI-Forschung?<\/strong>
Der Schwerpunkt meiner Forschungsarbeit liegt auf der Diagnostik und der Therapieplanung. Das hat zum einen damit zu tun, dass ich eine diagnostisch ausgerichtete Abteilung an der Charit\u00e9 leite und wird zum anderen dadurch angetrieben, dass es gerade in diesem Bereich noch wenig Forschung gibt. In anderen zahnmedizinischen Bereichen hingegen, gerade wenn es um den digitalen Workflow und CAD\/CAM-gest\u00fctzt gefertigte Restaurationen geht, wurden bereits viele Fortschritte erzielt. In der Dia\u00adgnostik hingegen ist in der umfassenden Bewertung von KI-Therapie sowie deren Anwendung noch viel Forschungsarbeit vonn\u00f6ten. Wir wissen heute zum Beispiel oft nicht, wie kostenwirksam, robust oder generalisierbar eine KI-Anwendung \u00fcberhaupt ist. Deshalb m\u00fcssen wir KI-Anwendungen zun\u00e4chst besser verstehen lernen, um am Ende sagen zu k\u00f6nnen: \u201eKI in der Zahnmedizin ist evidenzbasiert und erf\u00fcllt unsere hohen Qualit\u00e4tsstandards.\u201c<\/p>\n\n\n\n

Hohe Qualit\u00e4tsstandards k\u00f6nnten auch dadurch schon erf\u00fcllt werden, indem die vielen gesammelten Daten KI-basiert zu klaren Handlungsempfehlungen formuliert werden. Wird KI zuk\u00fcnftig, zum Beispiel dem implantierenden Zahnarzt, konkrete Empfehlungen hinsichtlich des zu inserierenden Implantats im Hinblick auf Oberfl\u00e4che und Form oder des Bohrprotokolls oder der prothetischen Versorgungsform machen k\u00f6nnen?<\/strong>
KI wird sicherlich auch dazu dienen, Behandlungsvorschl\u00e4ge zu machen beziehungsweise dem Zahnarzt zumindest Optionen zu liefern, m\u00f6glicherweise sogar leitlinienbasiert. Das wird den Zahnarzt unterst\u00fctzen, evidenzbasiert zu behandeln. Vorstellbar ist folgendes Szenario: Es liegt eine spezifische Situation vor, der Zahnarzt analysiert mithilfe von KI die Patientendaten und schaut sich KI-unterst\u00fctzt das DVT an, vermisst die Situation dreidimensional und bekommt automatisiert die Empfehlung f\u00fcr m\u00f6gliche literaturbasierte Behandlungsprotokolle inklusive Implantatoptionen \u2013 und falls gew\u00fcnscht wird passend dazu die Bohrschablone gedruckt. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es sogar noch \u00fcber diesen Punkt hinausgeht, indem der Zahnarzt nach dem CAD-Entwurf eine Brille aufsetzt und \u00fcber Augmented Reality w\u00e4hrend der Implantation in den Knochen simulierend hineinschauen kann. Das ist zwar noch Zukunftsmusik, aber eine sehr spannende Option. In der Medizin gibt es bereits erste Anwendungen, Therapie durch Augmented Reality zu unterst\u00fctzen.<\/p>\n\n\n\n

Inwiefern wird KI das Berufsbild des Zahnmediziners ver\u00e4ndern und wieviel digitale Kompetenz erfordert das zuk\u00fcnftig vom Zahnarzt?<\/strong>
Ich sehe bereits jetzt Ver\u00e4nderungen im Berufsbild, zum Beispiel bei der R\u00f6ntgendiagnostik. Schon heute ist derjenige Kollege, der R\u00f6ntgenbilder KI-unterst\u00fctzt befundet, im Hinblick auf Geschwindigkeit und Pr\u00e4zision im Vorteil. Zuk\u00fcnftig wird es m\u00f6glich sein, den gesamten Behandlungsablauf digital abzubilden. Ich glaube jedoch nicht, dass wir in naher Zukunft schon roboter- oder Augmented-reality-unterst\u00fctzt arbeiten werden. Wichtig ist es, offen f\u00fcr Neues zu sein, was in der Kollegenschaft ja gegeben ist, denn die Zahnmedizin ist ja ein sehr technikaffiner Bereich \u2013 Zahn\u00e4rzte haben ja ihre Praxen schon intensiv digitalisiert. F\u00fcr Zahn\u00e4rzte wird es immer wichtiger, all diese Technologien bewerten zu k\u00f6nnen. Deshalb wird es zuk\u00fcnftig die Herausforderung eines jeden Einzelnen sein, sich \u201edigital \u00adliteracy\u201c \u2013 digitale Kompetenz \u2013 anzueignen. Zahn\u00e4rzte m\u00fcssen wissen, wie KI-basierte Maschinen, Systeme oder Apps funktionieren, um dann die richtigen Fragen stellen zu k\u00f6nnen, zum Beispiel nach den Daten, die dahinterstecken, auf welche Weise die Applikation getestet wurde, wie generalisierbar diese ist oder nach welcher Logik sie funktioniert. Der Zahnarzt muss die entscheidenden Schl\u00fcsselfragen stellen und die Antworten interpretieren k\u00f6nnen, um diese Tools zu bewerten \u2013 genauso selbstverst\u00e4ndlich wie er heute Schl\u00fcsselfragen zu einem neuen Komposit oder eine Endo-Feile stellt. Diese Schl\u00fcsselfragen m\u00fcssen noch definiert werden.<\/p>\n\n\n\n

