Fachbericht
Funktionsdiagnostik & CMD
25.10.21
Aufgaben und Herausforderungen
Instrumentelle Okklusionsanalyse digital und analog
CAD/CAM, digitale Zahnmedizin, instrumentelle Okklusionsanalyse, Okklusion, virtueller Artikulator
Okklusionsanalysen anhand von Modellen im Artikulator zählen zu den unverzichtbaren Techniken für die zahnärztliche Funktionsdiagnostik, aber auch für Planungen und Probebehandlungen im Rahmen komplexer restaurativ-prothetischer Maßnahmen. Es wird erläutert, inwiefern die Darstellung der digitalen Okklusion in virtuellen Artikulatoren vergleichbare Ergebnisse liefert, aber auch, wo zurzeit noch Defizite sind und Entwicklungsarbeit erforderlich ist. Dabei zeigt sich, dass insbesondere Lösungen, die die Okklusion in Ankopplung an elektronische Bewegungsaufzeichnungen unter oralphysiologischen Bedingungen, zum Beispiel bei Kautätigkeit, weit über die konventionelle Okklusionsanalyse mit mechanischen Artikulatoren hinausgehen und diese in entscheidender Hinsicht ergänzen können.
Fragen an die Autoren
Wann werden wir auf die Okklusionsanalyse im mechanischen Artikulator verzichten können und nur noch mit einem virtuellen arbeiten?
Prof. Dr. Bernd Kordaß: Grundsätzlich kann man auf den mechanischen Artikulator erst verzichten, wenn der digitale Workflow für alle Indikationen komplett geschlossen wurde. Aber auch dann ist es von den Schnittstellen abhängig, welche Software beziehungsweise Softwarekomponente mit welchen Funktionen für die konkrete CAD-Anwendung verfügbar ist. Vermutlich wird es noch einige Zeit dauern, bis die mechanische Welt vollständig von der virtuellen abgelöst wird.
Wie genau kann die digitale Okklusion dargestellt werden?
Diese Frage zählt zu den wichtigsten überhaupt und kann trotzdem nicht einfach beantwortet werden. Warum das so ist und warum die Antwort so schwierig ist, wird im Artikel ausführlich erläutert. Es wird trotz allem ein ungefährer Wert genannt, an dem man sich orientieren kann, allerdings spielen viele unterschiedliche Faktoren eine Rolle. Eigentlich müssten solche Werte für jede CAD-Software bekannt sein.
Einführung und Definition
Okklusale Kontaktbeziehungen können klinisch durch direkte Untersuchung am Patienten oder im Rahmen einer instrumentellen Okklusionsanalyse anhand von Modellen beurteilt werden. Dabei besteht generell die Aufgabe darin, die Okklusion des Patienten in statischer und dynamischer Hinsicht so darzustellen, wie sie ist – und zugleich die diagnostisch relevanten Aspekte herauszuarbeiten. Letzteres – so die Theorie – ist mit klinischen Möglichkeiten schwierig, weil klinische Einflüsse, zum Beispiel eine reflektorische Schonhaltung oder ein aufgrund von Beschwerden eingeschränktes Bewegungsmuster, die okklusale Analyse beeinträchtigen können – einmal ganz abgesehen davon, dass wichtige, „innere“ okklusale Kontaktbeziehungen im „Dschungel“ der Verzahnung klinisch praktisch nicht gut zugänglich sind. In dieser Hinsicht ergänzt die instrumentelle Okklusionsanalyse die klinische Untersuchung, wobei die Klinik aber immer Maß der instrumentellen Betrachtung und Analyse bleibt [1, 2, 8, 9].
In der Welt der klassischen, instrumentellen Okklusionsanalyse setzt dies die Orientierung der Modelle nach kiefergelenk- und schädelbezüglichen Koordinaten in einem geeigneten Artikulator voraus. Dabei wird die Gelenkmechanik des Artikulators nach individuell registrierten Parametern der Gelenkfunktion eingesteuert und das Unterkiefermodell nach einem zentrischen Registrat zum Oberkiefermodell ausgerichtet. Nur so lassen sich im Artikulator wichtige, diagnostisch relevante Kontaktbeziehungen wie die „zentrische Okklusion“ (ZKP) oder mediotrusive Interferenzen – sogenannte Hyperbalancen – adäquat darstellen. Es stellt sich die Frage, ob Ähnliches auch für die Welt der digitalen Okklusion gilt, wenn diese im rein digitalen Workflow beim Einsatz CAD/CAM-orientierter Technologien auftritt und einer Analyse zugeführt werden soll.
