Fachbericht

Endodontie

16.11.21

Chancen und ­Limitationen

Thermoplastische Obturation mit biokeramischen Sealern

biokeramische Sealer, Einstifttechnik, thermoplastische ­Obturation, Total Fill BC Sealer

Dr. David Donnermeyer

01 – Schematische Darstellung der Wurzelkanalfüllung nach thermoplastischer Obturation

Biokeramische Sealer finden immer häufiger Anwendung in der Endodontie. Aufgrund ihrer chemischen und biologischen Eigenschaften stellen sie ­eigene Anforderungen an die Technik bei der Wurzelkanalfüllung. Entwickelt wurden biokeramische Sealer für die kalte Obturation mit der Einstifttechnik. Zuletzt wurden aber auch biokeramische Sealer für die thermoplastische Obturation vorgestellt. Dies bietet neue Optionen für die Anwendung, doch sind bestimmte Einschränkungen im Vergleich zu anderen Sealern zu beachten.

Fragen zur Anwendung in der Praxis
Worin sehen Sie die größte Herausforderung bei der Anwendung biokeramischer Sealer?

Dr. David Donnermeyer: Biokeramische Sealer haben viele Eigenschaften, die wir von bisherigen Wurzelkanalsealern so nicht kannten. Dazu gehören in erster Linie die hervorragende Biokompatibilität und die antibakterielle Wirkung. Doch wirklich ausspielen können biokeramische Sealer ihre Überlegenheit nur, wenn sie auch richtig angewendet werden. Wie bei jedem neuen Produkt muss man sich vorher intensiv mit den Inhaltsstoffen und der „Chemie“ auseinandersetzen. Dann steht dem Erfolg nichts mehr im Weg. So sollte man bei biokeramischen Sealern zum Beispiel auf stark austrocknende Spüllösungen wie Ethanol direkt vor der Wurzelkanalfüllung verzichten, da ein zu trockenes Dentin die Haftkraft biokeramischer Sealer herabsetzen kann.

Biokeramische oder hydraulische kalziumsilikatbasierte Wurzelkanalsealer sind mittlerweile in der Zahnmedizin etabliert. Seit 2007 das erste kommerziell erhältliche Produkt iRoot SP (Innova­tive BioCeramix) für den nordamerikanischen Markt vorgestellt wurde, sind viele weitere biokeramische Sealer entwickelt worden [1]. Chemisch sind diese bio­keramischen Sealer als Weiterentwicklung der MTA-Zemente zu sehen. Wie alle kalziumsilikatbasierten Materialien haben MTA-Zemente und biokeramische Sealer hervorragende biologische Eigenschaften wie eine ausgeprägte Biokompatibilität, eine Bioaktivität und eine gute antimikrobielle Wirkung [1]. Begründet sind diese Eigenschaften in der Abbindereaktion kalziumsilikatbasierter Materialien. Di- oder Tri-Kalziumsilikat wird bei Zutritt von Wasser hydratisiert. Dabei kommt es zur Freisetzung von Kalziumhydroxid, das für die antimikrobiellen Eigenschaften von biokeramischen Materialien verantwortlich ist. Außerdem können durch Kontakt mit dem parodontalen Gewebe Wachstumsfaktoren freigesetzt werden, worin die bioaktive Eigenschaft der biokeramischen Materialien begründet ist. In einer weiteren Reaktion kann Kalziumhydroxid mit Kalziumdihydrogenphosphat unlöslichen Kalziumphosphat-Apatit bilden [2]. Die Apatit-Struktur wiederum wird von Körperzellen nicht als körperfremd wahrgenommen und resultiert in der Biokompatibilität kalziumsilikatbasierter Materialien.
Biokeramische Sealer lassen sich anhand ihrer Darreichungsform in zwei Kategorien einteilen.
Einphasige Materialen wie Total Fill BC Sealer (identisch mit iRoot SP, FKG Dentaire) werden direkt in den Wurzelkanal eingebracht. Im Anschluss erfolgt durch den Zutritt von Wasser aus dem Dentin oder dem periapikalen Gewebe die Härtungsreaktion.
Im Gegensatz dazu werden zweiphasige Sealer wie BioRoot RCS (Septodont) vor dem Einbringen in den Wurzelkanal aus Pulver und wässriger Flüssigkeit angemischt und erhärten nach der Wurzelkanalfüllung ohne den Zutritt weiterer Flüssigkeit [1].
Beide Sealergruppen wurden für kalte Wurzelkanalfülltechniken entwickelt. Kürzlich wurde eine Weiterentwicklung der einphasigen Sealer speziell für die thermoplastische Obturation, Total Fill BC Sealer HiFlow (FKG Dentaire), vorgestellt [3]. Anhand erster Studienergebnisse kann davon ausgegangen werden, dass die thermoplastische Obturation mit diesem Sealer klinisch möglich ist [4]. Doch dies gilt mittlerweile auch für andere biokeramische Sealer [4,5]. Limitationen für den Einsatz sind vor allem in Bezug auf die Darreichungsform zu finden [4].

