Interview

Labside & Prothetik

23.02.22

Die Fehlerquote sinkt dramatisch

Prozessstandards und Schnittstellenmanagement im prothetischen Behandlungsteam

Behandlungsteam, Prozesssicherheit, Qualitätsstandards, Schnittstellenmanagement

Natascha Brand

Ztm. Hans-Jürgen Stecher

Die Anforderungen an das prothetische Team Zahnarzt und Zahntechniker wachsen stetig. Für eine nachvollziehbare Ergebnisqualität braucht es abgestimmte Prozesse und Standards zwischen Praxis und Labor. Ztm. Hans-Jürgen Stecher erklärt, wie das gelingt.

Herr Stecher, eine prothetische Versorgung wird in der Regel patienten­individuell geplant und umgesetzt. Damit dies im Zusammenspiel zwischen Praxis und Labor gelingt, braucht es Standards im prothetischen Behandlungsteam, die über die gesamte Therapiephase laufen. Warum und wo in der Zusammenarbeit sollten diese Standards implementiert werden?
Im Zentrum des komplexen und variablen Therapieprozesses steht der Patient mit seinen Wünschen und Erwartungen. Werden diese enttäuscht – und sei es nur durch Nachbesserungen an der Restauration, die in der Wahrnehmung des Patienten als nachträgliches „Herumdoktern“ empfunden werden –, bedeutet das oftmals Vertrauensverlust für das gesamte Behandlungsteam. Um dies zu verhindern, braucht es standardisierte Prozesse in der Praxis und im Labor sowie ein gut abgestimmtes Schnittstellen­management. Unabhängig davon, ob das prothetische Team im analogen oder im digitalen Workflow zusammenarbeitet – die Schnittstellen bleiben immer die gleichen. Ich zitiere dazu gerne Prof. Reinhard Marxkors, der – bezogen auf eine analog gefertigte Krone – errechnet hat, dass mindestens 60 klinische Behandlungsschritte notwendig sind, um zu einer guten Ergebnisqualität zu gelangen. Je komplexer und variabler die Prozesse sind, umso wichtiger ist deren Standardisierung. Für den Erfolg, also für eine gleichbleibende und nachhaltige Ergebnisqualität der prothetischen Versorgung, ist es entscheidend, sowohl die einzelnen Prozesse als auch die Schnittstellen zu zentrieren und von Störgrößen zu befreien. Oft blickt man auf eine diffuse Situation, ohne dass man eine Lösung findet. Deshalb sind Standardisierungen so wichtig, denn nur im standardisierten Prozess kann eine zielgerichtete Fehleranalyse durchgeführt werden. Neben dem Vertrauensverlust beim Patienten offenbart die betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise, wieviel Zeit mit Nachbesserungen verloren geht.

Können Sie das in Zahlen verdeutlichen?
Ja! Muss eine Krone wiederholt werden, bedarf es der Anfertigung von vier neuen Kronen, um diesen Verlust auszugleichen. Für eine Zahnarztpraxis mit einem durchschnittlichen Praxisstundensatz (laut KZBV-Jahrbuch 2018) von 174 bis 286 Euro bedeutet das: Bringt der Zahnarzt eine Stunde am Tag mit Nachjustierungen aufgrund fehlender Standardisierung und mangelnder Abstimmung an den Schnittstellen zu, dann kostet das in der Woche rund 1430 Euro, im Monat sind das 5720 Euro und im Jahr kommen knapp 69 000 Euro zusammen. Anders betrachtet: Hochgerechnet auf eine Lebensarbeitszeit von 35 Jahren bedeutet das, dass ein Zahnarzt rund drei Jahre seines Berufslebens mit „Nachjustieren“ beschäftigt ist. Diese Zahlen sprechen klar für ein Schnittstellen- und Prozessmanagement.

