Fachbericht

Labside & Prothetik

07.12.23

Digital von der Bohrschablone bis zur definitiven Versorgung

Sofortimplantation mit Sofortversorgung im kompromittierten Oberkiefer

Behnadlungsformen, Bohrschablone, digitaler Workflow, DVT, Sofortimplantation, Totalprothese

Dr. Alexander Volkmann, Ztm. Sebastian Schuldes MSc

Implantatprothetische teleskopierende Full-Arch-Versorgungen zählen zu den komplexen Behandlungsformen und erfordern das Zusammenspiel erfahrener Spezialisten [1]. Dies umso mehr, als der Patient an einem Malignom erkrankt war und zwingend mit einer Therapie beginnen musste. Das wiederum bedingte eine umgehende Rehabilitation seines insuffizienten Zahnstatus im Oberkiefer mit einer Full-Arch Versorgung auf einem verlässlichen Implantatsystem.

Eine systemische Tumortherapie stellt per se keine zwingende Kontraindikation für eine erfolgreiche Sofortbelastung von Sofortimplantaten dar. Jedoch muss ein Behandler vor Beginn der Implantattherapie mit einer gründlichen Untersuchung abklären, ob potenzielle oder vorhandene intraorale Entzündungs- oder Schmerzquellen vorliegen, die den erwünschten Verlauf der onkologischen Therapie beeinträchtigen könnten [7]. Für den implantatprothetischen Erfolg ist wiederum ein exaktes Erfassen der maßgeblichen hart- und weichgeweblichen Strukturen mittels einer DVT-Aufnahme und einem Intraoralscan entscheidend. Gematcht bilden beide die Grundlage für die virtuelle Konstruktion einer Bohrschablone und damit einer navigationsgestützten Implantation. Kann beim Setzen der Implantate eine ausreichende Primärstabilität von mindestens 25 Ncm erreicht werden, haben sofortversorgte Implantate entsprechend geeigneter Systeme eine ähnlich hohe Überlebensrate wie unbelastet einheilende Implantate [2, 6].

Kasuistik
Der Patient, ein stark engagierter Geschäftsmann mit längerer Zahnarztkarenz, suchte erst wenige Tage vor seiner Einweisung ins Krankenhaus die Praxis des Autors auf mit dem Wunsch, den ästhetisch und funktionell desolaten Zustand seiner Oberkieferbezahnung möglichst an einem Tag sanieren zu lassen. Anhand der klinischen und radiologischen Aufnahmen wurden ihm seine Zähne als nicht erhaltungsfähig dargelegt. Eine Totalprothese, auch übergangsweise, lehnte er kategorisch ab. Sein Wunsch war vielmehr eine festsitzende implantatprothetische Versorgung. Dies jedoch hätte komplexe Augmentationen und ausreichend Zeit für die stabile Einheilung erfordert. Nach einem ausführlichen und offenen Beratungsgespräch stimmte der Patient einem Vollversorgungs-Set-up in Form einer herausnehmbaren, gaumenfreien Konusprothese zu. Mit einer Primärstruktur aus Keramik und einer Sekundärstruktur aus Feingold – auf sechs Implantaten mit provisorischer „Krankenhaus“-Sofort- und späterer Definitivversorgung – schien diese Variante, die für ihn bestmögliche Lösung darzustellen [5].

Schablonengeführte ­Implantation
Bei besonderen Konzepten wie einer Sofortversorgung mit präfabriziertem Zahnersatz wird in den Leitlinien eine navigationsunterstützte Implantation empfohlen [3], insbesondere auch im Hinblick auf eine realistische Nutzen-Risiko-Abwägung ob eines umfänglichen Eingriffs.

Schablonengeführt lassen sich Aufbereitung und Insertion in der gewünschten Präzision mit hoher Sicherheit gemäß dem Bohrprotokoll durchführen (Full Guide Surgery). Entsprechend wurde der Behandlungsplan noch am selben Tag zwischen Chirurg und Zahntechniker in Form eines Backward Planning abgestimmt, um die Implantate in ihrem Winkel und ihrer Achsausrichtung möglichst optimal ausgerichtet auf die geplante Versorgung positionieren zu können. Die chirurgischen Schritte wurden auf Wunsch des Patienten unter Vollnarkose vorgenommen. Die Extraktionen der Oberkieferzähne erfolgten so atraumatisch wie möglich, um die verbliebenen Alveolenwände nicht zu schädigen. Zwei Zähne blieben im 1. Quadranten zur zusätzlichen Fixierung der Bohrschablone als palatinale Stempel vorübergehend in situ. Nach den Extraktionen wurden das Granulationsgewebe sorgfältig entfernt und der Alveolarknochen kürettiert.

Anhand der gematchten Daten des Oberflächenscans vom zahnlosen Kiefer mit dem Röntgendatensatz konstruierte das zahntechnische Labor die Bohrschablone wie auch das Provisorium. Hierbei war insbesondere auf ein präzises Matching des Oberflächenscans sowie auf eine exakte Überführung der Planung in die Bohrschablone zu achten, um eine Inkongruenz der Bohrstollen zu vermeiden. Nach Überprüfung, unter anatomisch-chirurgischen Gesichtspunkten, durch den Chirurgen wurden beide Komponenten CAD/CAM-basiert frästechnisch hergestellt.