Ziele und Aufgaben
Die grundlegenden Ziele der instrumentellen Okklusionsanalyse gelten in beiden Welten, der analog-mechanischen wie der digitalen gleichermaßen: Primär geht es immer um eine möglichst exakte Darstellung der Okklusionsbeziehungen und die Diagnose von Okklusionsstörungen, die als Ursache oder Kofaktoren für pathologische Veränderungen infrage kommen [2].
Solche Okklusionsstörungen können beispielsweise durch Kippung oder Elongation von Zähnen sowie Zahnverlust, aber auch durch unangepasste Füllungen, Kronen, Brücken oder Prothesen verursacht werden. Dadurch ausgelöste Fehlbelastungen, die sich beim Gesunden vielleicht überhaupt nicht auswirken, können in vorgeschädigten Geweben pathogene Wirkungen entfalten. Auch wenn andere Faktoren die eigentliche Hauptursache sind, können okklusale Störungen als Kofaktoren das Krankheitsgeschehen beeinflussen: Dazu zählen funktionelle Lockerungen von Zähnen oder Implantaten, parafunktionell bedingte Attritionen und Abrasionen, Schmerzen im Bereich von Kiefermuskeln und/oder -gelenken, Verspannungen im Nacken-, Hals- und Schulterbereich sowie lokalisierte ausstrahlende Kopfschmerzen, die mit Okklusionsstörungen in Zusammenhang stehen können. Auch – gegebenenfalls wiederholte – Frakturen von Restaurationen oder Prothesen können durch okklusale Interferenzen verursacht werden; Gleiches gilt auch für Druckulzera bei schleimhautgetragenem Zahnersatz.
Die instrumentelle Okklusionsanalyse untersucht dabei speziell, wie die Unterkieferlage in zentrischer Kieferrelation, die im unmittelbaren Nahbereich der Okklusion registriert und dargestellt wurde, mit der habituellen Interkuspidation des Patienten übereinstimmt beziehungsweise harmoniert. Dabei ist von Bedeutung, inwiefern Bewegungen entlang von Zahnflächen und Zahnführungen störungsfrei verlaufen und wo genau welche Gleitkontakte bei welcher Bewegung auftreten, welche strukturbezogenen Parameter der Kau- und Führungsflächen der Zähne (Schliffmarken et cetera) mit welchen Bewegungen koinzidieren und mit welchen nicht. Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, wie die Lage der Okklusionsebene und die schädelbezügliche Ausrichtung des Oberkiefers einschließlich des Frontzahnbogens und der Schneidekantenlinie die Funktion beeinflussen.
Besondere Einsatzbereiche für die instrumentelle Okklusionsanalyse ergeben sich im Rahmen umfangreicher restaurativer und/oder prothetischer Planungen. Testbehandlungen wie der Aufbau für Führungsflächen, Steilheit von Höckerverzahnungen et cetera, einschließlich Probepräparation auf den Modellen mit diagnostischem Einschleifen oder additivem „Aufwachsen“ zerstörter Kauflächen geben wichtige Hinweise hinsichtlich Umfang, Ausrichtung und Indikation weiterer Behandlungsschritte und Lösungen. Konkret geht es darum, Interferenzen und Fehlbelastungen zu vermeiden und in einem strukturerhaltenden, präventiven Sinne für eine nachhaltig stabile Okklusion zu sorgen.