Betrachten wir zunächst die Schnittstellen im prothetischen Team Zahnarzt/Zahntechniker. Welche sind das?
Die erste Schnittstelle ist die Auftragserfassung. Da diese im Grunde einer Verordnung gleichkommt, sollten dort alle wichtigen Informationen, am besten in Form einer Checkliste, vorhanden sein – unabhängig davon, ob es sich um einen analogen Auftragszettel in Papierform oder eine digitale Auftragserfassung handelt. Dort hinein gehören alle patientenspezifischen Informationen wie Name, Versichertenstatus, Art der Restauration, zu verwendende Materialien, klinische und funktionelle Befunde, Okklusionsprotokolle sowie die Erwartung des Patienten im Hinblick auf Ästhetik. Wichtig sind auch Informationen zur Abformung und zu mitgelieferten Komponenten. Zudem sollten Angaben zur Zahnfarbe beziehungsweise Farbnahme und Terminplanung enthalten sein.
Die zweite Schnittstelle ist die Gerüsteinprobe. Dabei werden wichtige Passungsparameter überprüft und Informationen darüber gesammelt, ob die Unterlagen – im digitalen Wordflow die Scandaten –, auf Basis derer das Gerüst gefertigt wurde, auch der Situation im Mund entspricht. Dort erhält das prothetische Team Antworten auf die Fragen: Gibt es Spannungen im Gerüst, ist ein Fitchecking durchgeführt worden, stimmen die Approximal- und Okklusionskontakte – und wurden diese mit Matrizenband, Zahnseide oder Shim­stockfolie überprüft? All diese Details geben dem Zahntechniker Hinweise, in welcher Dimension eventuell nachgebessert werden muss. Leider werden die Exkursionsbewegungen oft nicht überprüft und führen dann im Nachhinein zu Chipping. Hinzu kommen weitere wichtige Parameter, die anhand einer Checkliste chronologisch abgearbeitet werden können.
Danach folgt als dritte Schnittstelle die Rohbrandeinprobe im ästhetischen Bereich. Im Praxisalltag herrscht gerade hier oft Ratlosigkeit – sofern der Zahntechniker überhaupt vor Ort dabei ist. Zwar lässt sich Ästhetik, die ja immer patientenindividuell zu betrachten ist, nicht standardisieren, dennoch können spezifische Zahnmerkmale anhand einer Checkliste erfasst und analysiert werden. Das geht von der fazialen über die dento­labiale und phonetische bis hin zur dentalen Analyse, bei der jeder einzelne Zahn im Fokus steht. Die Checkliste zur Ästhetikeinprobe ist so strukturiert und standardisiert, dass man nach dem Abarbeiten der Punkte feststellen kann, wo es noch einer Korrektur bedarf, damit die gewünschte ästhetische Wirkung und Funktion erzielt werden kann.

Am Ende der prothetischen Prozesskette steht die Befestigung. Welche Standards empfehlen Sie für ein solides Befestiungsprotokoll?
Ein wichtiger Punkt ist die Dokumentation der verwendeten Materialien, beispielsweise Zirkonoxid, Glaskeramik oder Metall, damit das entsprechende Befestigungsprotokoll in der Praxis vorbereitet werden kann. Auch sollte dokumentiert sein, ob die Vorbehandlung und die Konditionierung der Oberfläche entsprechend der Materialanforderung bereits im Labor stattgefunden haben. Wenn ja, sollte dies dokumentiert sein, zum Beispiel wie und wie lange die Glaskeramik geätzt wurde. Eventuell können noch Befestigungsempfehlungen gegeben werden. Diese Infos werden der Praxis vom Labor als Dokument der fertiggestellten Arbeit beigefügt.

Bei all den Standards – Hand aufs Herz –, ist es doch eher die Ausnahme, dass eine Restauration ohne kleinere Schleifkorrekturen passt…
Wir konnten dank der Standardisierung der Schnittstellen eine Erfolgsquote von circa 90 Prozent erzeugen. Dieser Wert bezieht sich jedoch hauptsächlich auf das konventionelle Prozedere, das wir über viele Jahre mit unseren Kunden optimiert und die Prozesse aufeinander abgestimmt haben. Der digitale Workflow allein produziert kein Ergebnis auf Knopfdruck, sondern hat seine ganz eigenen Anforderungen. Und auch dort ist es wichtig, sowohl die Schnittstellen als auch die einzelnen Prozesse in der Praxis und im Labor zu standardisieren. Begebe ich mich auf die Fehlersuche nach einem Misserfolg, unabhängig davon, ob im analogen oder im digitalen Prozess, kann ich ihn nur in einem standardisierten Prozess finden.

