Fachbericht

Kieferorthopädie & Aligner

16.11.21

Neues für die Praxis

Kieferorthopädische Behandlungsgeräte und digitale Innovationen

Aligner, Digitale Retentionsgeräte, Digitales Set-up, Minipins

Dr. Isabel Knaup, Dr. Lukas Brämswig, Dr. Samantha ­Moscarino, Prof. Dr. Michael Wolf, Tamara Pollak

01 – Digitale Positionierung der Brackets in den drei Raumebenen am 3-D-Modell; die Ausrichtung findet für jeden Zahn einzeln statt.

Neben der Diagnostik hat auch die kieferorthopädische Therapie von der fortschreitenden Digitalisierung profitiert und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung bestehender Therapiekonzepte oder auch zur Entwicklung neuer Therapieansätze eröffnet. Diese neuen Ansätze werden im Beitrag vorgestellt und diskutiert, insbesondere die Alignertherapie, die digital unterstützte Bracketpositionierung und die Minipininsertion mit CAD/CAM-Bohrschablone. Hinzu kommt ein Exkurs zu individuell gefertigten Apparaturen und neuen Retentionskonzepten. Zur Veranschaulichung wird der Workflow einzelner Verfahren dargestellt.

Fragen zum Behandlungskonzept
Ist die Alignertherapie eine Alternative zur Behandlung mit festitzenden Apparaturen?
Tamara Pollak: Die Behandlung mit festsitzenden Apparaturen bietet deutliche Vorteile in der Zahnbewegung. Mit dieser heutzutage hoch entwickelten Technologie können Zahnbewegungen in allen drei Raumebenen durchgeführt werden. Insbesondere durch die Anwendung hoch individualisierter Apparaturen kann eine Vielzahl von Zahnfehlstellungen effizient und teilweise auf Wunsch fast unsichtbar therapiert werden. In ausgewählten Fällen mit moderaten Schwierigkeitsgraden können Zahnbewegungen mit Alignern durchgeführt werden. Allerdings sind dann eine spezielle Auswahl der Zahnbewegung und die Erfahrung des Behandlers bei der Selektion der Behandlungsaufgaben sehr wichtig.

Wozu werden Minipins benötigt?
Dr. Lukas Brämswig: Für eine zielgerichtete kieferorthopädische Therapie und ein stabiles Behandlungsergebnis spielt die Verankerung und Kontrolle von Kraftsystemen eine entscheidende Rolle. Wird eine maximale Verankerung benötigt und kann diese nicht mit anderen Mitteln generiert werden, sind Miniimplantate (Minipins) eine hervorragende Option.

Neben den Fortschritten in der Diagnostik führt die Digitalisierung auch in der kieferorthopädischen Therapie zu zahlreichen Neuerungen. Einige dieser Neuer­ungen beziehen sich auf den Workflow, andere eröffnen sogar neue Behandlungskonzepte für komplexe Fälle.
Für Behandlungskonzepte wie Lingualtechnik, Alignertherapie oder Positioner wird vor Therapiebeginn ein Set-up benötigt. Bisher wurde das Set-up in den allseits bekannten, aufwendigen Arbeitsschritten am Sägemodell gefertigt. Mit den Fortschritten der digitalen Abformung und der entsprechenden Software kann das Set-up vollständig digital hergestellt werden.

Bracketpositionierung
Auch die herkömmliche festsitzende Behandlung kann mit digitalen Methoden unterstützt werden, beispielweise schon zu Behandlungsbeginn bei der Bracketpositionierung. Die konventionelle Herangehensweise wäre das direkte Kleben: Der Behandler definiert die Bracket­position chairside während des Klebevorgangs; jedes Bracket wird mit Komposit beschickt, auf die Vestibulärfläche des Zahns gesetzt, ausgerichtet und lichtgehärtet. Eine ebenfalls häufig angewandte Alternative ist das indirekte Kleben: Dabei werden die Brackets am Modell ideal positioniert und in ein Übertragungstray überführt; chairside werden die Brackets mit dem Übertragungstray kieferweise appliziert. Dies führt zu einer deutlichen Reduktion der Stuhlzeit, setzt aber die Vorarbeit im Labor voraus. Die indirekte Klebetechnik erlaubt eine genauere Bracketpositio­nierung in der Vertikalen im Vergleich zur direkten Technik [10]. Castilla et al. untersuchten die Relevanz des Mate­rials und der Herstellungsart des Übertragungstrays für die Genauigkeit der Bracket­positionierung und fanden die beste Übertragungsgenauigkeit für silikonbasierte Trays und die schlechtesten Werte für tiefgezogene Trays [3].
Die indirekte Klebetechnik wurde in den vergangenen Jahren weiterentwickelt, sodass die Bracketpositionierung nun digital am STL-Datensatz vorgenommen (Abb. 1) und anschließend das Übertragungstray gedruckt werden kann (Abb. 2). Duarte et al. untersuchten die Genauigkeit 3-D-gedruckter Übertragungstrays nach virtueller Bracketpositionierung und beobachteten eine von der Erfahrung des Behandlers unabhängig exakte Positionierung sowie keinen Unterschied für die Genauigkeit bei konventionellen oder selbstligierenden Brackets [6]. Liegt ein DVT vor, kann sogar die exakte Zahnachse in die Überlegungen bei der Positionierung einbezogen und die Parallelität der Wurzeln geplant werden, was zu einem langfristig stabileren Behandlungsergebnis führt [7].