Die instrumentelle Okklusionsanalyse ist zudem die Grundlage für eine akkurate Umsetzung einer therapeutischen Position – zum Beispiel mittels einer Aufbissschiene – in die definitive Rekonstruktion mit diagnostischem oder therapeutischem Wax- und Mock-up für die Provisorienherstellung. Des Weiteren dient die instrumentelle Okklusionsanalyse als Grundlage für die Planung und Vorbereitung von kieferorthopädischen beziehungsweise kieferorthopädisch-chirurgischen Stellungskorrekturen, zum Beispiel mittels Set-up oder zur Vorbereitung einer OP-Schiene zur Dokumentation des Ausgangszustands. Mit der Möglichkeit, das Ergebnis einer Maßnahme vorauszuplanen, ist die instrumentelle Okklusionsanalyse ein entscheidendes Werkzeug für die Aufklärung und Instruktion des Patienten.
Tipp: Ganz allgemein kann heute gesagt werden, dass vor allen umfangreichen definitiven zahnärztlichen Maßnahmen, die funktionelle und ästhetische Aspekte essenziell tangieren, eine instrumentelle Okklusionsanalyse sinnvoll und in jedem Fall empfehlenswert ist.
Okklusionsdiagnostik mit digitalen Modellen
Mögen die Grundlagen und Prinzipien aus der konventionellen, analogen Welt entlehnt sein, so gibt es in der digitalen Welt einen fundamentalen Unterschied, der die Okklusionsanalyse mit digitalen Methoden auf den ersten Blick besonders komplex erscheinen lässt – andererseits bei näherer Betrachtung aber auch ungeahnte Chancen in sich birgt, die in der analogen Welt nur mit großem Aufwand realisiert werden können. Der entscheidende Punkt ist, dass es in der digitalen Welt – also im „Handling“ mit computergestützt generierten, virtuellen Modellen – keinen „Kontakt“ einer Okklusion im engeren Sinne gibt. Auf der computergrafischen, virtuellen Ebene interagieren Punktewolken oder daraus rekonstruierte Dreiecksnetze (STL-Files) mit jeweils definierter Auflösung. Die „Kollision“ einer Annährung okkludierender Flächen führt nicht zu einer echten Berührung mit mehr oder weniger klarem Abstoppen oder deutlicher Beeinflussung der Bewegungsbahn. Vielmehr durchdringen sich die Flächen auf der virtuellen Ebene ohne Schwierigkeit, was physikalisch in der Realität unmöglich ist. Auf der virtuellen Ebene ist die Frage deswegen nicht einfach zu beantworten, wann ein Kontakt tatsächlich ein Kontakt ist beziehungsweise wann von einem Kontakt gesprochen werden kann [11] (Abb. 1a und 1b).
Die Lösung besteht darin, die okklusale Annäherungsbewegung beziehungsweise die Verengung des okklusalen Spaltraums zu quantifizieren. Dabei werden die Distanzen zweier auf „Kollisionskurs“ befindlicher Objekte beziehungsweise deren Flächen farblich markiert und es wird ein Bereich definiert, in dem die okkludierende „Kollision“ stattfinden soll beziehungsweise stattfindet oder stattgefunden hat (Abb. 2a und 2b). Wie eng dieser „Kontaktbereich“ gewählt werden kann, ist nicht zuletzt von der Auflösung abhängig, mit der die betreffenden Flächen zuvor gescannt und als virtuelle Modelle generiert werden konnten. Aber auch die Auflösung der Bewegung selbst spielt eine Rolle und, sofern diese von elektronischen Messsystemen registriert wurde, wie genau die Ankopplung mit der virtuellen Welt gelungen ist. Eine Vielzahl von Effekten beeinflusst an dieser Stelle die Qualität, mit der okklusale Kontaktbeziehungen digital mit mathematischen Methoden (Algorithmen) detektiert und computergrafisch dargestellt und analysiert werden können. Es ist schwierig, einen Wert für die Genauigkeit anzugeben, mit der das möglich ist. In einer Grundlagenarbeit, in der erstmals eingescannte Modelle von Ober- und Unterkiefer in okklusaler Kollision bei individuell registrierten Bewegungsbahnen betrachtet wurden, konnten ± 50 bis 70 µm unter standardisierten Bedingungen als erster Anhalt gewonnen werden [3]. Generell ist zu erwarten, dass im Zuge der stetig sich verbessernden Technologie diese Werte eher präziser werden sollten. Bislang ist es aber nicht Standard, dass die Anbieter von virtuellen Artikulatoren die Genauigkeit angeben, mit der die Okklusion dargestellt werden kann, was aber sicherlich wünschenswert wäre [15].