Die Aufbereitung – anhand der Guided Bohrkassette – sowie die Insertion erfolgten durch die Schablone hindurch. Inseriert wurden sechs Progressiv-Line-Implantate von Camlog. Mit Ausnahme ­in regio12 mit 13 x 3,8 mm wurden 13 x 4,3-mm-Implantate in der Front und 9 x 4,3-mm-Implantate beidseitig posterior gesetzt. Die Implantate in der Front wurden gemäß der Markierung auf der Bohrschablone ausgerichtet, um bei den indexierten, abgewinkelten Comfour-Abutments eine Verdrehung des Schraubenkanals zu vermeiden.

Um 17 Grad gewinkelte Abutments entsprechen erfahrungsgemäß weitgehend dem realen Winkel zwischen Alveolarkamm und Nullebene des Patienten. Alle Implantate konnten primärstabil mit einem Eindrehmoment von rund 35 Ncm festgezogen werden. Vor dem Wundverschluss wurde noch mit PRF begleitend augmentiert. Mit der Membran können Knochendefekte aufgefüllt und die Knochenregeneration gefördert [4] sowie mit flüssigem I-PRF die Implantate unmittelbar vor ihrer Insertion benetzt werden. Das wiederum unterstützt die Osseointegration und den Heilungsprozess. Anschließend wurde die Wunde verschlossen. Dabei haben sich genügend lange Fadenenden bewährt, um die Fäden zum Entfernen besser fassen zu können. Nach der Kontrolle des präoperativ digital hergestellten Sofortprovisoriums auf passiven Sitz wurde die Prothese mit den Comfour-Titankappen verklebt.

Sechseinhalb Monate nach einer erfolgreich verlaufenen Resektion beim Patienten konnten die Arbeiten mit Fertigung der definitiven Versorgung in Form einer Konusprothese mit Galvanosekundär- auf Zirkonoxid-Primärteilen fortgesetzt werden. Das Weichgewebe war nicht zuletzt aufgrund der basalen Gestaltung der Sofortversorgung – gerade und konvex, nicht aber konkav – komplikationslos abgeheilt. So mussten lediglich die Comfour-Abutments gegen individuelle Kronenabutments ausgewechselt werden. Die finale Konusprothese wurde gemäß dem Weigl-Protokoll auf passivem Sitz hin kontrolliert. Eventuelle Passungsdifferenzen, die einem Intraoralscan inhärent sein können, lassen sich dadurch intraoral ausgleichen. Damit kann auch bei komplexen Full-Arch-Versorgungen im digitalen Workflow gearbeitet werden.

Schlußbetrachtung
Der digitale Workflow, von der Planung bis hin zu den computergesteuerten Fertigungsprozessen, ermöglichte es, die komplexen Anforderungen auf den Patienten und seine Belange hin, individuell abgestimmt, erfolgreich zu erfüllen. Den Rahmen dafür bildete eine optimale Vorplanung in enger Zusammenarbeit zwischen Chirurg, Prothetiker und Zahntechniker, bei der jederzeit auf einen gemeinsamen aktuellen Datensatz zurückgegriffen werden konnte. Digitale Abformungen wurden mit 3D-Röntgenbildern und Gesichtsscans gematcht, Knochenstrukturen konnten in die Planung einbezogen und darüber die chirurgisch wie prothetisch idealen Implantatpositionen eruiert werden. Die digital hochpräzise Überführung des digitalen Set-ups in die Bohrschablone wiederum ermöglichte die präimplantologische Herstellung der Bohrschablone sowie des Langzeitprovisoriums und war die Basis für die definitive Versorgung.

Ein entscheidender Erfolgsparameter für die funktionale Sofortbelastung der Sofort­implantate war das inserierte Implantatsystem mit seinem entsprechenden Makrodesign. Es ermöglichte aufgrund seiner aggressiveren Geometrie eine hohe Primärstabilität und stabile Osseointegration auch im kompromittierten Knochenlager.
Ein weiterer Erfolgsparameter war die unter den gegebenen Umständen „weitsichtige“ Beratung des Patienten. Aufgrund seiner Erkrankung und seiner bisherigen Zahnhygiene schien eine implantatgestützte, herausnehmbare Versorgung unter funktionalen wie ästhetischen Aspekten als das patientenindividuelle Optimum. Auch wenn sich der Patient anfänglich mehr aus Sachzwang denn aus Überzeugung für eine Konusprothese entschieden haben mag – er ist hochzufrieden, zeigt stolz seine „Neuen“ und ist begeistert, wie einfach sie sich pflegen lassen.

Dr. Alexander Volkmann ist Fachzahnarzt für Oralchirurgie und seit 2012 niedergelassen in Praxen für MKG, Oralchirurgie und Plastische Operationen an den Standorten Eisenach und Jena. Er ist seit 2019 Vorstandsmitglied des Mitteldeutschen LandesVerbands für Zahnärztliche Implantologie (MVZI im DGI e. V)
2012 Studienaufenthalt Oral & Maxillofacial Surgery, Brooklyn NY
2010 Fachzahnarzt für Oralchirurgie
2008 Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie (LZÄKTH)

Sebastian Schuldes ist Zahntechnikermeister und seit 1999 Geschäftsführer der Dentallabor-Schuldes GmbH. Er ist Referent und Verfasser zahlreicher Publikationen.
2011 Aufbau des Fräszentrums zaxocad Dentalsolutions
2008 Master of Science (MSc) an der Donauuniversität Krems / Bonn
2007 Gründung von S-implantat – Planungsdienstleister 3D – Implantatplanung

Literaturliste
www.teamwork-media.de/literatur

Kontakt
Dr. Alexander Volkmann
Facelook Concept
Leutragraben 2
07743 Jena
volkmann@facelookconcept.de
https://facelookconcept.de

Sebastian Schuldes MSc
Johann-Sebastian-Bach-Straße 2
99817 Eisenach
info@zahn-neu.de

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