Was m\u00fcssen Zahn\u00e4rzte beachten, wenn es um rechtliche Fragen hinsichtlich Diagnostik, Therapie oder Behandlungsfehler beim Einsatz KI-basierter Technologie beziehungsweise KI-basierter Applikationen geht?<\/strong>
Rechtlich wird sich f\u00fcr den Zahnarzt in den n\u00e4chsten Jahren sicherlich nicht viel \u00e4ndern, denn KI-basierte Systeme arbeiten nicht autonom, sondern unterst\u00fctzend. Der Zahnarzt wird also immer die Verantwortung f\u00fcr seine Therapiema\u00dfnahmen tragen \u2013 unabh\u00e4ngig davon, ob KI im Spiel ist.<\/p>\n\n\n\n

Auf welche KI-Anwendung w\u00fcrden Sie pers\u00f6nlich heute keinesfalls mehr verzichten wollen?<\/strong>
Aus privater Sicht finde ich vor allem die Gesichtserkennung am Smartphone sehr praktisch \u2013 auch, wenn diese derzeit mit Maske nicht immer funktioniert.
Im zahnmedizinischen Bereich ist f\u00fcr mich die KI-R\u00f6ntgenunterst\u00fctzung unverzichtbar geworden. In unserer Abteilung arbeiten wir regelm\u00e4\u00dfig mit dentalXrai, einer Software, die Zahnmediziner KI -basiert bei der Befundung, Dokumentation und Patientenkommunikation unterst\u00fctzt.
Das Unternehmen dental\u00adXrai ist als Start-up aus unserem Charit\u00e9 \u2013 Universit\u00e4tsmedizin-Forschungsteam entstanden. Diese Applikation wird bereits von Zahn\u00e4rzten genutzt und erweist sich im Praxisalltag als sehr hilfreich.<\/p>\n\n\n\n

Vielen Dank f\u00fcr das aufschlussreiche Gespr\u00e4ch.<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Service<\/strong>
Dental Online College
Spannende Videovortr\u00e4ge von Prof.\u2006Schwendicke zum Thema KI finden Sie auch in unserem neuen Forbildungsportal Dental Online College unter <\/p>\n\n\n\n

https:\/\/www.dental-online-college.com\/experte\/falk-schwendicke<\/a><\/p>\n\n\n\n

Vita<\/strong>
Prof. Dr.\u2009Falk Schwendicke ist Direktor der im April 2020 gegr\u00fcndeteten Abteilung Orale Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde und Versorgungsforschung an der Charit\u00e9 \u2013 Universit\u00e4tsmedizin Berlin. Die Abteilung widmet sich den Bereichen Deep Learning in der Zahnmedizin, Orale Diagnostik und Versorgungsforschung, Gesundheits\u00f6konomie, Implementationsforschung und Pr\u00e4ventivzahnmedizin.
Zur KI kam Prof. Schwendicke vor rund vier Jahren \u00fcber den Austausch mit einem befreundeten Kollegen mit datenwissenschaftlicher Expertise. Schnell war seine Begeisterung f\u00fcr Datenanalyse geweckt, befeuert von dem Wunsch, diese mit zahnmedizinischer Expertise zusammenzubringen und f\u00fcr die Zahnheilkunde in Form von KI\u2011Applikationen zu nutzen.
Heute leitet er das deutschlandweit einzige Institut zu dem Thema \u2013 und ist auch weltweit als Experte ausgewiesen, unter anderem bei der ITU\/WHO, der FDI und der DIN. An der Charit\u00e9 arbeitet zudem das gr\u00f6\u00dfte Team an Datenwissenschaftlern in der Zahnmedizin in Europa.<\/p>\n\n\n