Minipin-Insertion mit CAD/CAM-Bohrschablone
Ein weiterer Anwendungsfall ist die digital geplante Insertion von skelettalen Verankerungen (Minipins) inklusive der Herstellung einer Bohrschablone. Minipins sind temporäre Implantate mit Gewinde bei einer Länge von etwa 7 bis 11 mm, einem Durchmesser von etwa 2 mm und einer in der Regel maschinenpolierten Oberfläche. Sie dienen der maximalen Verankerung und machen Zahnbewegungen möglich, die sonst nur unter großen Nebenwirkungen durchgeführt werden könnten. Beispiele für solche Bewegungen sind Mesialisierung oder Distalisierung von Molaren, Molarenaufrichtung, Intrusion einzelner elongierter Zähne, En-masse-Retraktionen, Distraktion impaktierter Eckzähne [4] oder auch zur Verankerung für andere kieferorthopädische Geräte wie die Delaire-Maske oder die skelettal verankerte Gaumennahterweiterungsapparatur (Hybrid-Hyrax). Je nach Verwendungszweck muss der Minipin in eine andere Region inseriert werden, wobei natürlich anatomische Strukturen wie Zahnwurzeln, Nervus alveolaris inferior oder Arteria palatina major geschont werden müssen. Die interradikuläre Insertion gestaltet sich aufgrund der beengten Platzverhältnisse häufig schwierig. Poggio et al. beschäftigten sich mit der Eignung interradikulärer Insertionsorte im Oberkiefer und befanden: Je weiter anterior im Kiefer und je weiter apikal, desto sicherer war die Insertion [15]. Die Verlustrate ist palatinal mit 1,3 Prozent (median), 4,8 Prozent (paramedian) beziehungsweise 5,5 Prozent (parapalatal) am niedrigsten; die Verlustrate bei interradikulärer Insertion liegt bei 9,2 Prozent (Maxilla) beziehungsweise 13,5 Prozent (Mandibula), wobei die Touchierung von Zahnwurzeln zu einer erhöhten Verlustrate führt [14]. Wie auch in der Implantologie ist es daher sinnvoll, mit Bohrschablonen zu arbeiten, die auf konventionelle Art im Labor oder im CAD/CAM-Verfahren hergestellt werden können. Die Verwendung einer CAD/CAM-Bohrschablone erlaubt eine bessere Kontrolle während der Insertion und reduziert das Risiko einer Abweichung vom geplanten Insertionspfad auch bei unerfahrenen Behandlern [2].
Für die Planung medianer Minipins im digitalen Workflow werden ein Scan des Oberkiefers und ein Fernröntgenseitenbild (FRS) benötigt. Mit der entsprechenden Software können Modell und FRS in der Medianebene überlagert und zueinander ausgerichtet werden. Wird die Transparenz des Oberkiefermodells so eingestellt, dass der Gaumen gut sichtbar ist und sich dieser mit den im FRS abgebildeten knöchernen Strukturen hinreichend deckt, können die Pins in angepasster Angulation in die gewünschte Region geplant werden. Dabei sind umgebenden Strukturen zu beachten, vor allem die kranio-kaudale Ausdehnung der Maxilla, der Abstand zur apikalen Region der Inzisivi und etwaige verlagerte Zähne (Abb. 3). Von großem Vorteil vor allem für die Insertion am Gaumen ist dabei die Möglichkeit der Achskontrolle, da häufig zwei Pins mit der gleichen Einschubrichtung zur Aufnahme kieferorthopädischer Apparaturen benötigt werden. Aus dem Planungsmodell lässt sich das Positionsmodell berechnen, das die geplante Position sowie die Achsen veranschaulicht (Abb. 4 und 5). Anhand des Positionsmodells kann nun eine Bohrschablone in der gewünschten Ausdehnung konstruiert und anschließend gedruckt werden (Abb. 6 und 7).
Bei Vorliegen eines DVTs können ebenfalls durch ein Matching mit dem Modell eine interradikuläre Insertion geplant und eine entsprechende Bohrschablone hergestellt werden (Abb. 8 bis 11). Dies führt zu einer höheren Genauigkeit und geringeren Anwendersensitivität; zudem werden umgebende Strukturen seltener verletzt [1].