Thermoplastische Obturation – Gefahr für den Sealer?
Die Wärmeeinwirkung auf die Füll­materialien stellt möglicherweise eine Gefahr für die chemische Struktur und die physikalischen Eigenschaften insbesondere eines Wurzelkanalsealers dar [6]. Die mögliche Zerstörung der Molekülstruktur wurde zuerst für den Sealer AH Plus (Dentsply Sirona) intensiv diskutiert [6,7]. Dabei war zunächst unklar, welchen Temperaturen Sealer während der warmen Obturation überhaut ausgesetzt werden [8]. Da gezeigt werden konnte, dass die einwirkenden Temperaturen unter den eingebrachten Temperaturen liegen [8], ist davon auszugehen, dass sowohl Epoxidharz-Sealer als auch Zinkoxid-Eugenol-Sealer für die thermoplastische Obturation geeignet sind [9]. Auf Basis dieser Ergebnisse wurde auch die Eignung verschiedener biokeramischer Sealer überprüft. Neben dem für die warm-vertikale Obturation entwickelten Total BC Sealer HiFlow konnte auch für Total Fill BC Sealer eine Eignung für warme Fülltechniken gezeigt werden [4,5,10]. Auf Basis dieser Ergebnisse ist davon auszugehen, dass einphasige biokeramische Sealer im Allgemeinen für die thermoplastische Technik geeignet sind [11]. Dahingehend besteht die Gefahr, dass zweiphasige biokeramische Sealer durch die Wärme verfrüht abbinden und ein Ausfließen des Wurzelkanalsystems nicht mehr möglich ist [4]. Teilweise wurden auch irreversible Veränderungen der chemischen Struktur von BioRoot RCS beobachtet [12]. Zweiphasige biokeramische Sealer sollten daher nur mit kalten Techniken verwendet werden [13]. Der Grund ist vermutlich im Zeitpunkt des für die Abbindereaktion zutretenden Wassers zu sehen. Während zweiphasige Materialien vor dem Einbringen in den Wurzelkanal angemischt werden, nehmen einphasige Sealer das Wasser aus dem Dentin und dem Gewebe erst nach der Wurzelkanalfüllung auf. Die Reaktion kann also bei einphasigen Sealern nicht verfrüht ablaufen und ihre Struktur scheint gegenüber Hitze resistent zu sein [4,13].
Neben der grundsätzlichen Eignung einphasiger biokeramischer Wurzelkanal­sealer für thermoplastische Obturationstechniken, besteht die Notwendigkeit einer genaueren Betrachtung, welche Chancen sich durch die Kombination ergeben, aber auch welche Fallstricke gegebenenfalls zu vermeiden sind.

