Statement

Standpunkte

29.08.24

Die Ausgangslage war oft einfach

Schwierige Fälle in der Endodontie

anatomische Besonderheiten, Ansatzpunkt, Endodontie, Schwierigkeitsgrade

Marius Urmann

Wer auf dem Gebiet der Endodontie vorankommen möchte, der denkt womöglich daran, seine Fähigkeit derart zu verbessern, dass er in Zukunft noch schwierigeren und herausfordernden Fällen gewachsen ist. Stellt man sich jedoch die Frage, was genau eigentlich einen schwierigen Fall ausmacht und wodurch er möglicherweise zustande gekommen ist, so erscheint ein anderer Ansatzpunkt noch viel wichtiger. Im Folgenden soll er genauer beleuchtet werden.

Ob die Bergung eines frakturierten Instruments aus dem Wurzelkanal oder die Behandlung bei Vorliegen anatomischer Besonderheiten wie etwa einer c-förmigen Wurzelkanalkonfiguration – die Endodontie hält herausfordernde Szenarien bereit. Lauscht man den Berichten von Endodontie-Experten mit Referentenerfahrung, so sind es nicht selten diese schwierigen Spezialfälle, von denen eine besondere Faszination ausgeht. Entsprechend verbreitet scheint auch der Wunsch zu sein, sich durch Fortbildungen für diese endodontisch herausfordernden Szenarien zu wappnen. Doch wie sinnvoll ist dieser Ansatzpunkt?

Wodurch wird ein Fall
schwierig?
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, erscheint es zunächst angebracht zu klären, wann Fälle als schwierig einzuschätzen sind. Für die Klassifizierung des Schwierigkeitsgrads kann auf die Richtlinien der American Association of Endodontists [1] zurückgegriffen werden. Darauf aufbauend wurde vom Landesarbeitskreis für Endodontie und zahnärztliche Traumatologie Sachsen eine Empfehlung zur Fallbeurteilung in deutscher Sprache erarbeitet [2].

Unterschieden werden jeweils drei Schwierigkeitsgrade:

  • minimal, moderate
  • high bzw. normal,
  • hoch und sehr hoch

Ihnen werden bestimmte patienten- oder befundspezifische Merkmale sowie Begleitdiagnosen zugeordnet. Eine unauffällige Anamnese bei einem kooperativen Patienten mit einer Wurzelkrümmung bis 30° und großem Radius ließe sich beispielsweise dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad zuordnen. Eine geringe Mundöffnung, frühere Behandlungen, bei denen es z. B. zu Perforationen oder Stufenbildung gekommen ist, sowie externe oder interne Resorptionen wiederum würden die Fallschwierigkeit als „high“ bzw. „sehr hoch“ kennzeichnen.

Jede Behandlung erhöht den Schwierigkeitsgrad
Auf anatomische Gegebenheiten sowie bestimmte patientenspezifische Aspekte haben Behandler selbstverständlich keinen oder nur einen begrenzten Einfluss. Anders sieht es da schon bei der endodontischen Vorgeschichte eines Zahns aus, insbesondere wenn man folgenden Hinweis des eingangs erwähnten Landesarbeitskreises in Betracht zieht: „Jede erneute Wurzelkanalbehandlung erhöht den Schwierigkeitsgrad allein durch Formveränderungen der Anatomie des Wurzelkanalsystems [3].“

Der korrekten Einschätzung des Schwierigkeitsgrads eines Falls kommt vor diesem Hintergrund eine besonders hohe Bedeutung zu. Wird nämlich ein Fall auf Basis einer Fehleinschätzung in Angriff genommen und dann aufgrund eines unerwartet hohen Schwierigkeitsgrads nicht erfolgreich abgeschlossen, so erhöht dies unnötigerweise die Komplexität der notwendigen Folgebehandlung. In einer 2021 veröffentlichten Studie [4] aus Finnland konnte sogar gezeigt werden, dass es bei endodontischen Behandlungen durch Zahnmedizinstudenten öfter zu Komplikationen kam, wenn die Einschätzung des Schwierigkeitsgrads des Falls von der eines Endodontie-Spezialisten abwich. Häufig hatten die Studenten den Fall dabei als einfacher eingeschätzt.

