{"id":966,"date":"2021-10-20T13:00:33","date_gmt":"2021-10-20T11:00:33","guid":{"rendered":"https:\/\/teamwork-zahnmedizin.de\/?p=966"},"modified":"2022-05-31T16:56:23","modified_gmt":"2022-05-31T14:56:23","slug":"risikofaktor-parodontitis","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/teamwork-zahnmedizin.de\/risikofaktor-parodontitis\/","title":{"rendered":"Risikofaktor Parodontitis"},"content":{"rendered":"\n

Bei der \u00c4tiopathogenese der Parodontitis auf molekularer und zellul\u00e4rer Ebene handelt es sich um eines der modernsten Gebiete der Parodonto\u00adlogie. Die Erforschung von neuen zellul\u00e4ren Interaktionen und der Wirtsantwort f\u00fchren zu einem verbesserten Verst\u00e4ndnis der \u00c4tiologie der Parodontitis und kann nicht nur neue pr\u00e4ventive, sondern auch diagnos\u00adtische und therapeutische M\u00f6glichkeiten er\u00f6ffnen. Der vorliegende Artikel, soll einen aktuellen Einblick in die Interaktion der Parodontitis mit dem Gesamt\u00adorganismus geben und die immunomikrobiologische Pathogenese der Parodontitis und deren Risikofaktoren zeigen<\/p>\n\n\n\n

Frage zur Therapie<\/p>\n\n\n\n

Wie kann eine unbehandelte schwere Parodontitis Einfluss auf das Herz\u00adinfarktrisiko nehmen?<\/strong>
Dr. Alexander M\u00fcller-Busch: Die erh\u00f6hte Entz\u00fcndungslast zeigt ihren negativen Einfluss nicht nur in der Mundh\u00f6hle, sondern auch im Bereich der Gef\u00e4\u00dfe und des Magen-Darm-Trakts. Die Gef\u00e4\u00dfe sind permeabler und anf\u00e4lliger f\u00fcr Plaques. Im Magen sowie im Darm werden N\u00e4hrstoffe nicht mehr wie vorgesehen aufgenommen. Eine Ern\u00e4hrungsumstellung sowie PA-Therapie k\u00f6nnen helfen.<\/p>\n\n\n\n

\u00c4tiologie und Pathogenese der Parodontitis<\/strong>
Die Parodontitis ist eine entz\u00fcndliche Erkrankung des Zahnhalteapparats, die mit Attachmentverlust verbunden ist. Bei der Parodontitis handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen, ma\u00dfgeblich verursacht durch parodontalpathogene Mikroorganismen sowie deren subgingivale Produkte und Bestandteile. Die zahlreichen molekularen und zellul\u00e4ren Prozesse bei der Entstehung und der Progression der Parodontitis sind ex\u00adtrem komplex und noch nicht vollst\u00e4ndig entschl\u00fcsselt. Aufgrund des vermehrten Zahnerhalts und der ansteigenden Weltbev\u00f6lkerung ist die globale Belastung durch schwere Parodontitis zwischen 1990 und 2013 um 67 Prozent angestiegen [10]. Diese Entwicklung zieht enorme \u00f6konomische Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme nach sich [31].
Als erste Bakterienart siedeln sich orale Streptokokken am Zahnpellikel an, worauf Aktinomyceten und Veillonellen folgen. Diese Bakterienarten z\u00e4hlen zu den sogenannten \u201eFr\u00fchbesiedlern\u201c des Biofilms, wogegen Porphyromonas gingivalis, Treponemen und Aggregatibacter actinomycetemcomitans zu den \u201eSp\u00e4tbesiedlern\u201c geh\u00f6ren. Das Fusobacterium nucleatum spielt als Br\u00fcckenkeim zwischen den fr\u00fchen und sp\u00e4ten Plaquebesiedlern eine wichtige Rolle [28]. Die Abbildungen 1 und 2 zeigen unterschiedliche gingivale und parodontale Zust\u00e4nde, von idealer entz\u00fcndungsfreier Situation bis hin zu schwerer \u00fcberschie\u00dfender Entz\u00fcndungsreaktion. 1998 wurden durch Socransky und seine Mitarbeiter die jeweils in einem engen Zusammenhang stehenden Bakterien zu sechs Komplexen zusammengefasst, die entsprechend ihrer Pathogenit\u00e4t farblich unterschiedlich kodiert wurden (Abb.\u20063) [37]. Dabei z\u00e4hlen die Bakterien des blauen (Aktinomyzeten), des gelben (Streptokokken) und des violettfarbenen Komplexes zu den fr\u00fchen Plaquebesiedlern. Der orangefarbene Komplex fasst die Bakterienspezies mit Br\u00fcckenfunktionen zusammen. Zu diesem Komplex z\u00e4hlen neben dem Fusobacterium nuclea\u00adtum auch Campylobacter rectus, Eubacterium nodatum, Parvimonas mi\u00adcra und Prevotella intermedia. Der rote Komplex enth\u00e4lt die mit einer Parodontitis stark assoziierten Bakterien Porphyromonas gingivalis, Tannerella forsythia und Treponema denticola. Daneben existiert noch ein gr\u00fcner Komplex, der Aggregatibacter actinomycetemcomitans enth\u00e4lt.<\/p>\n\n\n\n