Chancen durch den Einsatz ­biokeramischer Sealer
Der größte Vorteil bei der Verwendung biokeramischer Sealer ist bei der Anwendung thermoplastischer Fülltechniken in Bezug auf die Biokompatibilität auszumachen. Die Gefahr eines Überpressens von Sealer in die periapikalen Gewebe ist eine häufig nicht zu vermeidende Nebenerscheinung bei der thermoplastischen Obturation [14]. Die Verträglichkeit des Materials mit diesen Geweben spielt eine wichtige Rolle beim Auftreten postoperativer Beschwerden sowie bei der Heilung einer apikalen Pathologie. Auch das Auftreten einer apikalen Pathologie in Form einer Fremdkörperreaktion sollte beim Überpressen von Sealern vermieden werden. Da einige, bisher für warm-vertikale Obturationen verwendete Sealer wie Zinkoxid-Eugenol-Sealer eine zytotoxische Wirkung besitzen und eine Fremdkörperreaktion induzieren könnten [15, 16], scheint die Verwendung biokeramischer Materialien aufgrund der hervorragenden Biokompatibilität hier vorteilhaft zu sein [17]. Ob biokeramische Materialien, die eine Interaktion mit den periapikalen Geweben eingehen, inerten Materialien wie additionsvernetzenden Epoxidharz-Sealern überlegen sind, ist aber bisher ungeklärt. Es besteht zum Beispiel bei postoperativen Beschwerden kein Unterschied zwischen biokeramischen Sealern und AH Plus [18]. In jedem Fall sollte die Überpressung von allen Sealern in den Knochenkanal des Nervus alveolaris inferior aufgrund von Schäden durch eine Kompression vermieden werden. Auch das Einpressen von Wurzelkanalsealer in schwer erreichbare Bereiche des Wurzelkanalsystems könnte ein Argument für die Verwendung biokeramischer Sealer mit warmer Kompaktion sein. Der antibakteriell wirkende Sealer könnte in den schwer zu erreichenden Bereichen die Desinfektion unterstützen. Voraussetzung dafür ist aber, dass ein ausreichender Sealeranteil in der Wurzelkanalfüllung verbleibt.

Limitationen für den Einsatz ­biokeramischer Sealer
Wie bereits zuvor beschrieben, sind nur einphasige biokeramische Sealer für den Einsatz mit der warm-vertikalen Obturation geeignet. Da bei zweiphasigen Produkten durch die beschleunigte Abbindereaktion der Einsatz von Wärme nicht zu empfehlen ist, können diese auch mit Techniken zur warm-vertikalen Kompaktion wie der Schilder-Technik oder der Continuous-Wave-Technik nicht verwendet werden [4]. Bei trägerbasierter warmer Obturation werden vergleichsweise geringe Temperaturen erreicht [8]. Ob die trägerbasierte warme Obturation in Kombination mit zweiphasigen biokeramischen Sealern möglich ist, muss wissenschaftlich aber noch untersucht werden.
Neben der grundsätzlichen Eignung biokeramischer Sealer für warme Wurzelkanalfülltechniken muss die Indikation zum Einsatz kritisch geprüft werden. Diese Prüfung basiert auf den allgemeinen Eigenschaften der biokeramischen Sealer – neben der guten Biokompatibilität und Bioaktivität–, nämlich der antibakteriellen Wirkung und der Abdichtung des Wurzelkanalsystems. Die antimikrobielle Wirkung basiert auf der Freisetzung von Kalziumhydroxid während der Härtung. Dabei erstreckt sich die Abbindereaktion von kalziumsilikatbasierten Materialien über mehrere Wochen [19]. Die langfristige Freisetzung von Kalziumhydroxid erhöht den pH-Wert in der Umgebung dieser Materialien und wirkt damit anti­mikrobiell [1,20]. Dabei korreliert das Ausmaß der pH-Wert-Verschiebung mit der Menge des eingebrachten Materials. Da gerade bei der thermoplastischen Wurzelkanalfüllung das Ziel verfolgt wird, den Sealeranteil innerhalb der Wurzelkanalfüllung zur reduzieren und den Anteil des Kernmaterials zu erhöhen, könnte dies gegenläufig zur antibakteriellen Wirkung biokeramischer Sealer sein. Die Abdichtung des Wurzelkanalsystems erscheint durch thermoplastische Wurzelkanalfüllungen nicht relevant verbessert zu werden. Die Eindringtiefe von Wurzelkanalsealern in die Dentintubuli ist auch mit thermoplastischen Fülltechniken nur in einem Bereich von deutlich unter 100 µm zu erreichen [21]. Der Vorteil des Drucks auf die Füllung während einer thermoplastischen Obturation liegt demnach vielmehr in der Obturation von Isthmen und schwer erreichbaren Anteilen des Wurzelkanalsystems. Hier könnte, wie zuvor beschrieben, die antibakterielle Wirkung biokeramischer Sealer vorteilhaft sein, da diese Bereiche gegebenenfalls auch für die Desinfektion schwer zu erreichen sind.