Unterscheidet sich die Standardisierung im digitalen Prozess von der im analogen Prozess?
Wenn wir über die Standardisierung der Prozesse sprechen – ja! Wir müssen jedoch an der Stelle differenzieren: Prozessstandardisierung sollte sowohl im zahntechnischen als auch im zahnärztlichen Bereich stattfinden. Die Zentrierung der Prozesse, also das, was wir dann Schnittstellenmanagement nennen, ist eine gemeinsame Aufgabenstellung. Zielsetzung ist der zufriedene Patient. Sind auf dem Weg dahin weder die Prozesse noch die Schnittstellen abgestimmt, muss man im Labor und in der Praxis sowie an den Schnittstellen mit Störgrößen rechnen. Es gilt also, den gesamten Therapieprozess zu strukturieren und zu standardisieren. Dazu müssen zunächst die einzelnen Prozesse – in der Praxis und im Labor – standardisiert werden. Erst danach werden die Schnittstellen abgestimmt beziehungsweise standardisiert. Letzeres ist eine gemeinsame Aufgabe im Behandlungsteam.

Ist die Digitalisierung letztendlich der Gamechanger in der Zusammenarbeit zwischen Praxis und Labor?
Nicht die Digitalisierung ist der Gamechanger, sondern die sich ändernden Rahmenbedingungen spielen eine wesentliche Rolle. Das Berufsbild des Zahntechnikers hat sich mit der Digitalisierung signifikant geändert. Zwar schwingt im Hintergrund nach wie vor der „analoge“ Kompetenzbereich mit, aber zukünftig wird es für den Zahntechniker eher um die Fragen gehen, welchem Fertigungsprozess beziehungsweise welcher Fertigungstechnologie die geplante Restauration zugeführt werden soll – steht diese im Labor zur Verfügung oder müssen externe Technologien beziehungsweise Dienstleister, zum Beispiel ein Fräszentrum, in Anspruch genommen werden. Daraus ergibt sich eine zusätzliche Aufgabenstellung bei der Standardisierung der dititalen Prozesse. Zum anderen erfordern die Vielzahl und die ständige Zunahme unterschiedlicher Materialen, die nur digital gestützt verarbeitet werden können, umfangreiches Wissen und Know-how. Hier entwickelt sich ein neuer Beratungs- und Organisationsbereich auf Seiten des Labors und des Zahntechnikers. Dieser muss sich umfangreiches Wissen aneignen, welches digitale Verarbeitungspotenzial wo und für welchen Prozessschritt zur Verfügung steht, also wo man beispielsweise einen gefrästen Titansteg oder ein lasersintergefertigtes Gerüst in Auftrag geben kann. Auch im Hinblick auf das Datenmanagement wird sich der Kompetenzbereich des Zahntechnikers und des Labors erweitern. Hier geht es unter anderem um Software-Lösungen, zum Beispiel, wie Daten aus der Praxis empfangen und weiterverabeitet werden können. Hinzu kommt, dass mit der neuen Approbationsordnung kaum noch zahntechnische Grundlagen in der studentischen Ausbildung vermittelt werden. All dies hat zur Folge, dass sich der Zahntechniker mehr zum Prozessmanager entwickeln wird und er aktuelles Know-how über Materialien und Technologien in den Prozess einbringen muss.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.

Vita
Ztm. Hans-Jürgen Stecher schloss seine Meisterprüfung 1993 in München mit besonderer Auszeichnung als Jahrgangsbester ab. Sein Labor in Wiedergeltingen betreibt er seit 1994. Er zertifizierte sich 2009 für den Tätigkeitsschwerpunkt DGI „Implantatprothetik und Zahntechnik“. Seit 2010 ist er Fachgruppenleiter der Meisterschule für Zahntechniker in München. Als Referent fokussiert er implantatgetragenen, CAD/CAM-gestützt gefertigten Zahnersatz.

Checklisten zur Standardisierung für das Dentallabor (Quelle: 3M)
Cementation Guide: https://multimedia.3m.com/mws/media/1933893O/success-simplified-lab-cementation-guide-editable-we.pdf
Incoming Lab Order: https://multimedia.3m.com/mws/media/1908428O/3m-success-simplified-powered-by-3m-incoming-lab-order-checklist-int.pdf

Checklisten zur Standardisierung für die Zahnarztpraxis (Quelle: 3M)
Order Form: https://multimedia.3m.com/mws/media/1844386O/3m-success-simplified-lab-order-form-powered-by-3m-int.pdf
Try-in fixed restorations: https://multimedia.3m.com/mws/media/1908430O/3m-success-simplified-powered-by-3m-try-in-fixed-restorations-int.pdf
Basic Esthetic: https://multimedia.3m.com/mws/media/1908426O/3m-success-simplified-powered-by-3m-basic-esthetics-checklist-int.pdf

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