Digitale Individualisierung von kieferorthopädischen Apparaturen
Auch die Planung und Konstruktion hoch individualisierter kieferorthopädischer Apparaturen gestaltet sich im digitalen Verfahren deutlich leichter. Ihre Verwendung kann erforderlich sein, wenn die anatomischen Gegebenheiten stark von der Norm abweichen, sodass konfektionierte Ware nicht ausreichend angepasst werden kann. Dies kann zum Beispiel bei Patienten mit Lippen-­Kiefer-Gaumen-Spalten der Fall sein, da die Kiefersegmente häufig anterior kollabiert sind und sich so eine fast dreieckige Kieferform ergeben kann (Abb. 12). In anderen Fällen sind die konventionell gelöteten Geräte teilweise nicht ausreichend stabil, sodass ein Werkstück ohne entsprechende Sollbruchstellen sehr hilfreich bei komplexen Behandlungsaufgaben wie der Einordnung eines impaktierten (gegebenenfalls ankylosierten) Zahns sein kann.

Alignertherapie
In der Alignertherapie konnte sich mit fortschreitender Digitalisierung unter Nutzung von digitalen Set-ups und der Anwendung von Druckverfahren ein funktionierender Laborprozess etablieren. Nach der digitalen Abformung wird ein Set-up der Zielokklusion erstellt, wobei die zur Herstellung der Zielokklusion benötigten Zahnbewegungen in Schritten geplant und in Zwischenmodellen abgebildet werden (Abb. 13). Die Aligner werden anschließend im Tiefziehverfahren anhand 3-D-gedruckter Modelle hergestellt, die digitale Konstruktion der Aligner und ihr 3-D-Druck sind bisher noch nicht möglich. Ob der Aligner die Gingiva bedecken sollte, ist noch nicht abschließend geklärt, wird jedoch bei Behandlung ohne Attachments empfohlen [18]. Je nach Komplexität des Behandlungsfalls wird eine den Zwischenschritten entsprechende Zahl an Alignern benötigt, das Wechseln der Aligner findet im Intervall von 7 bis 14 Tagen statt.
Wie auch in der konventionellen kieferorthopädischen Therapie ist die Verankerung entscheidend für den Therapieerfolg, was im Falle der Aligner eine optimale Passung voraussetzt. In einer In-vitro-Studie wurde die Alignerpassung zweier großer Hersteller (Invisalign und CA Clear Aligner) elektronenmikroskopisch untersucht, wobei für Invisalign die bessere Passung am Gingivasaum und für CA Clear Aligner die bessere Passung an komplexen okklusalen Strukturen gefunden wurde [13]. Je nach System besteht die Möglichkeit, Komposit-Attachments vor Therapiebeginn auf den Zähnen anzubringen. Komplexe Zahnbewegungen sind nur begrenzt möglich und benötigen in vielen Fällen diese Attachments, wobei die Form des Attachments dem Zweck angepasst werden sollte [5]. Beim Anbringen der Attachments ist auf Präzision zu achten; empfehlenswert ist die Verwendung eines fließfähigen Komposits in Kombination mit einer Perforation im Attachmentreservoir am Template [17].
Mit Attachments können viele Bewegungen besser auf den Zahn übertragen werden. Dennoch kommt es in vielen Fällen anstelle einer körperlichen Zahnbewegung zu kippenden Zahnbewegungen [8]. Abweichungen von der geplanten Zahnstellung führen zwangsweise zu einer schlechten Passung des Aligners, was wiederum eine geringere Kraftübertragung und im ungünstigen Fall einen großen Verankerungsverlust bedingt. Da zu Beginn der Therapie die komplette Behandlung geplant wird und die Aligner hergestellt werden, kann nur durch eine Neuplanung und Herstellung neuer Aligner in die laufende Behandlung eingegriffen werden. Eine Literaturrecherche kam zu dem Ergebnis, dass aufgrund der derzeitigen eingeschränkten Vorhersagbarkeit des Alignertherapieausgangs in praktisch jedem Behandlungsfall ein Refinement (die Neuanfertigung von Alignern nach Abschluss der initial geplanten Therapie) nötig ist [16].

Retention
Nach jeder kieferorthopädischen Behandlung sollte eine Retention erfolgen. Hierzu gibt es unterschiedliche Apparaturen wie herausnehmbare Zahnspangen, die nachts getragen werden (Hawley-Retainer), Tiefziehschienen oder festsitzende Retainer, die an der Oralfläche der Frontzähne adhäsiv befestigt werden. Festsitzende Retainer werden als Form der complianceunabhängigen Langzeit­retention empfohlen [9]; Dreh- und Kippstände werden besser vermieden als mit herausnehmbaren Retainern; die inter­canine Distanz kann jedoch weniger gut gehalten werden [12]. Herkömmliche festsitzende Retainer bestehen aus verseilten Edelstahlbögen, werden von Hand gebogen und können zu Nebenwirkungen wie Twist-Effekten oder X-Effekten führen [11]. Inzwischen stehen CAD/CAM-Retainer aus nur einem Werkstück zur Verfügung, die aus Materialien wie Nitinol (Memotain, CA digital) oder Titan Grade V (Retainer 3D, Dentaurum) gefräst werden. Dieses Verfahren ermöglicht eine hochgradig präzise Positionierung des Retainers [19], was zu einer besseren Langzeitstabilität des Behandlungsergebnisses beiträgt.

Literaturverzeichnis unter www.teamwork-media.de/literatur

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