Digital oder analog – Vor- und Nachteile
Was auf der einen Seite ein Nachteil mit Blick auf echte „Okklusionserfahrung“ am Modell ist, kann andererseits aber von Vorteil sein, weil fundamentale Einschränkungen, die sich mit der Darstellung der Okklusion an Gipsmodellen verbinden, nicht mehr vorhanden sind. Erfahrungsgemäß „passen“ solche Gips- oder Kunststoffmodelle, die in habitueller Okklusion beziehungsweise im Schlussbiss „gefügt“ werden, okklusal nie präzise. Die biologischen Bedingungen lassen dies grundsätzlich nicht zu, denn jede Abformung des Unterkiefers findet bei geöffnetem Mund statt, wobei sich dabei erwiesenermaßen die Unterkieferspange verbiegt, was ein präzises Fügen der Modelle im Schlussbiss in der Regel nicht mehr zulässt. Intraoralscans der Zahnreihen ändern das Problem grundsätzlich nicht – ja sie verschärfen es eher noch, weil für die Scans im distalen Bereich der Unterkiefer vergleichsweise sehr weit geöffnet werden muss, um diese Anteile korrekt zu erfassen. Als weitere biologische Effekte kommen in Okklusion unter anderem die Eigenbeweglichkeit der Zähne beim Kraftschluss sowie die Nachgiebigkeit der Kiefergelenke hinzu.
Es gilt der Grundsatz: Gipsmodelle, in habitueller Okklusion oder Schlussbiss ohne spezielles Registrat oder spezielle Vorrichtungen gefügt, passen eigentlich nie, sondern müssen passend gemacht werden – zum Beispiel durch Nachradieren in Okklusion, und das jeweils so lange, bis sich die Kontakte am Patienten auf dem Modell darstellen lassen.
Letztlich ist es immer erforderlich, die Modellokklusion mit der klinischen Okklusion zu vergleichen. Dazu dient ein Okklusionsprotokoll, aber auch zum Beispiel ein Durchbissregistrat aus Silikon, das man auf die Modellzahnreihen auflegt und bei dem man die Stellen im Registrat, die durchgebissen oder nur durch eine hauchfeine Schicht bedeckt sind, auf dem Modell durchzeichnet (Abb. 3a und 3b). Wegen dieser kaum zu kontrollierenden biologischen Effekte gibt es die Empfehlung, mindestens einen Kiefer, bevorzugt den Unterkiefer, als Sägemodell herzustellen und insbesondere die Seitenzähne einzeln mit Pins zu versehen. Durch die Darstellung der Okklusion Zahnpaar für Zahnpaar ergeben sich zusätzliche Freiheitsgrade, die die biologischen Bedingungen besser wiedergeben, als es ein komplett rigides (ungesägtes starres) Modell jemals könnte [8].
An dieser Stelle sind digitale Modelle flexibler. Gewisse Durchdringungen können gemäß einem Kollisionsbereich zugelassen werden, der im Prinzip die biologische Problematik kompensieren könnte. Ein spezielles Nacharbeiten der Okklusionsflächen durch „Radieren“ ist theoretisch dann nicht mehr nötig. Allerdings ist es schwierig, diesen Prozess klar zu kontrollieren und den Effekt der biologischen Variabilität von der Fehlangabe durch eine Fehlpositionierung des Unterkiefers zu unterscheiden. Dazu gibt es eindeutig noch Forschungsbedarf, vor allem weil digitale Modelle ja grundsätzlich biologisch optimiert werden und Verbiegungen, Verformungen sowie die Eigenbeweglichkeit der Zähne integrieren könnten – vorausgesetzt, man kennt diese Werte und kann sie sinnvoll messen und einschätzen [11].