Im Biofilm existiert daneben noch eine Vielzahl weiterer Bakterienspezies, die erst durch neuere Sequenzierungsmethoden identifiziert worden sind [25]. Parodontalpathogene Bakterien weisen sogenannte Virulenzfaktoren auf [12, 2]. So besitzt beispielsweise Aggregatibacter actinomycetemcomitans die F\u00e4higkeit, Leukotoxin zu produzieren. Leukotoxin f\u00fchrt in hoher Konzentration bei Granulozyten, Monozyten und Lymphozyten zu einer Porenbildung und somit zur Zelllyse [12].
Porphyromonas gingivalis, \u00adTannerella forsythia und Treponema denticola produzieren eine Vielzahl von Proteasen [13]. P. gingivalis synthetisiert zum Beispiel Cysteinproteasen (Gingipaine), die diesem Bakterium zur Bereitstellung eigener Nahrung und zum Eindringen ins parodontale Gewebe dienen. Dar\u00fcber hinaus sind Gingipaine in hohem Ma\u00dfe an der Modulation der Wirtsabwehr beteiligt [11]. T. denticola ist hoch beweglich und wirkt zytotoxisch [16]. \u00dcber die Virulenzfaktoren von T. forsythia sind bisher sehr wenig bekannt. K\u00fcrzlich wurde jedoch eine Protease beschrieben, die in der Lage ist, Bindegewebe abzubauen und LL-37, ein antimikrobielles Peptid, zu spalten [29].
In der Regel werden die oralen Mikroorganismen in ihrem Wachstum und in ihrem Angriffspotenzial gut kontrolliert. Parodontalpathogene Mikroorganismen k\u00f6nnen jedoch die Entstehung und Progression einer Parodontitis induzieren, indem sie die Wirtsabwehr zum Teil umgehen, unterdr\u00fccken, fehlleiten oder aber vor allem eine \u00fcberschie\u00dfende Wirtsantwort hervorrufen. Bei der Wirtsantwort handelt es sich um aktive Prozesse, die durch einen mikrobiellen Angriff ausgel\u00f6st werden. Unterschieden werden dabei die innate (angeborene) und eine \u00adadaptive (erworbene) Wirtsantwort. Pathogene Mikroorganismen sind eine notwendige, jedoch nicht die alleinige Bedingung f\u00fcr die Entstehung und Progression einer Parodontitis.
Als komplexe multifaktorielle Erkrankung werden die Entstehung und der Verlauf der Parodontitis zudem von einer Reihe von modifizierbaren und nicht modifizierbaren Risikofaktoren beeinflusst. Es sind beispielsweise Rauchen, genetische Disposition, systemische Erkrankungen und psychischer Stress zu nennen. Das beeinflusst die Symbiose, und es stellt sich eine Dysbiose ein, die durch das Beibehalten der externen negativen Einflussfaktoren weiter Aufschwung erh\u00e4lt. Infolgedessen kommt es zum Zusammenbruch der benefiziellen Beziehung, was sich gesundheitssch\u00e4dlich auswirkt und intraoral durch den Abbau von Bindegewebe und Alveolarknochen sichtbar wird [3, 5, 19, 24, 27, 32, 33, 35].
Eine sogenannte antiinfekti\u00f6se Therapie, bei der in regelm\u00e4\u00dfigen Abst\u00e4nden der Biofilm gr\u00fcndlich entfernt wird, kann zur Abheilung der Entz\u00fcndung und zur Wiederherstellung einer Symbiose f\u00fchren (Abb.\u20064) [32]. Dabei ist ein zur\u00fcckhaltender und verantwortungsvoller Umgang mit Antibiotika zu ber\u00fccksichtigen, um die benefizielle Mikroflora zu erhalten und vermehrte antibiotische Resistenzen zu vermeiden [18].