Sind Ausnahmefälle die Ausnahme?
Von einem anderen Blickwinkel aus betrachtet könnte man es auch so formulieren: Von vorneherein richtig eingeschätzt und unter Umgehung vermeidbarer Fehler wird so mancher Fall erst gar nicht zum „schwierigen Fall“. Wer sich das bewusst macht, für den gewinnt womöglich die Identifikation und das Meistern gut beherrschbarer Fälle gegenüber den exotischen Ausnahmefällen an Attraktivität. Letztlich sollte dabei wohl auch die folgende Frage Berücksichtigung finden: Wie häufig begegnen mir die ganz schwierigen Fälle in meiner Praxis?

Einen möglichen Anhaltspunkt liefert eine 2022 im British Dental Journal veröffentlichte Untersuchung. Dabei warfen die Autoren einen Blick auf insgesamt 435 nicht-chirurgische Wurzelkanalbehandlungen und ihre jeweiligen Schwierigkeitsgrade. Mithilfe des online-basierten Endodontic Complexity Assessment Tools (E-CAT) kamen sie zu dem Ergebnis: 72 Prozent aller Wurzelkanalbehandlungen in allgemeinzahnmedizinischen Praxen waren entweder mit einem niedrigen oder mittleren Schwierigkeitsgrad verbunden.

Fortschritt macht Endodontie einfacher und sicherer
Um sie mit der Aussicht auf eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit angehen zu können, stehen dem endodontisch tätigen Zahnarzt heute ganz andere Möglichkeiten zur Verfügung als noch vor 20 oder 30 Jahren. Ein Beispiel dafür stellen die spürbar verschlankten Sequenzen der Aufbereitungsfeilen dar. Arbeitete man früher mit vier, sechs oder sogar acht verschiedenen Feilen, lässt sich ein großer Teil der endodontischen Fälle heute mit nur einer einzigen Aufbereitungsfeile lösen (etwa WaveOne Gold Primary, Dent­sply Sirona; Reciproc blue, VDW Dental). Eine spezielle thermische Behandlung der Feilen reduziert zudem das Bruchrisiko – im Vergleich zum Vorgängersystem desselben Herstellers konnte die Widerstandsfähigkeit gegen zyklische Ermüdung um 50 Prozent erhöht werden.

Ebenfalls zur Behandlungssicherheit tragen neue Funktionen von Endo-Motoren bei, mit denen die maschinelle Aufbereitung erst möglich wird. So verfügt der X-Smart Pro+ (Dentsply Sirona) über eine patentierte sensorlose Motorsteuerung, die sehr schnell auf Drehmomentbelastungen reagiert [5]. Integrierte Apex-Lokatoren erlauben eine Längenmessung während der Aufbereitung – mit der gleichen Genauigkeit wie eine herkömmliche manuelle Messung mit der Handfeile [6]. Hinzu kommen weitere aufeinander abgestimmte Komponenten wie etwa zum Feilensystem passende Guttapercha oder Papierspitzen, mit deren Hilfe sich eine konsequente Fehlerreduktion betreiben lässt.

Fazit für die Praxis
Wenngleich der spektakuläre Ausnahmefall eine spannende Herausforderung darstellen mag, so wird beim genauen Blick auf die verschiedenen Schwierigkeitsgrade in der Endodontie Folgendes ersichtlich: So mancher Fall gewinnt erst durch seine endodontische Vorgeschichte an Komplexität. Entsprechend wichtig sind eine adäquate Einschätzung des endodontischen Schwierigkeitsgrads sowie eine Fokussierung auf diejenigen Fälle, die sich im Rahmen der eigenen Möglichkeiten bewegen. Unter diesen Voraussetzungen erlauben technischer Fortschritt und moderne Hilfsmittel es heute in einer Vielzahl von Fällen, einfach und sicher zu arbeiten.

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Marius Urmann
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