Was unter der Bedingung von Kraftschluss erwartet werden kann, zeigen die Abbildungen 4a bis 4d. Dafür wurde der Unterkiefer während einer Art „Resilienztest nach Gerber“ abgeformt und mit der konventionellen Abformung verglichen. Der Test sah eine Zinnfolie vor, die unilateral im Prämolarenbereich platziert wurde und auf die der Proband beißen sollte (siehe Abb. 4a)
Die Bisssperrung war jeweils so groß, dass die Abformung des Kiefers mit einem individuellen Löffel, der diese Region aussparte, drucklos möglich war. Ein Differenzbild und Einzelschichten offenbarten die Unterschiede zwischen den Abformungen: 38 und 48 wurden durch den Kraftschluss deutlich nach oral positioniert (siehe Abb. 4b bis 4d).
Virtuelle Artikulatoren für die Okklusionsanalyse
Mit Bezug zur zahnärztlichen Okklusionsanalyse wurde, wie in einer kürzlich veröffentlichten Übersichtsarbeit herausgestellt wurde, der virtuelle Artikulator ehedem erstmals von Kordaß und Gärtner vorgestellt [6,12]. An der Universität Greifswald wurde die Software DentCAM in verschiedenen Versionen entwickelt. Sie enthielt bereits alle Softwaretools, die für eine Analyse benötigt werden: Ein Renderingmodul, um Modelle dreidimensionial von allen Seiten in Bewegung darstellen zu können, ein Kontaktvisualisierungmodul, bei dem okklusale Kontaktbeziehungen in Dynamik fließend über die Kauflächen gleiten konnten, und ein Schichtebenenmodul, mit dem gezielt eine Schichtebene angesteuert und Verzahnungsbeziehungen in Funktion Schicht für Schicht analysiert werden konnten. Alle Fenster zeigten die Bewegungen zeitgleich. Die Bewegung selbst wurde individuell mit dem ultraschallbasierten Messsystem JMA (Zebris) aufgezeichnet und mit den eingescannten Modellen (Scanner, Willitec) speziell „gekoppelt“ [7]. Auf diese Weise folgten die virtuellen 3-D-Modelle exakt den individuellen Bewegungsbahnen; diese waren also realdynamisch und nicht Bewegungsbahnen, die durch eine Artikulatormechanik definiert beziehungsweise simuliert wurden. Das Ziel bestand darin, die Okklusion und die Entstehung der Kontakte, also das Okkludieren, so darzustellen, wie es ist und der klinischen Situation in Statik und Dynamik entspricht. Diese Urform des virtuellen Artikulators, dessen entscheidendes Merkmal die Ankopplung realdynamischer Bewegungsbahnen beziehungsweise -muster ist, wurde stetig weiterentwickelt und steht als Produkt zur „Digitalen Dynamischen Okklusionsanalyse“ (Zebris) demnächst allgemein zur Verfügung (Abb. 5 und 6). Dazu wird ein Kopplungslöffel eingesetzt, der – ganz ähnlich einer Bissgabel bei der Gesichtsbogenübertragung – Träger von Impressionen der Oberkieferzahnreihe ist und zugleich über Referenzmarkierungen verfügt, mit denen die Position des Kopplungslöffels eingemessen wird (Abb. 7a und 7b). Das funktioniert mit den bekannten ultraschallbasierten Messsystemen (JMA, Zebris); zusätzlich zu den Ultraschallsystemen gib es demnächst auch ein Messsystem mit optischen Sensoren (optical JMA).
Davon grenzen sich Softwareentwicklungen ab, die im Grundsatz eine computergrafische Kopie mechanischer Artikulatoren sind. Für diese Systeme gibt es mechanische Vorbilder. Die Ausnahme ist der Cerec-Artikulator; ihn gibt es nur computergrafisch. Er besitzt aber die Charakeristika eines mechanischen Systems, zum Beispiel kondyläre Steuerelemente, die parametrisiert werden können, und virtuelle Hilfstools zur Modellorientierung (Abb. 8, 9a und 9b). Computergrafisch wird ein dem mechanischen System vergleichbares Bewegungsmuster erzeugt. Das hat den Vorteil, dass die mechanische und die virtuelle Welt mehr oder weniger vergleichbar sind [11].