Nachfolgend werden sowohl einige systemische als auch individuelle Patientenfaktoren beschrieben, die das Risiko f\u00fcr die Entstehung einer Parodontitis beeinflussen. Bei Patienten ohne eine Disposition f\u00fcr Parodontitis ist eine angemessene Entz\u00fcndungsantwort im Rahmen einer Gingivitis die Folge und die Entz\u00fcndung selbstaufl\u00f6send, w\u00e4hrend bei anf\u00e4lligen Patienten multiple Risikofaktoren eine \u00fcberschie\u00dfende, aber in\u00adeffektive und sich nicht wieder aufl\u00f6sende Entz\u00fcndung im bindegewebigen Zahnhalteapparat ausl\u00f6sen. Unterschieden werden nicht modifizier\u00adbare Risikofaktoren (genetische Faktoren), modifizierbare Risikofaktoren \u2013 dazu z\u00e4hlen Lifestylefaktoren wie Rauchen und Ern\u00e4hrung \u2013 sowie erworbene Faktoren wie Diabetes mellitus. Insbesondere bei einem vorliegenden nicht eingestellten Diabetes mellitus beeinflusst die metabolische Fehlregulation die Entz\u00fcndungsantwort, was zu einem hoch inflammatorischen Zustand und zu einem beschleunigten parodontalen Gewebeabbau f\u00fchrt (Abb.\u20065). Diese Mechanismen wurden von Dommisch et al. ausf\u00fchrlich beschrieben [6]. Aber auch die unbehandelte Parodontitis hat einen negativen Einfluss auf den Diabetes, denn in diesen F\u00e4llen kommt es h\u00e4ufiger zu Entgleisungen des Blutzuckerspiegels und einer schwierigeren Einstellung auf ein Normalniveau.
Studien zeigen, dass die Parodontitis auch durch die Ern\u00e4hrung beeinflusst werden kann [14, 1]. So konnte eine umgekehrte Assoziation zwischen der Einnahme und den Plasmakonzentrationen von Vitamin C und der Parodontitispr\u00e4valenz gezeigt werden [38]. Niedrige Spiegel an Omega-3-Fetts\u00e4uren korrelieren mit st\u00e4rkerer Parodontitis [17] und eine kohlenhydratreiche Di\u00e4t kann die Blutungsneigung der Gingiva erh\u00f6hen [15, 39]. Die Zusammenh\u00e4nge zwischen Parodontitis und Ern\u00e4hrung sind in einem Beitrag von W\u00f6lber und Tennert [40] und bezogen auf Probiotika und parodontale Therapie in einem Beitrag von Schlagenhauf n\u00e4her ausgef\u00fchrt worden [36].
Mit zunehmendem Alter liegt eine erh\u00f6hte Parodontitispr\u00e4valenz vor [22, 4]. In der Immungerontologie bezeichnet Immunseneszenz die Abnahme der Leistung des Immunsystems mit zunehmendem Alter. Als \u201eInflamm-aging\u201c ist ein chronischer Entz\u00fcndungsprozess als Altersph\u00e4nomen beschrieben, der durch die Zunahme proinflammatorischer Zytokine und Akute-Phase-Proteine mit zunehmendem Alter gekennzeichnet ist [9]. Der komplexe Zusammenhang zwischen Altern und Parodontitis ist aufgrund zahlreicher Medikationen und Komorbidit\u00e4ten nicht einfach zu entschl\u00fcsseln.<\/p>\n\n\n