Fazit
Die thermoplastische Obturation des Wurzelkanalsystems ist mit einphasigen biokeramischen Sealern möglich. Dabei ist eine gute Abdichtung des Wurzelkanalsystems – ähnlich wie mit anderen Sealern – zu erwarten. Gerade in komplexen Wurzelkanalsystemen besteht mit der thermoplastischen Fülltechnik (Abb. 1 bis 6) die Möglichkeit, den Sealer tiefer in Einziehungen oder Seitenkanäle zu pressen als mit der Einstifttechnik (Abb. 7 bis 12).
In einfacheren Kanalsystemen hingegen sollte darauf geachtet werden, den Sealeranteil innerhalb der Wurzelkanalfüllung durch den Stopfdruck nicht zu stark zu verringern, um die mit den biokeramischen Sealern verbundenen biologischen Eigenschaften ausnutzen zu können. Einfache Kanalsysteme können auch ebenso gut mit kalten Fülltechniken obturiert werden [22]. Zweiphasige biokeramische Sealer sollten nicht in Verbindung mit warmen Wurzelkanalfülltechniken verwendet werden [12].

ProduktProduktnameFirma
Wurzelkanalfüllung nach
thermoplastischer Obturation
Biokeramischer Sealer
Heat-Carrier
Plugger
Backfill/thermoplast. Guttapercha
Total Fill BC Sealer HiFlow
BeeFill, 40/.03
Machtou-Plugger Gr. 1
Bee Fill
FKG Dentaire / ADS
VDW
VDW
VDW
Wurzelkanalfüllung mit Einstifttechnik
Biokeramischer SealerTotal Fill BC SealerFKG Dentaire / ADS

twm Veranstaltungen

Fortbildung

Curriculum Funktionsdiagnostik

Stabile, reproduzierbare Okklusion und gelungene Ästhetik


tw Newsletter

Service

Immer auf dem neuesten Stand

Mit unserem teamwork-Newsletter bleiben Sie immer auf dem Laufenden, mit aktuellen Entwicklungen und Nachrichten aus der Branche.


tw Abonnement

Service

Exklusive Inhalte

Als Abonnent erhalten Sie die aktuelle Ausgabe regelmäßig frei Haus geliefert und bekommen zusätzlich Zugriff auf exklusive Inhalte. Sie finden alle Abo-Angebote im Online-Shop unseres Mutterunternehmens Mediengruppe Oberfranken.


twm Bookshop

Bookshop

Fachbücher bestellen

Sie finden unser gesamtes Angebot an Fachbüchern im Online-Shop unseres Mutterunternehmens Mediengruppe Oberfranken im Bereich „Dental“ unter shop.mgo-fachverlage.de.


Anzeige

Fachbericht

Endodontie

16.11.21

Chancen und ­Limitationen

Thermoplastische Obturation mit biokeramischen Sealern

biokeramische Sealer, Einstifttechnik, thermoplastische ­Obturation, Total Fill BC Sealer

Dr. David Donnermeyer

01 – Schematische Darstellung der Wurzelkanalfüllung nach thermoplastischer Obturation

Weitere Beiträge zum Thema

Fachbericht

Endodontie

30.08.22

Zahnerhalt nach endodontischer Therapie

Der Erhalt vorgeschädigter Zähne erfordert oftmals endodontische Maßnahmen. Ein mikrobiell besiedeltes Pulpagewebe ist häufig Ausgangspunkt des Problems. Von dort – …

Fachbericht

Endodontie

05.01.22

Weitlumige ­Kanalsysteme – Ursachen und Therapieoptionen

Der vorliegende Artikel behandelt Prävalenz, Ursachen und ­Therapieoptionen bei weitlumigen Kanalsystemen. Dabei soll besonders auf Probleme und Lösungsmöglichkeiten bei der …

twm Veranstaltungen

Fortbildung

Curriculum Funktionsdiagnostik

Stabile, reproduzierbare Okklusion und gelungene Ästhetik


tw Newsletter

Service

Immer auf dem neuesten Stand

Mit unserem teamwork-Newsletter bleiben Sie immer auf dem Laufenden, mit aktuellen Entwicklungen und Nachrichten aus der Branche.


tw Abonnement

Service

Exklusive Inhalte

Als Abonnent erhalten Sie die aktuelle Ausgabe regelmäßig frei Haus geliefert und bekommen zusätzlich Zugriff auf exklusive Inhalte. Sie finden alle Abo-Angebote im Online-Shop unseres Mutterunternehmens Mediengruppe Oberfranken.


twm Bookshop

Bookshop

Fachbücher bestellen

Sie finden unser gesamtes Angebot an Fachbüchern im Online-Shop unseres Mutterunternehmens Mediengruppe Oberfranken im Bereich „Dental“ unter shop.mgo-fachverlage.de.


Anzeige