Leider sind die virtuellen Kopien in entscheidender Hinsicht nicht so flexibel, wie die mechanischen Vorbilder, das heißt, sie lassen sich nur stark standardisiert „in Bewegung“ setzen: Vorgesehen sind eine rein lineare, protrusive Bewegungsbahn senkrecht zur Interkondylarachse aus der Zentrik und jeweils wieder zurück, sowie laterotrusive Bewegungsbahnen als kondyläre Grenzbewegungen nach rechts und links und jeweils wieder zurück. Ein okklusales Bewegungsfeld mit Zwischenschritten, zum Beispiel nach lateroprotrusiv, lässt sich nicht so einfach nachvollziehen. Die virtualisiserten Kopien der mechanischen Vorbilder sind also in ihren Möglichkeiten für die Okklusionsanalyse deutlich limitiert und weisen in dieser Hinsicht nicht deren Funktionsumfang auf. Vermutlich ist es aber eine Frage der Zeit, bis die Möglichkeiten auch für virtuelle Modelle eröffnet werden.
Merke: Zum jetzigen Zeitpunkt – so mag man mit einiger Vorsicht schlussfolgern – ersetzen die marktgängigen, virtuellen Artikulatoren mechanische Systeme nicht vollwertig. Deswegen kann man auf mechanische Artikulatoren mit Blick auf die oben genannten Aufgaben der instrumentellen Okklusionsanalyse bislang nicht ganz verzichten.
Die virtuellen Systeme eignen sich allerdings zur herausragenden Visualisierung auf der computergrafischen Ebene und übertreffen die okklusionsbezüglichen Möglichkeiten mechanischer Vorbilder in einer bestimmten Hinsicht: Es lassen sich „Einhüllende“ oder „Hüllkurven“ in Form von eingravierten und „eingefrorenen“ gelenk- und zahngeführten Grenzbewegungen berechnen, ähnlich der FGP-Technik (Functional Generated Path) – nur nicht mit speziellem Registriermaterial, sondern allein aus der Bewegungsbahn selbst berechnet. Okklusale Interferenzen werden als deutliche Durchdringungen der „Einhüllenden“ mit Höckerstrukturen sichtbar (Abb. 10) [13, 14].
Digitale Analyse des Okkludierens – oralphysiologische Aspekte
Die herausragenden Möglichkeiten der virtuellen Artikulatoren, die weit über die mechanistische Simulation hinausgehen, erschließen sich in direkter Ankopplung an elektronische Messsyteme, sofern diese nicht nur Kieferbewegungen im Allgemeinen, sondern auch die orale Physiologie mit Kau- und Sprechbewegungen, Bewegungen beim Knirschen und Pressen et cetera aufzeichnen können. Nach allem, was zur Ätiologie und Pathogenese der craniomandibulären Dysfunktion (CMD) bekannt ist, hat die Okklusion allenfalls die Bedeutung eines Kofaktors und kommt ursächlich nur im Zusammenspiel mit vielen anderen Faktoren infrage. Dabei ist nicht so sehr die Qualität der Okklusion selbst von Bedeutung, sondern die Art und Weise, wie die Okklusion eingenommen, wie sie angesteuert wird und was man mit ihr – zum Beispiel zum Stressabbau – „anstellt“. Es ist also das Bewegungsverhalten, das Okkludieren, das die eigentliche pathologische Wirksamkeit entfaltet. Die Okklusion kann dabei allerdings biomechanisch mehr oder weniger gut optimiert sein und das physiologische Okkludieren gut oder weniger gut unterstützen. Deswegen ist es von Interesse, die Zusammenhänge von Okklusion und Okkludieren aufzudecken, was eine spezifische Aufgabe der virtuellen Artikulatoren wäre und weit über die Okklusionsanalyse mit konventionellen, mechanischen Systemen hinausgeht.
Es gibt Vorschläge, wie ein solches Okkludieren, zum Beispiel bei Kaufunktion analysiert werden kann. Beispielsweise lässt sich die Häufigkeit, mit der Kauflächen oder einzelne Regionen der Kaufläche bei der Annäherung in der okklusalen Phase der Kaubewegung statistisch erfassen und als eine „Karte“ okklusaler Kontaktareale in der Häufigkeit der funktionellen Beanspruchung darstellen (Abb. 11a und 11b). Areale, die bei Kautätigkeit mehr als andere „adressiert“ werden, sollten klinisch besonders beobachtet, analysiert und gegebenenfalls doch funktionell optimiert werden, zum Beispiel durch selektives Einschleifen [14, 15].
Interessant ist auch die Ankopplung an myografische Messungen der Kaumuskelaktivität, speziell der Mm. masseter oder Mm. temporales. Mit Blick auf die okklusale Annäherungsbewegung bei Kautätigkeit lassen sich so diejenigen Areale detektieren, die bei Überschreiten eines definierten Schwellenwerts an Muskelaktivität speziell adressiert werden, wobei okklusale Areale, die mit starker oder weniger starker Aktivität assoziiert sind, farblich besonders markiert werden können (Abb. 12a und 12b) [5].
Darüber hinausgehend wird es in Zukunft auch interessant sein, nicht nur Kontaktareale, sondern auch Bewegungsbahnen als „Einhüllende“ diagnostisch zu nutzen. Bei Kautätigkeit lassen sich solche „Einhüllenden“ in den okklusalen Phasen des Kauens berechnen und mit der Kaumuskelaktivität assoziieren. Als Regionen besonderer Aufmerksamkeit und Beobachtung können diejenigen Kauflächen oder Teilstrukturen von Kauflächen gelten, bei denen sich eine starke Annäherung mit starker Muskelaktivität verbindet, weil dort okklusale Strukturen besonders stark beansprucht sein könnten (Abb. 13). Es kann erwartet werden, dass, sofern dort zahnärztliche Restaurationen eingesetzt wurden, eine höhere Fraktur- oder Chippinganfälligkeit bestehen könnte. Allerdings sind das zukünftige Forschungsfelder für den Einsatz der digitalen Okklusionsanalyse.
Ausblick: digitaler Patient
Mit Blick auf die genannten Aufgaben, die der instrumentellen Okklusionsanalyse zukommen, sind – eine adäquate Indikation vorausgesetzt – Aspekte von Schädel- und Gesichtsproportionen zum Beispiel bei der Anlage und Ausrichtung einer biomechanisch optimierten Okklusionsebene, das Betätigungsfeld für digitale Systeme, wie den Facescan oder die Digitale Volumentomografie (DVT). Damit ergeben sich herausragende Möglichkeiten in ästhetischer und funktioneller Hinsicht. Ein Beispiel für eine solche Softwareentwicklung ist Sicat Function (Sicat). Diese Software fusioniert DVT-Abbildungen mit elektronischen Aufzeichnungen der Unterkieferfunktion [10]. Angestrebt werden neben der optimierten Implantatplanung therapeutische Aufbissbehelfe oder Zahnersatz in kiefergelenkoptimierter Kieferrelation (Abb. 14). Ähnliche Entwicklungen gibt es von orangedental, Planmeca oder Zirkonzahn. All diese Komponenten, einschließlich der Optionen für den Facescan, zielen auf den digitalen Patienten, der in Vollständigkeit und Visualisierung zukünftig in nichts mehr zurückstehen und der ganz sicher die mechanischen Systeme ablösen wird.
Literaturverzeichnis unter www.teamwork-media.de/literatur
Produkt/Indikation | Produkt-/Projektname | Firma |
Software (virtueller Artikulator) | DentCAM | Universität Greifswald |
Messsystem (ultraschallbasiert) Messsystem (optisch) | JMA JMA optical | Zebris Zebris |
Datenerfassung (Modelle) | Scanner | Willitec |
Software zur Okklusionsanalyse | Digitale Dynamische Okklusionsanalyse | Zebris |
Software Funktionsdiagnosik | Sicat Function | Sicat |
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Instrumentelle Okklusionsanalyse digital und analog
CAD/CAM, digitale Zahnmedizin, instrumentelle Okklusionsanalyse, Okklusion, virtueller Artikulator
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